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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gesetzt. Wenn man ihm zumuthet, dabei zu denken, so fühlt es sich beleidigt.
Abgesehen von diesem äußerlichen Grund, lauft der Dichter in diesem Element
der Willkür jedesmal Gefahr, den Boden zu verlieren. Der Witz spitzt sich im¬
mer feiner zu, wird immer lustiger, die Ironie immer souveräner, bis sie sich
zuletzt in einfache Albernheit auflöst. Ein poetischer Sinn kann in guter Ctunde,
in jugendlichem Uebermuth einmal eine glückliche Idee erHaschen; sie muß ihm
aber von selbst kommen, als Aufgabe der Kunst hingestellt, ist es ein Il-we-xmit,
für welchen ich selbst keinen Sinn habe. Die Kunst soll uns gerade ans unserm
raffinirten, blasirten, zerstreuten Wesen heraustreibe", sie soll uus an Gesetz und
Zweckmäßigkeit gewöhnen. Uns Deutschen thut es vor'Allein Noth, da uns große
Anschauungen fehlen; die Ironie geht zu leicht in einem Cirkel zurück, sie stichelt
auf literarische Reminiscenzen. Aus dieser verdammten, abstracten Literatur kann
uns nur ein Dichter erlösen, der deu Verstand und'die Technik Ifflands besitzt,
und mehr Geist und moderne Anschauung -- vorausgesetzt, daß dieses Moderne nicht,
wie es bei Gutzkow der Fall ist, eben in jener Zerstreutheit und Willkür besteht,
welche die Kunst bekämpfen soll.

Das Berliner Theaterpublikum ist schwer zu analysiren. Das Urtheil unserer
Leipziger ist zwar nicht immer stichhaltig, aber es läßt sich berechnen; man nehme
den möglichst philiströsen Maßstab, und mau wird das richtige Niveau erreichen.
Der Berliner dagegen ist wankelmüthig; freilich wechselt anch das Publikum mehr,
aber im Allgemeinen sollte man doch denken, es müsse sich aus verschiedenen Vor¬
stellungen eine mittlere Proportionale herausziehen lassen. Umsonst, das Berliner-
thum ist seiner Frivolität wegen berüchtigt, im Theater sollte man glaube", es sei
eigentlich sentimental. Freilich schließt sich beides nicht aus. Gestern wurde im Schau-
spielhause Ifflands "Spieler" gegeben. Ich versichere, das ganze Parquet sah
wie eine Remise ans, in der man Wäsche zum Trocknen aufgehängt hat. An je¬
dem Auge hing ein Taschentuch, und wie reichlich quollen die Thränen. Das
Familiencleud im Hause des leichtsinnigen jungen Mannes erregte die herzlichste
Theilnahme. Der freudigste Jubel erfolgte, als die Versöhnung in der Person
Sr. Excellenz des Herrn Kriegsministers den ungerathenen Burschen auf eine ebenso
detcrminirte, als väterliche Weise besserte, und als sie mit etwas türkisch pri¬
mitiver Justiz hinzusetzte: Wenn Sie, mein Werthester, Ihre brave Frau durch
Ihren unmoralischen Lebenswandel aufs Neue betrüben, so kommen Sie Zeitle¬
bens auf die Festung; da kannte das Entzücken der sittlichen Befriedigung keine
Grenze mehr. Auch viele Gardelcutuants -- die überhaupt vou Natur viel gut¬
müthiger sind, als man es gewöhnlich glauben will, drückten durch überlautes
Bravo ihre Anerkennung ans. Mit großer Lebhaftigkeit wurde das Institut der
öffnttlichcu Baute" gerügt, und ich denke , die Vorstellung wird zu einer Petition
an die hohe Kammer Veranlassung geben. Die Princeß Karl war mit ihrem
Sohn in der Loge, und hatte die Vorstellung eigens bestellt. Glauben Sie mir,


