Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.in die Königstadt führen. Dieses Institut hat die löbliche Sitte, von einem ein¬ in die Königstadt führen. Dieses Institut hat die löbliche Sitte, von einem ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278465"/> <p xml:id="ID_2688" prev="#ID_2687" next="#ID_2689"> in die Königstadt führen. Dieses Institut hat die löbliche Sitte, von einem ein¬<lb/> zigen Stück eine ganze Saison hindurch zu zehren, auch uach den Märztagen bei¬<lb/> behalten. In diesem Augenblicke sind „die Töchter Lucifers" auf dem Brett, ein<lb/> Blödsinn, gegen den der „Artesische Brunnen" und ähnliche Possen für Weisheit<lb/> Salomonis gelten könnte. Der Berliner nimmt es aber dankbar hin, weil in<lb/> ihm ein großes Weißbierglas nud ähnliche Masken über das Theater wackeln.<lb/> In dieser Woche wird es zum 70sten Male gegeben. Ein anderes Stück, von<lb/> Kaiser: die Ehe im Traum, welches einen wirklich poetischen Anlauf nahm, hatte<lb/> Unglück. Die Idee ist komisch genug. Ein alter Geck will ein junges Mädchen<lb/> heirathen; um ihn davon abzubringen, gibt ihm ein Freund einen Schlaftrunk,<lb/> und bildet ihm ein, derselbe habe die Kraft, ihm im Traum die Zukunft zu zeigen.<lb/> Als er aufwacht, erfährt er, er sei bereits ein Jahr verheirathet; seine Frau be¬<lb/> handelt ihn schlecht, bringt ihm viel Geld durch, hält sich Liebhaber und Renn¬<lb/> pferde u. f. w. Er glaubt nun zu träumen, und die fortdauernde Vermischung<lb/> seiner Vorstellungen, wie er bald im Bett zu liegen meint, und sich umdreht, um<lb/> den häßlichen Traum los zu werden, die auftretenden Personen bald als wirk¬<lb/> liche Menschen, bald als Wahngebilde seiner Phantasie behandelt, ist allerliebst;<lb/> der verwunschene Prinz ist nichts dagegen. Aber es war Caviar sür das Volk.<lb/> Wie eben der alte Geck seinem Freunde zu beweisen sucht, seiue Existenz sei eine<lb/> bloße Einbildung, und er dürfe nur die Augen zudrücken, um ihn verschwinden zu<lb/> machen, erhob sich von ziemlich alle» Seiten ein heftiges Pochen und Zischen:<lb/> Grobcckcr sagte zu l'Arronghe, der sich eben abmühte, sich dem Traum zu ent¬<lb/> winden: wenn Sie über dem Spektakel nicht aufwachen, so begreife ick) nicht!<lb/> Vom Parterre aus erhob sich eine Stimme: So etwas darf man uns nicht bie¬<lb/> ten! wir sind keine Vogtländer! DaS kränkte wieder die Ehre der Galerie: wer<lb/> untersteht sich, auf die Vogtländer zu räsouuiren! schrie man von dort herunter.<lb/> Dazwischen fortdauerndes Pochen von der einen, Klatschen von der andern Seite.<lb/> „Ist denn hente die ganze Hölle los gelassen?" schrie L'Arro»ghe, indem er an<lb/> den Souffleurkasten stürzte. DaS Stück konnte nicht zu Ende gespielt werden.<lb/> Ich wußte eigentlich nicht recht, was den Lärm veranlaßt hätte, beim Heraus¬<lb/> gehen aber hörte ich einen schwarzbärtigen Banquier mit großer Entrüstung seinem<lb/> Nachbar zurufen: in dem Stück ist ja gar keine moralische Idee! — Moralische<lb/> Idee! — Ick) erlaube mir, eine Bemerkung daran zu knüpfen. Wir haben öfters<lb/> über die poetische Berechtigung der Posse und die Anwendung der Zauberei in<lb/> derselben zur Erleichterung phantastischer Uebergänge mit einander dispnttrt. Sie<lb/> haben sich dafür erklärt, und es als eine nicht unbedeutende Aufgabe für einen<lb/> Dichter hingestellt, das an sich untergeordnete Genre durch Feinheit und Bildung<lb/> zu veredeln. Ich bin durch dies Stück in meiner entgegengesetzten Ansicht be¬<lb/> stärkt. Eine gewisse Plumpheit gehört zum Wesen der Posse. Die Nerven des<lb/> Publikums, für welches sie sich eignet, werden nur durch Faustschläge in Bewegung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
in die Königstadt führen. Dieses Institut hat die löbliche Sitte, von einem ein¬
zigen Stück eine ganze Saison hindurch zu zehren, auch uach den Märztagen bei¬
behalten. In diesem Augenblicke sind „die Töchter Lucifers" auf dem Brett, ein
Blödsinn, gegen den der „Artesische Brunnen" und ähnliche Possen für Weisheit
Salomonis gelten könnte. Der Berliner nimmt es aber dankbar hin, weil in
ihm ein großes Weißbierglas nud ähnliche Masken über das Theater wackeln.
