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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Anstrich. Zuletzt sprach er aus, daß Preußen den Beruf habe, die socialen Fra¬
gen mit den politischen gemeinsam zu behandeln und dadurch den übrigen Staaten
voranzugehen.

Auf Rosenkranz folgte Vir cke zur Vertheidigung seines Amendements. Ein
feiner, schlanker Mann, von mehr diplomatischem als militärischem Anstrich. Seine
Rede verrieth Bildung und Geist; er ging näher darauf ein, was wir schon
so viel gepredigt haben, daß in der ganzen deutschen Geschichte eine Trennung
des alten heiligen Römischen Reichs, und das Aufblühen eines neuen lebensvollen
Staatswesens im Norden bedingt sei; daß also die historische Nothwendigkeit
Preußen die Rolle zuweise, von welcher es sich dnrch romantische Pietät nicht
zurückschrecken lassen dürfe. Dieses und andere interessante Gesichtspunkte gingen
aber verloren dnrch den Mangel an eigenthümlichem Rednertalent; die ganze
Weise des Vertrags war zu weich, zu fließend, zu wenig prägnant. Der Redner
muß entweder durch logische Energie zwingen oder durch geistige Sprühfunkeu
unterhalten, sonst wird man zerstreut.

Geheimrath Dr. Brügge manu, ein Mann von festem Knochenbau, sehr
großem Mund und biederer, tonreicher und ungelenker Stimme, hielt sich als
Katholik für berufen, gegen die Einmischung confessioneller Rücksichten in eine
lediglich nationale Frage, wie es in Frankfurt geschehn, zu Protestiren. Er wie¬
derholte diesen Protest mehrmals, in verschiedenen Wendungen und erregte dadurch
großen Beifall.

,, ES folgt v. Forken b cet, Präsident des Glogauer Oberlandesgerichts, in
der ersten Kammer Chef der äußersten Linken. Eine untersetzte Figur, in deren
starkem Gesicht die Neigung, bei jeder Gelegenheit auf eine gelinde Weise zu rä-
sonniren, deutlich ausgesprochen ist. Er hatte zuerst ein eigenes Amendement ge¬
stellt, nahm dasselbe zu Gunsten des Vink'schen zurück, stellte darauf wieder ein
neues, und nahm es wieder zurück. Mit großer Lebhaftigkeit nahm er in einer so
wichtigen Frage, der kalten Deduction des Professor Rosenkranz gegenüber, für
die Adresse das Recht in Anspruch, gefühl- und gesinnungsvoll zu sein. Er er¬
klärte übrigens, daß in dieser allgemeinen Frage alle Parteien Hand in Hand
gehen müßten. Was es übrigens mit der äußersten Linken in dieser Kammer für
eine Bewandniß hat, davon später.

Der Glanzpunkt der Sitzung war die Rede des Professor und Geheimrath
Stahl, des Sprechers der äußersten Rechten. Ein kleiner, schwächlicher Mann,
mit gelbem, aber distinguirten Gesicht, schwarzem Haar und dunkeln brennenden
Augen; etwas jüdischem Anstrich. Seine Rede ist nicht eigentlich musterhaft; er
muß die Deutlichkeit durch Anstrengung erreichen, weil ihm die Zähne fehlen, und
es fehlt ihm der natürliche logische Fluß, weil jeder Satz mit einer gewissen
zornigen Hastigkeit ausgestoßen wird. Aber die Rede ist durchsichtig, scharf, her¬
ausfordernd und um so affectvoller, je paradoxer sie aussieht. Stahl -- der


Anstrich. Zuletzt sprach er aus, daß Preußen den Beruf habe, die socialen Fra¬
gen mit den politischen gemeinsam zu behandeln und dadurch den übrigen Staaten
voranzugehen.

Auf Rosenkranz folgte Vir cke zur Vertheidigung seines Amendements. Ein
feiner, schlanker Mann, von mehr diplomatischem als militärischem Anstrich. Seine
Rede verrieth Bildung und Geist; er ging näher darauf ein, was wir schon
so viel gepredigt haben, daß in der ganzen deutschen Geschichte eine Trennung
des alten heiligen Römischen Reichs, und das Aufblühen eines neuen lebensvollen
Staatswesens im Norden bedingt sei; daß also die historische Nothwendigkeit
Preußen die Rolle zuweise, von welcher es sich dnrch romantische Pietät nicht
zurückschrecken lassen dürfe. Dieses und andere interessante Gesichtspunkte gingen
aber verloren dnrch den Mangel an eigenthümlichem Rednertalent; die ganze
Weise des Vertrags war zu weich, zu fließend, zu wenig prägnant. Der Redner
muß entweder durch logische Energie zwingen oder durch geistige Sprühfunkeu
unterhalten, sonst wird man zerstreut.

Geheimrath Dr. Brügge manu, ein Mann von festem Knochenbau, sehr
großem Mund und biederer, tonreicher und ungelenker Stimme, hielt sich als
Katholik für berufen, gegen die Einmischung confessioneller Rücksichten in eine
lediglich nationale Frage, wie es in Frankfurt geschehn, zu Protestiren. Er wie¬
derholte diesen Protest mehrmals, in verschiedenen Wendungen und erregte dadurch
großen Beifall.

