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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Briefe ans Oestreich.
Von einem deutschen Reisenden.



. . . Sehen möchte ich das Geficht, mit welchem Sie die letzten Liebesbriefe
Schwarzenbergs an Deutschland lesen; ich meine die Noten an Prokesch in Berlin
und Schmerling in Frankfurt. Es hätte dem Cabinet nicht geschadet, mit etwas
weniger Brutalität seinen "Guten Morgen!" zu sagen. Aber es ahnt nicht --
ich weiß dies aus guter Quelle -- daß es wie Mrs. Candle das letzte Wort ge¬
habt hat. Fürst Schwarzenberg meint, sich eben nnr wie ein gutmüthiger pol¬
ternder Alter benommen zu haben, und Deutschland, der verlorene Sohn, werde
schon wieder bescheiden an Haus Habsburgs Thüre klopfen.

Ich muß den armen Schwarzenberg und den altfränkischen Stadion ein we¬
nig in Schutz nehmen. Es ist mit ihrem Jesuitismus nicht so weit her. Ein
Nilpferd konnte durch die Maschen ihrer Netze schlüpfen. Uebrigens gingen sie
in der deutschen Frage mit den naiven Anschauungen des gebildeten Wienerthums
Hand in Hand.

Jetzt stehen die Minister wieder an demselben Berge wie im December, als
Gagern ihr Programm vom 27. November beim Worte nahm. Damals sagten
sie: Deutschland für sich und Oestreich für sich. Beide sollten, unabhängig von
einander, sich constituiren, dann ein inniges Bündniß schließen. Sehr wohl. Nur
hegten sie deu Hintergedanken: Wir werden uus constituiren, die Deutschen
unmöglich. Dann müßten sie ja nicht Deutsche sein. Wären sie aber, wider Er¬
warten, doch so verrückt, vernünftig werden zu wollen, so sagt man dem Czaren:
Leid's nicht! Vielleicht kommt es zu ein paar kleinen republikanischen Krawatten
in Berlin, Frankfurt und Karlsruhe. Desto besser. Belagerungszustand wie hier
und gesunde Reaction! Schraubt man in Deutschland die Geschichte um ein Jahr
zurück, so darf mau dann hier zwanzig Jahr weit zurückgehn.

Damals stand die grinsende Kroatenromantik > in höchster Blüthe und das
gutgesinnte Wien schwelgte mit blödsinnigen Cynismus in der Verachtung Deutsch'
lands. Allen abgestandenen Spott auf Deutschland, den Russen und Franzosen
ersonnen oder unseren eigenen Schriftstellern abgelernt haben, kauten sich die ge¬
müthlichen Wiener zum Morgen - und Abendgebet vor. Der Metternichsche Atheis¬
mus, der nur an Geld und Bajonnette glaubt, ist hier noch lang nicht ausgeschwitzt,
und die phäakische Unwissenheit über das Land, dem sie Alles verdanken, was sie
von Nuthenen und Slowaken unterscheidet, ist so dick, daß sie selbst von den prak¬
tischen Interessen, welche zur deutschen Einheit drängen, keine Ahnung haben.
Erwähnte man die geistige Macht der Nation, so hieß es: Bah! Neuß-Kreuz!


Briefe ans Oestreich.
Von einem deutschen Reisenden.



. . . Sehen möchte ich das Geficht, mit welchem Sie die letzten Liebesbriefe
Schwarzenbergs an Deutschland lesen; ich meine die Noten an Prokesch in Berlin
und Schmerling in Frankfurt. Es hätte dem Cabinet nicht geschadet, mit etwas
weniger Brutalität seinen „Guten Morgen!" zu sagen. Aber es ahnt nicht —
ich weiß dies aus guter Quelle — daß es wie Mrs. Candle das letzte Wort ge¬
habt hat. Fürst Schwarzenberg meint, sich eben nnr wie ein gutmüthiger pol¬
ternder Alter benommen zu haben, und Deutschland, der verlorene Sohn, werde
schon wieder bescheiden an Haus Habsburgs Thüre klopfen.

Ich muß den armen Schwarzenberg und den altfränkischen Stadion ein we¬
nig in Schutz nehmen. Es ist mit ihrem Jesuitismus nicht so weit her. Ein
Nilpferd konnte durch die Maschen ihrer Netze schlüpfen. Uebrigens gingen sie
in der deutschen Frage mit den naiven Anschauungen des gebildeten Wienerthums
Hand in Hand.