gesetzt. Wenn man ihm zumuthet, dabei zu denken, so fühlt es sich beleidigt.
Abgesehen von diesem äußerlichen Grund, lauft der Dichter in diesem Element
der Willkür jedesmal Gefahr, den Boden zu verlieren. Der Witz spitzt sich im¬
mer feiner zu, wird immer lustiger, die Ironie immer souveräner, bis sie sich
zuletzt in einfache Albernheit auflöst. Ein poetischer Sinn kann in guter Ctunde,
in jugendlichem Uebermuth einmal eine glückliche Idee erHaschen; sie muß ihm
aber von selbst kommen, als Aufgabe der Kunst hingestellt, ist es ein Il-we-xmit,
für welchen ich selbst keinen Sinn habe. Die Kunst soll uns gerade ans unserm
raffinirten, blasirten, zerstreuten Wesen heraustreibe», sie soll uus an Gesetz und
Zweckmäßigkeit gewöhnen. Uns Deutschen thut es vor'Allein Noth, da uns große
Anschauungen fehlen; die Ironie geht zu leicht in einem Cirkel zurück, sie stichelt
auf literarische Reminiscenzen. Aus dieser verdammten, abstracten Literatur kann
uns nur ein Dichter erlösen, der deu Verstand und'die Technik Ifflands besitzt,
und mehr Geist und moderne Anschauung — vorausgesetzt, daß dieses Moderne nicht,
wie es bei Gutzkow der Fall ist, eben in jener Zerstreutheit und Willkür besteht,
welche die Kunst bekämpfen soll.

Das Berliner Theaterpublikum ist schwer zu analysiren. Das Urtheil unserer
Leipziger ist zwar nicht immer stichhaltig, aber es läßt sich berechnen; man nehme
den möglichst philiströsen Maßstab, und mau wird das richtige Niveau erreichen.
Der Berliner dagegen ist wankelmüthig; freilich wechselt anch das Publikum mehr,
aber im Allgemeinen sollte man doch denken, es müsse sich aus verschiedenen Vor¬
stellungen eine mittlere Proportionale herausziehen lassen. Umsonst, das Berliner-
thum ist seiner Frivolität wegen berüchtigt, im Theater sollte man glaube», es sei
eigentlich sentimental. Freilich schließt sich beides nicht aus. Gestern wurde im Schau-
spielhause Ifflands „Spieler" gegeben. Ich versichere, das ganze Parquet sah
wie eine Remise ans, in der man Wäsche zum Trocknen aufgehängt hat. An je¬
dem Auge hing ein Taschentuch, und wie reichlich quollen die Thränen. Das
Familiencleud im Hause des leichtsinnigen jungen Mannes erregte die herzlichste
Theilnahme. Der freudigste Jubel erfolgte, als die Versöhnung in der Person
Sr. Excellenz des Herrn Kriegsministers den ungerathenen Burschen auf eine ebenso
detcrminirte, als väterliche Weise besserte, und als sie mit etwas türkisch pri¬
mitiver Justiz hinzusetzte: Wenn Sie, mein Werthester, Ihre brave Frau durch
Ihren unmoralischen Lebenswandel aufs Neue betrüben, so kommen Sie Zeitle¬
bens auf die Festung; da kannte das Entzücken der sittlichen Befriedigung keine
Grenze mehr. Auch viele Gardelcutuants — die überhaupt vou Natur viel gut¬
müthiger sind, als man es gewöhnlich glauben will, drückten durch überlautes
Bravo ihre Anerkennung ans. Mit großer Lebhaftigkeit wurde das Institut der
öffnttlichcu Baute» gerügt, und ich denke , die Vorstellung wird zu einer Petition
an die hohe Kammer Veranlassung geben. Die Princeß Karl war mit ihrem
Sohn in der Loge, und hatte die Vorstellung eigens bestellt. Glauben Sie mir,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/478>, abgerufen am 26.11.2024.