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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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zu schütteln. -- Wie ich später gehört hube,, soll die Rede weniger auf die Kam¬
mern, als auf den König berechnet gewesen sein, der in seinem Gewissen noch im¬
mer schwankt, ob er auch ohne Oestreich den Pfad der Einigung Deutschlands
betreten darf. Wie dem auch sei, von einem Mitglied der ersten Kammer wären
mir doch Gründe angenehmer gewesen, als Appellationen, als diese beständigen,
unbestimmten Appellationen an das Gefühl.

Der zweite Redner war der Oberregiernngsrath Trieft, ein kleiner, behen¬
der Mann, der mit großer Lebhaftigkeit und der Regelmäßigkeit eines Perpendikels
deu Kopf vou links nach rechts, von rechts nach links warf. Er sprach schnell,
mit angestrengter aber dürrer Stimme, von der Wichtigkeit der Sache, seiner
Freude, über eine so wichtige Sache zu reden u. s. w., eine Bank nach der an¬
dern wurde leer; ich konnte den Worten nicht folgen, ich beobachtete nnr mit
Staunen das Spiel seiner Gesichtsfalten, die in tausend mäandrischen Krümmun-
gen durch einander vibrirten und die immer wachsende Schnelligkeit seiner perpen-
dikularischen Schwingungen. Als er etwa eine Stunde gesprochen, hielt er einen
Augenblick inne und sagte dann: "nach dieser allgemeinen Einleitung" -- Ein
tiefer Stoßseufzer entfuhr der Brust der wenigen Deputirten, die noch zugegen
waren, aber der Schluß ließ uicht lange auf sich warten.

Ihm folgte Karl Rosenkranz, Hegelianer, Professor der Philosophie in
Königsberg, zu Auerswald's Zeit vortragender Rath im Cultusministerium. Ein
hagerer Mann mit der angemessenen Professorenhaltung und geistvollein Gesicht;
in den acht Jahren, daß ich ihn nicht gesehen habe, ist er doch bedeutend geal¬
tert; er kaun höchstens 41--42 Jahre alt sein, aber er sieht älter aus. Er be¬
wegt sich aus der Rednerbühne mit derselben Ungenirtheit wie auf dem Katheder,
und spricht leicht, fließend und anziehend. Mau hört ihm an, daß er frei spricht,
die meisten übrigen Redner machen den Eindruck des Prävarirteu. Ueber den §. 1.
der Adresse -- die Anerkennung der octroyirten Verfassung -- hatte er einen
trefflichen Vortrag gehalten; was er hier sprach, genügte mir nicht. Während
die beiden vorigen Redner über der Masse von Gefühlen, Betrachtungen und
historischen Reminiscenzen, die sie überströmten, die Sache, um die es sich eigent¬
lich handelte, aus den Augen verloren, hielt sich Rosenkranz mit allzu formeller
Energie lediglich an die Sache, d. h. die Fassung der Adresse, und machte den
Eindruck, als handle es hier sich blos um einen stylistischen Controvers. Er
kam mir vor, wie ein Professor, der den in's Gefühlsgenre verirrten Bureaukra¬
ten zeigen will, wie man staatsmännisch spricht. Daß er Oestreich gegen die An¬
griffe des ersten Redners vom Gesichtspunkt historischer Nothwendigkeit aus
w Schutz nahm, war recht und billig; nur ging die Rechtfertigung nicht tief ge-
u"g auf die Sache ein, und die Versicherung, daß die Podolischen Ochsen, die
Lombardische Seide, die Cremnitzer Dukaten und die ungarischen Zigeuner ein
organisches Ganze bildeten, hatte doch einen mehr belletristischen als politischen


zu schütteln. — Wie ich später gehört hube,, soll die Rede weniger auf die Kam¬
mern, als auf den König berechnet gewesen sein, der in seinem Gewissen noch im¬
mer schwankt, ob er auch ohne Oestreich den Pfad der Einigung Deutschlands
betreten darf. Wie dem auch sei, von einem Mitglied der ersten Kammer wären
mir doch Gründe angenehmer gewesen, als Appellationen, als diese beständigen,
unbestimmten Appellationen an das Gefühl.

Der zweite Redner war der Oberregiernngsrath Trieft, ein kleiner, behen¬
der Mann, der mit großer Lebhaftigkeit und der Regelmäßigkeit eines Perpendikels
deu Kopf vou links nach rechts, von rechts nach links warf. Er sprach schnell,
mit angestrengter aber dürrer Stimme, von der Wichtigkeit der Sache, seiner
Freude, über eine so wichtige Sache zu reden u. s. w., eine Bank nach der an¬
dern wurde leer; ich konnte den Worten nicht folgen, ich beobachtete nnr mit
Staunen das Spiel seiner Gesichtsfalten, die in tausend mäandrischen Krümmun-
gen durch einander vibrirten und die immer wachsende Schnelligkeit seiner perpen-
dikularischen Schwingungen. Als er etwa eine Stunde gesprochen, hielt er einen
Augenblick inne und sagte dann: „nach dieser allgemeinen Einleitung" — Ein
tiefer Stoßseufzer entfuhr der Brust der wenigen Deputirten, die noch zugegen
waren, aber der Schluß ließ uicht lange auf sich warten.

Ihm folgte Karl Rosenkranz, Hegelianer, Professor der Philosophie in
Königsberg, zu Auerswald's Zeit vortragender Rath im Cultusministerium. Ein
hagerer Mann mit der angemessenen Professorenhaltung und geistvollein Gesicht;
in den acht Jahren, daß ich ihn nicht gesehen habe, ist er doch bedeutend geal¬
tert; er kaun höchstens 41—42 Jahre alt sein, aber er sieht älter aus. Er be¬
wegt sich aus der Rednerbühne mit derselben Ungenirtheit wie auf dem Katheder,
und spricht leicht, fließend und anziehend. Mau hört ihm an, daß er frei spricht,
die meisten übrigen Redner machen den Eindruck des Prävarirteu. Ueber den §. 1.
der Adresse — die Anerkennung der octroyirten Verfassung — hatte er einen
trefflichen Vortrag gehalten; was er hier sprach, genügte mir nicht. Während
die beiden vorigen Redner über der Masse von Gefühlen, Betrachtungen und
historischen Reminiscenzen, die sie überströmten, die Sache, um die es sich eigent¬
lich handelte, aus den Augen verloren, hielt sich Rosenkranz mit allzu formeller
Energie lediglich an die Sache, d. h. die Fassung der Adresse, und machte den
Eindruck, als handle es hier sich blos um einen stylistischen Controvers. Er
kam mir vor, wie ein Professor, der den in's Gefühlsgenre verirrten Bureaukra¬
ten zeigen will, wie man staatsmännisch spricht. Daß er Oestreich gegen die An¬
griffe des ersten Redners vom Gesichtspunkt historischer Nothwendigkeit aus
w Schutz nahm, war recht und billig; nur ging die Rechtfertigung nicht tief ge-
u«g auf die Sache ein, und die Versicherung, daß die Podolischen Ochsen, die
Lombardische Seide, die Cremnitzer Dukaten und die ungarischen Zigeuner ein
organisches Ganze bildeten, hatte doch einen mehr belletristischen als politischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/11>, abgerufen am 15.01.2025.