Jetzt stehen die Minister wieder an demselben Berge wie im December, als
Gagern ihr Programm vom 27. November beim Worte nahm. Damals sagten
sie: Deutschland für sich und Oestreich für sich. Beide sollten, unabhängig von
einander, sich constituiren, dann ein inniges Bündniß schließen. Sehr wohl. Nur
hegten sie deu Hintergedanken: Wir werden uus constituiren, die Deutschen
unmöglich. Dann müßten sie ja nicht Deutsche sein. Wären sie aber, wider Er¬
warten, doch so verrückt, vernünftig werden zu wollen, so sagt man dem Czaren:
Leid's nicht! Vielleicht kommt es zu ein paar kleinen republikanischen Krawatten
in Berlin, Frankfurt und Karlsruhe. Desto besser. Belagerungszustand wie hier
und gesunde Reaction! Schraubt man in Deutschland die Geschichte um ein Jahr
zurück, so darf mau dann hier zwanzig Jahr weit zurückgehn.

Damals stand die grinsende Kroatenromantik > in höchster Blüthe und das
gutgesinnte Wien schwelgte mit blödsinnigen Cynismus in der Verachtung Deutsch'
lands. Allen abgestandenen Spott auf Deutschland, den Russen und Franzosen
ersonnen oder unseren eigenen Schriftstellern abgelernt haben, kauten sich die ge¬
müthlichen Wiener zum Morgen - und Abendgebet vor. Der Metternichsche Atheis¬
mus, der nur an Geld und Bajonnette glaubt, ist hier noch lang nicht ausgeschwitzt,
und die phäakische Unwissenheit über das Land, dem sie Alles verdanken, was sie
von Nuthenen und Slowaken unterscheidet, ist so dick, daß sie selbst von den prak¬
tischen Interessen, welche zur deutschen Einheit drängen, keine Ahnung haben.
Erwähnte man die geistige Macht der Nation, so hieß es: Bah! Neuß-Kreuz!


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[0144] Briefe ans Oestreich. Von einem deutschen Reisenden. . . . Sehen möchte ich das Geficht, mit welchem Sie die letzten Liebesbriefe Schwarzenbergs an Deutschland lesen; ich meine die Noten an Prokesch in Berlin und Schmerling in Frankfurt. Es hätte dem Cabinet nicht geschadet, mit etwas weniger Brutalität seinen „Guten Morgen!" zu sagen. Aber es ahnt nicht — ich weiß dies aus guter Quelle — daß es wie Mrs. Candle das letzte Wort ge¬ habt hat. Fürst Schwarzenberg meint, sich eben nnr wie ein gutmüthiger pol¬ ternder Alter benommen zu haben, und Deutschland, der verlorene Sohn, werde schon wieder bescheiden an Haus Habsburgs Thüre klopfen. Ich muß den armen Schwarzenberg und den altfränkischen Stadion ein we¬ nig in Schutz nehmen. Es ist mit ihrem Jesuitismus nicht so weit her. Ein Nilpferd konnte durch die Maschen ihrer Netze schlüpfen. Uebrigens gingen sie in der deutschen Frage mit den naiven Anschauungen des gebildeten Wienerthums Hand in Hand. Jetzt stehen die Minister wieder an demselben Berge wie im December, als Gagern ihr Programm vom 27. November beim Worte nahm. Damals sagten sie: Deutschland für sich und Oestreich für sich. Beide sollten, unabhängig von einander, sich constituiren, dann ein inniges Bündniß schließen. Sehr wohl. Nur hegten sie deu Hintergedanken: Wir werden uus constituiren, die Deutschen unmöglich. Dann müßten sie ja nicht Deutsche sein. Wären sie aber, wider Er¬ warten, doch so verrückt, vernünftig werden zu wollen, so sagt man dem Czaren: Leid's nicht! Vielleicht kommt es zu ein paar kleinen republikanischen Krawatten in Berlin, Frankfurt und Karlsruhe. Desto besser. Belagerungszustand wie hier und gesunde Reaction! Schraubt man in Deutschland die Geschichte um ein Jahr zurück, so darf mau dann hier zwanzig Jahr weit zurückgehn. Damals stand die grinsende Kroatenromantik > in höchster Blüthe und das gutgesinnte Wien schwelgte mit blödsinnigen Cynismus in der Verachtung Deutsch' lands. Allen abgestandenen Spott auf Deutschland, den Russen und Franzosen ersonnen oder unseren eigenen Schriftstellern abgelernt haben, kauten sich die ge¬ müthlichen Wiener zum Morgen - und Abendgebet vor. Der Metternichsche Atheis¬ mus, der nur an Geld und Bajonnette glaubt, ist hier noch lang nicht ausgeschwitzt, und die phäakische Unwissenheit über das Land, dem sie Alles verdanken, was sie von Nuthenen und Slowaken unterscheidet, ist so dick, daß sie selbst von den prak¬ tischen Interessen, welche zur deutschen Einheit drängen, keine Ahnung haben. Erwähnte man die geistige Macht der Nation, so hieß es: Bah! Neuß-Kreuz!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/144>, abgerufen am 15.01.2025.