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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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übrigens, was bei dieser Partei von Wichtigkeit ist, die Unmöglichkeit anerkannten?
nach den neuesten Ereignissen an einen engeren Bund mit Oestreich zu denken --
griff das Frankfurter Project aus zwei Gründen an; in materieller Hinsicht, weil
es die einzelnen Fürsten zu erblichen Präfecten herabsetzt, indem es ihnen die
Theilnahme an der Gesetzgebung entzieht; im Formaten, weil es für die Ent¬
scheidungen der Nationalversammlung diejenige Souveränität in Anspruch nimmt,
die nur den Fürsten zukäme. Dies gab dem Redner Veranlassung, sich mit leiden¬
schaftlicher Bitterkeit gegen den Begriff der Volkssouveränität überhaupt auszuspre¬
chen, durch welchen, ganz wider die Natur, der Staat von Unten aufgebaut wer¬
den sollte. Ein anhaltendes Zischen von der Linken begleitete jeden Satz dieser
Rede und wurde durch ein eben so lebhaftes Bravo von der entgegengesetzten
Seite erwidert.

Nach Beendigung dieser Rede fand sich Professor Baumstark aus Greifs¬
wald veranlaßt, von seinem Standpunkt aus zu repliciren. Nachdem ich diesen
Mann gehört habe, der während der ganzen vorigen Session die rechte Seite ge¬
führt, bin ich geneigt, den Radicalen Vieles zu verzeihen. Wie vollständig, gründ¬
lich und schwammig sieht er schou aus! Die Sätze verfließen so einfach, harmlos,
so dünn und dabei so regelmäßig! Er versicherte, er könne die Stahlschen An¬
sichten ganz und gar nicht loben, er habe vielmehr ganz andere. -- Donnerndes
Bravo von der Linken. -- Er halte sehr viel von der Volkssouveränität -- don¬
nerndes Bravo -- obgleich er gegen die Uebertreibungen derselben entschieden sich
aussprechen müsse. Er glaube an die sittliche Kraft des Volks -- Bravo -- und
sei für die konstitutionelle Monarchie -- Bravo -- die sich auf sittliche Interessen
stütze. Die Nationalversammlung habe zwei Füße: mit dem einen stehe sie auf
der sittlichen Kraft des Volkes, mit dem andern auf dem Sittlichkeitsgefühl der
Fürsten. Und die sittliche Kraft und das Sittlichkeitsgefühl zu schwächen, das
scheine ihm ein Verrath. So ungefähr ging es weiter; von der sittlichen Befrie¬
digung, welche diese Rede erregt, haben Sie keinen Begriff. Vor Allen bewun¬
derte ich den ehemaligen Minister Grafen Schwerin, der auf einer der Zuhörer-
Tribunen saß. Sein dickes, gutmüthiges Gesicht leuchtete vor inniger Verklärung;
bei jedem neuen Sittlichkeits -Stichwort schlug er auf das Pult, und sah um sich
als wollte er sagen: das ist ein Mann! der hat's ihm gut gegeben.

Nach Baumstarks Abtritt stürmte eins der Häupter der äußersten Linken,
Oberlandesgerichtsrath Maurach aus Jnsterburg, auf die Tribüne. Nicht mit
sittlicher Würde, wie Baumstark, sondern mit dem Ingrimm eines inspirirter Ge¬
müths. Er versicherte, daß nur die im Vorparlament sich aussprechende Volks-
souveränität Deutschland gerettet habe. Die Versammlung hatte des Unerhörten
bereits so viel über sich ergehen lassen, daß selbst diese Ansicht keine Verwunderung
erregte. Das Bravo der Linken galt weniger dem Inhalt der Rede als der
Energie, mit welcher sie gesprochen wurde. Nachher verlangte man namentliche


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übrigens, was bei dieser Partei von Wichtigkeit ist, die Unmöglichkeit anerkannten?
nach den neuesten Ereignissen an einen engeren Bund mit Oestreich zu denken —
griff das Frankfurter Project aus zwei Gründen an; in materieller Hinsicht, weil
es die einzelnen Fürsten zu erblichen Präfecten herabsetzt, indem es ihnen die
Theilnahme an der Gesetzgebung entzieht; im Formaten, weil es für die Ent¬
scheidungen der Nationalversammlung diejenige Souveränität in Anspruch nimmt,
die nur den Fürsten zukäme. Dies gab dem Redner Veranlassung, sich mit leiden¬
schaftlicher Bitterkeit gegen den Begriff der Volkssouveränität überhaupt auszuspre¬
chen, durch welchen, ganz wider die Natur, der Staat von Unten aufgebaut wer¬
den sollte. Ein anhaltendes Zischen von der Linken begleitete jeden Satz dieser
Rede und wurde durch ein eben so lebhaftes Bravo von der entgegengesetzten
Seite erwidert.

Nach Beendigung dieser Rede fand sich Professor Baumstark aus Greifs¬
wald veranlaßt, von seinem Standpunkt aus zu repliciren. Nachdem ich diesen
Mann gehört habe, der während der ganzen vorigen Session die rechte Seite ge¬
führt, bin ich geneigt, den Radicalen Vieles zu verzeihen. Wie vollständig, gründ¬
lich und schwammig sieht er schou aus! Die Sätze verfließen so einfach, harmlos,
so dünn und dabei so regelmäßig! Er versicherte, er könne die Stahlschen An¬
sichten ganz und gar nicht loben, er habe vielmehr ganz andere. — Donnerndes
Bravo von der Linken. — Er halte sehr viel von der Volkssouveränität — don¬
nerndes Bravo — obgleich er gegen die Uebertreibungen derselben entschieden sich
aussprechen müsse. Er glaube an die sittliche Kraft des Volks — Bravo — und
sei für die konstitutionelle Monarchie — Bravo — die sich auf sittliche Interessen
stütze. Die Nationalversammlung habe zwei Füße: mit dem einen stehe sie auf
der sittlichen Kraft des Volkes, mit dem andern auf dem Sittlichkeitsgefühl der
Fürsten. Und die sittliche Kraft und das Sittlichkeitsgefühl zu schwächen, das
scheine ihm ein Verrath. So ungefähr ging es weiter; von der sittlichen Befrie¬
digung, welche diese Rede erregt, haben Sie keinen Begriff. Vor Allen bewun¬
derte ich den ehemaligen Minister Grafen Schwerin, der auf einer der Zuhörer-
Tribunen saß. Sein dickes, gutmüthiges Gesicht leuchtete vor inniger Verklärung;
bei jedem neuen Sittlichkeits -Stichwort schlug er auf das Pult, und sah um sich
als wollte er sagen: das ist ein Mann! der hat's ihm gut gegeben.

Nach Baumstarks Abtritt stürmte eins der Häupter der äußersten Linken,
Oberlandesgerichtsrath Maurach aus Jnsterburg, auf die Tribüne. Nicht mit
sittlicher Würde, wie Baumstark, sondern mit dem Ingrimm eines inspirirter Ge¬
müths. Er versicherte, daß nur die im Vorparlament sich aussprechende Volks-
souveränität Deutschland gerettet habe. Die Versammlung hatte des Unerhörten
bereits so viel über sich ergehen lassen, daß selbst diese Ansicht keine Verwunderung
erregte. Das Bravo der Linken galt weniger dem Inhalt der Rede als der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/13>, abgerufen am 15.01.2025.