,, ES folgt v. Forken b cet, Präsident des Glogauer Oberlandesgerichts, in
der ersten Kammer Chef der äußersten Linken. Eine untersetzte Figur, in deren
starkem Gesicht die Neigung, bei jeder Gelegenheit auf eine gelinde Weise zu rä-
sonniren, deutlich ausgesprochen ist. Er hatte zuerst ein eigenes Amendement ge¬
stellt, nahm dasselbe zu Gunsten des Vink'schen zurück, stellte darauf wieder ein
neues, und nahm es wieder zurück. Mit großer Lebhaftigkeit nahm er in einer so
wichtigen Frage, der kalten Deduction des Professor Rosenkranz gegenüber, für
die Adresse das Recht in Anspruch, gefühl- und gesinnungsvoll zu sein. Er er¬
klärte übrigens, daß in dieser allgemeinen Frage alle Parteien Hand in Hand
gehen müßten. Was es übrigens mit der äußersten Linken in dieser Kammer für
eine Bewandniß hat, davon später.

Der Glanzpunkt der Sitzung war die Rede des Professor und Geheimrath
Stahl, des Sprechers der äußersten Rechten. Ein kleiner, schwächlicher Mann,
mit gelbem, aber distinguirten Gesicht, schwarzem Haar und dunkeln brennenden
Augen; etwas jüdischem Anstrich. Seine Rede ist nicht eigentlich musterhaft; er
muß die Deutlichkeit durch Anstrengung erreichen, weil ihm die Zähne fehlen, und
es fehlt ihm der natürliche logische Fluß, weil jeder Satz mit einer gewissen
zornigen Hastigkeit ausgestoßen wird. Aber die Rede ist durchsichtig, scharf, her¬
ausfordernd und um so affectvoller, je paradoxer sie aussieht. Stahl — der


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[0012] Anstrich. Zuletzt sprach er aus, daß Preußen den Beruf habe, die socialen Fra¬ gen mit den politischen gemeinsam zu behandeln und dadurch den übrigen Staaten voranzugehen. Auf Rosenkranz folgte Vir cke zur Vertheidigung seines Amendements. Ein feiner, schlanker Mann, von mehr diplomatischem als militärischem Anstrich. Seine Rede verrieth Bildung und Geist; er ging näher darauf ein, was wir schon so viel gepredigt haben, daß in der ganzen deutschen Geschichte eine Trennung des alten heiligen Römischen Reichs, und das Aufblühen eines neuen lebensvollen Staatswesens im Norden bedingt sei; daß also die historische Nothwendigkeit Preußen die Rolle zuweise, von welcher es sich dnrch romantische Pietät nicht zurückschrecken lassen dürfe. Dieses und andere interessante Gesichtspunkte gingen aber verloren dnrch den Mangel an eigenthümlichem Rednertalent; die ganze Weise des Vertrags war zu weich, zu fließend, zu wenig prägnant. Der Redner muß entweder durch logische Energie zwingen oder durch geistige Sprühfunkeu unterhalten, sonst wird man zerstreut. Geheimrath Dr. Brügge manu, ein Mann von festem Knochenbau, sehr großem Mund und biederer, tonreicher und ungelenker Stimme, hielt sich als Katholik für berufen, gegen die Einmischung confessioneller Rücksichten in eine lediglich nationale Frage, wie es in Frankfurt geschehn, zu Protestiren. Er wie¬ derholte diesen Protest mehrmals, in verschiedenen Wendungen und erregte dadurch großen Beifall. ,, ES folgt v. Forken b cet, Präsident des Glogauer Oberlandesgerichts, in der ersten Kammer Chef der äußersten Linken. Eine untersetzte Figur, in deren starkem Gesicht die Neigung, bei jeder Gelegenheit auf eine gelinde Weise zu rä- sonniren, deutlich ausgesprochen ist. Er hatte zuerst ein eigenes Amendement ge¬ stellt, nahm dasselbe zu Gunsten des Vink'schen zurück, stellte darauf wieder ein neues, und nahm es wieder zurück. Mit großer Lebhaftigkeit nahm er in einer so wichtigen Frage, der kalten Deduction des Professor Rosenkranz gegenüber, für die Adresse das Recht in Anspruch, gefühl- und gesinnungsvoll zu sein. Er er¬ klärte übrigens, daß in dieser allgemeinen Frage alle Parteien Hand in Hand gehen müßten. Was es übrigens mit der äußersten Linken in dieser Kammer für eine Bewandniß hat, davon später. Der Glanzpunkt der Sitzung war die Rede des Professor und Geheimrath Stahl, des Sprechers der äußersten Rechten. Ein kleiner, schwächlicher Mann, mit gelbem, aber distinguirten Gesicht, schwarzem Haar und dunkeln brennenden Augen; etwas jüdischem Anstrich. Seine Rede ist nicht eigentlich musterhaft; er muß die Deutlichkeit durch Anstrengung erreichen, weil ihm die Zähne fehlen, und es fehlt ihm der natürliche logische Fluß, weil jeder Satz mit einer gewissen zornigen Hastigkeit ausgestoßen wird. Aber die Rede ist durchsichtig, scharf, her¬ ausfordernd und um so affectvoller, je paradoxer sie aussieht. Stahl — der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/12>, abgerufen am 15.01.2025.