In dieser Woche wird es zum 70sten Male gegeben. Ein anderes Stück, von
Kaiser: die Ehe im Traum, welches einen wirklich poetischen Anlauf nahm, hatte
Unglück. Die Idee ist komisch genug. Ein alter Geck will ein junges Mädchen
heirathen; um ihn davon abzubringen, gibt ihm ein Freund einen Schlaftrunk,
und bildet ihm ein, derselbe habe die Kraft, ihm im Traum die Zukunft zu zeigen.
Als er aufwacht, erfährt er, er sei bereits ein Jahr verheirathet; seine Frau be¬
handelt ihn schlecht, bringt ihm viel Geld durch, hält sich Liebhaber und Renn¬
pferde u. f. w. Er glaubt nun zu träumen, und die fortdauernde Vermischung
seiner Vorstellungen, wie er bald im Bett zu liegen meint, und sich umdreht, um
den häßlichen Traum los zu werden, die auftretenden Personen bald als wirk¬
liche Menschen, bald als Wahngebilde seiner Phantasie behandelt, ist allerliebst;
der verwunschene Prinz ist nichts dagegen. Aber es war Caviar sür das Volk.
Wie eben der alte Geck seinem Freunde zu beweisen sucht, seiue Existenz sei eine
bloße Einbildung, und er dürfe nur die Augen zudrücken, um ihn verschwinden zu
machen, erhob sich von ziemlich alle» Seiten ein heftiges Pochen und Zischen:
Grobcckcr sagte zu l'Arronghe, der sich eben abmühte, sich dem Traum zu ent¬
winden: wenn Sie über dem Spektakel nicht aufwachen, so begreife ick) nicht!
Vom Parterre aus erhob sich eine Stimme: So etwas darf man uns nicht bie¬
ten! wir sind keine Vogtländer! DaS kränkte wieder die Ehre der Galerie: wer
untersteht sich, auf die Vogtländer zu räsouuiren! schrie man von dort herunter.
Dazwischen fortdauerndes Pochen von der einen, Klatschen von der andern Seite.
„Ist denn hente die ganze Hölle los gelassen?" schrie L'Arro»ghe, indem er an
den Souffleurkasten stürzte. DaS Stück konnte nicht zu Ende gespielt werden.
Ich wußte eigentlich nicht recht, was den Lärm veranlaßt hätte, beim Heraus¬
gehen aber hörte ich einen schwarzbärtigen Banquier mit großer Entrüstung seinem
Nachbar zurufen: in dem Stück ist ja gar keine moralische Idee! — Moralische
Idee! — Ick) erlaube mir, eine Bemerkung daran zu knüpfen. Wir haben öfters
über die poetische Berechtigung der Posse und die Anwendung der Zauberei in
derselben zur Erleichterung phantastischer Uebergänge mit einander dispnttrt. Sie
haben sich dafür erklärt, und es als eine nicht unbedeutende Aufgabe für einen
Dichter hingestellt, das an sich untergeordnete Genre durch Feinheit und Bildung
zu veredeln. Ich bin durch dies Stück in meiner entgegengesetzten Ansicht be¬
stärkt. Eine gewisse Plumpheit gehört zum Wesen der Posse. Die Nerven des
Publikums, für welches sie sich eignet, werden nur durch Faustschläge in Bewegung
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