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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Ein Land, das so reich an natürlichen Schätzen und Menschenkraft war,
mußte auch einen großen Verkehr der Menschen und Güter hervorrufen. DaS
sandige Odcrbctt hatte sich seit langer Zeit feindselig dein Wasserverkehr entgegen
gestemmt, dessen Fahrzeuge doch immer größer geworden waren. So kam es, daß
die Periode des Eisenbahnbaues in Schlesien sechs Eisenbahnen hervorrief, welche
das Land nach allen Richtungen der Länge und Breite durchzieh". Der Handel
Schlesiens war noch nach der Absperrung Rußlands natürlich zunächst ein Vertrieb
der eigenen Producte und Jndnstrieerzcugnisse nach Außen, dann aber auch ein großar¬
tiger Zwischenhandel auf eigene Rechnung von Amerika, England und den deutschen
Seestädten des Nordens durch die Provinz über Krakau, Galizien und die Buko¬
wina bis an die türkische Grenze; und der weite Blick, den ein solches Geschäft
dem Kaufmann gab, der große Styl, in dem es betrieben wurde, trugen nicht
wenig dazu, bei, dem Kaufmannsstand Breslaus Selbstgefühl, Solidität und An-
sehn zu geben.

Die Stadt Breslau selbst, schon ihrer ursprünglichen Anlage nach ein großer
Marktplatz, der zur Befestigung in einen spitzen Winkel zwischen der zusammenflie¬
ßenden Oder und Ohlau gebant worden war, erhält dnrch ihren stattlichen Ring
(Markt) und das lebhafte Treiben aus den Straßen, welche in ihm münden, eine
Concentration des Verkehrs der 110,000 Einwohner, welche den Eintretenden
überrascht. Natürlich ist sie auch der Hauptsitz des wissenschaftlichen und künstle¬
rischen Lebens der Provinz. Allerdings ist die Zeit vorüber, oder noch nicht
zurückgekehrt, wo sich der Schwerpunkt deutscher Gelehrsamkeit und Kunst aus der
geschwächten Mitte Deutschlands nach seinen Ausländern, in seine Peripherie ver¬
legt, um von dort aus das Ganze zu erhalten und neue Entwicklungen vorzuberei¬
ten; allerdings zählt die Universität Breslau wenig bedeutende Männer unter
ihren Lehrern und die Freude und Genuß an der bildenden Kunst sind in dem
Schlesier noch wenig ausgebildet. Es ist ein Unglück, daß die Entfernung des
Landes von den übrigen Cnltnrstätten Deutschlands seine Söhne zwingt, ihre
Bildung fast ausschließlich aus deu unvollkommenen Bildungsmitteln der Pro-
vinz zu schöpfen; geistige Armuth, Unselbständigkeit, Abhängigkeit von veralte¬
ten Phrasen und Unbekanntschaft mit der "Welt" sind die häufigen Folgen der
isolirten Lage des schönen Landes. Doch in Vielem wird dieser Uebelstand durch
die Persönlichkeit des Schlesicrs gemildert. Er ist lebhaft, gesellig, gesprächig,
leicht erregt und leicht befriedigt, schnell im Erfassen des Neuen, aber nicht eben
so stark an Ausdaner, an beharrlicher Kraft. Eifrig und sanguinisch, wird er
leicht von einem ExtreÄ ins andere gezogen, seine Phantasie schafft ihm schnell
Ideale, aber sein leichter Sinn läßt ihn nicht zu einem tragischen Kampf mit der
Wirklichkeit kommen. Schlesien ist das Land der Gelegenheitsgedichte, der geselli¬
gen Kalenderfeste, der Nesourcen, Elubs, Harmonien und Humanitäten. Als
Arbeiter ist der Schlester gutwillig und anstellig, aber er schafft weniger, als


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Ein Land, das so reich an natürlichen Schätzen und Menschenkraft war,
mußte auch einen großen Verkehr der Menschen und Güter hervorrufen. DaS
sandige Odcrbctt hatte sich seit langer Zeit feindselig dein Wasserverkehr entgegen
gestemmt, dessen Fahrzeuge doch immer größer geworden waren. So kam es, daß
die Periode des Eisenbahnbaues in Schlesien sechs Eisenbahnen hervorrief, welche
das Land nach allen Richtungen der Länge und Breite durchzieh«. Der Handel
Schlesiens war noch nach der Absperrung Rußlands natürlich zunächst ein Vertrieb
der eigenen Producte und Jndnstrieerzcugnisse nach Außen, dann aber auch ein großar¬
tiger Zwischenhandel auf eigene Rechnung von Amerika, England und den deutschen
Seestädten des Nordens durch die Provinz über Krakau, Galizien und die Buko¬
wina bis an die türkische Grenze; und der weite Blick, den ein solches Geschäft
dem Kaufmann gab, der große Styl, in dem es betrieben wurde, trugen nicht
wenig dazu, bei, dem Kaufmannsstand Breslaus Selbstgefühl, Solidität und An-
sehn zu geben.

Die Stadt Breslau selbst, schon ihrer ursprünglichen Anlage nach ein großer
Marktplatz, der zur Befestigung in einen spitzen Winkel zwischen der zusammenflie¬
ßenden Oder und Ohlau gebant worden war, erhält dnrch ihren stattlichen Ring
(Markt) und das lebhafte Treiben aus den Straßen, welche in ihm münden, eine
Concentration des Verkehrs der 110,000 Einwohner, welche den Eintretenden
überrascht. Natürlich ist sie auch der Hauptsitz des wissenschaftlichen und künstle¬
rischen Lebens der Provinz. Allerdings ist die Zeit vorüber, oder noch nicht
zurückgekehrt, wo sich der Schwerpunkt deutscher Gelehrsamkeit und Kunst aus der
geschwächten Mitte Deutschlands nach seinen Ausländern, in seine Peripherie ver¬
legt, um von dort aus das Ganze zu erhalten und neue Entwicklungen vorzuberei¬
ten; allerdings zählt die Universität Breslau wenig bedeutende Männer unter
ihren Lehrern und die Freude und Genuß an der bildenden Kunst sind in dem
Schlesier noch wenig ausgebildet. Es ist ein Unglück, daß die Entfernung des
Landes von den übrigen Cnltnrstätten Deutschlands seine Söhne zwingt, ihre
Bildung fast ausschließlich aus deu unvollkommenen Bildungsmitteln der Pro-
vinz zu schöpfen; geistige Armuth, Unselbständigkeit, Abhängigkeit von veralte¬
ten Phrasen und Unbekanntschaft mit der „Welt" sind die häufigen Folgen der
isolirten Lage des schönen Landes. Doch in Vielem wird dieser Uebelstand durch
die Persönlichkeit des Schlesicrs gemildert. Er ist lebhaft, gesellig, gesprächig,
leicht erregt und leicht befriedigt, schnell im Erfassen des Neuen, aber nicht eben
so stark an Ausdaner, an beharrlicher Kraft. Eifrig und sanguinisch, wird er
leicht von einem ExtreÄ ins andere gezogen, seine Phantasie schafft ihm schnell
Ideale, aber sein leichter Sinn läßt ihn nicht zu einem tragischen Kampf mit der
Wirklichkeit kommen. Schlesien ist das Land der Gelegenheitsgedichte, der geselli¬
gen Kalenderfeste, der Nesourcen, Elubs, Harmonien und Humanitäten. Als
Arbeiter ist der Schlester gutwillig und anstellig, aber er schafft weniger, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/91>, abgerufen am 23.07.2024.