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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der norddeutsche, freilich ist er auch genügsamer, als z. B. der zähere Märker
öder Pomiuer und die Sätze seines Tagelohns sind fast um die Hälfte geringer.
Diese Volksindividualität, welche man in allen Gegenden Schlesiens erkennen kann,
hat viele Nuancen. Der Niederschlefier ist schwächer als der Oberschlesier. Dort
wächst unter den Deutschen ein Geschlecht mit breiten Schultern und rothen Backen,
rauhe lustige Gesellen, welche deu Ungarwein wegen seines Feuers jedem andern
vorziehn, unendlich zu lachen wissen und den Fausthandschuh lieber tragen als den
glacirten, es siud die Keutuckier Schlesiens. Auch die polnische Bevölkerung Ober¬
schlesiens hat in einzelnen Kreisen schöne große Gestalten, einen kräftigen Men¬
schenschlag, der sehr geschickt und genau zu arbeiten weiß, aber nie ohne Aussicht
sein darf. Am meisten verkümmert und entartet sind die Bewohner des Gebirges.

Ich sage, so ist es in Schlesien, es könnte auch heißen, so war es. Noch bestehen alle die
Verhältnisse, welche durch eine gefährliche Entwickelungsperiode nicht sogleich vernichtet
werden, aber Vieles hat sich sehr traurig verändert. Die Feuer der Hüttenwerke sind
ausgelöscht, der Klang des Eisenhammers belebt nicht mehr die Wälder, dafür
hört man die lauten Axtschläge des Holzdiebs und die Flintenschüsse des Wilderers,
die Kratzbürste des Tuchmachers fährt nur hier und da traurig über ein einzelnes,
ausgespanntes Stück Tuch, die Linnenbleichen des Gebirges wurden erst weiß, als
der Winterschnee darauf fiel; statt behaglichem Lächeln sieht man in dem Gesicht
des ritterlichen Farmers die Furche" der Sorge und Angst, und ein düstres Auge,
so oft er deu trotzigen Gruß seiner Dorfbewohner zu beantworten bat; viele der
Schlösser stehen leer, ihre Bewohner sind geflüchtet, dagegen ist in deu Schenken
ein wüstes Gedräng und hitzige Verschwörung; in den Comtoirs der Kaufleute
und Fabrikanten ahnt der Eintretende leere Kasten, steht er doch die vertrockneten
Federn sehnsüchtig ihre Schnäbel aufsperren; aus den Thälern der Gebirge tönt
lauter Hungerruf, die Fnhrmanuswege liegen verödet, und auf den Straßen Bres-
laus drängt sich cigarrenrauchend, die Hände in den Taschen, massenhaft und lun¬
gernd ein wüstes, dem oral ifirtes Gesindel. So steht es jetzt in Schlesien aus.
Der Winter verhüllt manchen Schaden mit seiner kalten Decke, heilen wird er ihn
schwerlich. Wäre die Verwüstung, welche Schlesien getroffen hat, die blutdürstige
Empörung des Landvolks in einzelnen Kreisen, die allgemeine Niedergeschlagenheit,
der Druck, welcher auf Handel und Gewerbe liegt, nur und allein Folge der
gegenwärtigen politischen Krisis, so wäre wenig darüber zu sagen, und mau könnte
alle diese Leiden mit der Hoffnung abfertigen, daß die Zukunft Besserung bringen
werde. So aber stehr es in Schlesien nicht; der größte Theil der Wunden, welche
jetzt offen und winterlich zu Tage liegen, rührt von altem Siechthum her, welches
lange Zeit im Verborgenen um sich griff. Es ist ein tragisches Verhängnis;, welches
seit vielen Jahren über der Provinz schwebt, und es wird nicht ohne Interesse
fein, seinen Lauf zu verfolgen. Schon vor einiger Zeit kamen dem übrigen Deutsch¬
land Zeichen dieses Unheils. Vor vier Jahren ging ein Nothruf- der schlesischen


der norddeutsche, freilich ist er auch genügsamer, als z. B. der zähere Märker
öder Pomiuer und die Sätze seines Tagelohns sind fast um die Hälfte geringer.
Diese Volksindividualität, welche man in allen Gegenden Schlesiens erkennen kann,
hat viele Nuancen. Der Niederschlefier ist schwächer als der Oberschlesier. Dort
wächst unter den Deutschen ein Geschlecht mit breiten Schultern und rothen Backen,
rauhe lustige Gesellen, welche deu Ungarwein wegen seines Feuers jedem andern
vorziehn, unendlich zu lachen wissen und den Fausthandschuh lieber tragen als den
glacirten, es siud die Keutuckier Schlesiens. Auch die polnische Bevölkerung Ober¬
schlesiens hat in einzelnen Kreisen schöne große Gestalten, einen kräftigen Men¬
schenschlag, der sehr geschickt und genau zu arbeiten weiß, aber nie ohne Aussicht
sein darf. Am meisten verkümmert und entartet sind die Bewohner des Gebirges.

Ich sage, so ist es in Schlesien, es könnte auch heißen, so war es. Noch bestehen alle die
Verhältnisse, welche durch eine gefährliche Entwickelungsperiode nicht sogleich vernichtet
werden, aber Vieles hat sich sehr traurig verändert. Die Feuer der Hüttenwerke sind
ausgelöscht, der Klang des Eisenhammers belebt nicht mehr die Wälder, dafür
hört man die lauten Axtschläge des Holzdiebs und die Flintenschüsse des Wilderers,
die Kratzbürste des Tuchmachers fährt nur hier und da traurig über ein einzelnes,
ausgespanntes Stück Tuch, die Linnenbleichen des Gebirges wurden erst weiß, als
der Winterschnee darauf fiel; statt behaglichem Lächeln sieht man in dem Gesicht
des ritterlichen Farmers die Furche» der Sorge und Angst, und ein düstres Auge,
so oft er deu trotzigen Gruß seiner Dorfbewohner zu beantworten bat; viele der
Schlösser stehen leer, ihre Bewohner sind geflüchtet, dagegen ist in deu Schenken
ein wüstes Gedräng und hitzige Verschwörung; in den Comtoirs der Kaufleute
und Fabrikanten ahnt der Eintretende leere Kasten, steht er doch die vertrockneten
Federn sehnsüchtig ihre Schnäbel aufsperren; aus den Thälern der Gebirge tönt
lauter Hungerruf, die Fnhrmanuswege liegen verödet, und auf den Straßen Bres-
laus drängt sich cigarrenrauchend, die Hände in den Taschen, massenhaft und lun¬
gernd ein wüstes, dem oral ifirtes Gesindel. So steht es jetzt in Schlesien aus.
Der Winter verhüllt manchen Schaden mit seiner kalten Decke, heilen wird er ihn
schwerlich. Wäre die Verwüstung, welche Schlesien getroffen hat, die blutdürstige
Empörung des Landvolks in einzelnen Kreisen, die allgemeine Niedergeschlagenheit,
der Druck, welcher auf Handel und Gewerbe liegt, nur und allein Folge der
gegenwärtigen politischen Krisis, so wäre wenig darüber zu sagen, und mau könnte
alle diese Leiden mit der Hoffnung abfertigen, daß die Zukunft Besserung bringen
werde. So aber stehr es in Schlesien nicht; der größte Theil der Wunden, welche
jetzt offen und winterlich zu Tage liegen, rührt von altem Siechthum her, welches
lange Zeit im Verborgenen um sich griff. Es ist ein tragisches Verhängnis;, welches
seit vielen Jahren über der Provinz schwebt, und es wird nicht ohne Interesse
fein, seinen Lauf zu verfolgen. Schon vor einiger Zeit kamen dem übrigen Deutsch¬
land Zeichen dieses Unheils. Vor vier Jahren ging ein Nothruf- der schlesischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/92>, abgerufen am 23.12.2024.