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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mein Freund, unter dem preußischen Blau schlägt ein weiches, edelmüthigcS Herz, und
der spöttische Ausdruck des Berliner Blicks versteckt eine reiche Thräncnquclle.
Ich fühle in jeder Kammersitzung, wie ich besser werde; wenn ich in die Kirche
ginge, könnte ich kein schöneres Manna davontragen. Wie rührend ist es, wenn
die Herren von der Linken -- was bei keiner Rede fehlen darf -- auf ihre Lei¬
den zu sprechen kommen. Temme namentlich sprach mit zitternder, halb unter¬
drückter Stimme von diese" Verfolgungen, das arme Lamm, und ich glaube, die
Herren Minister selbst waren im Begriff, zu weinen. Wenigstens schließe ich das
aus einer Scene, die Herr v. Ladenberg aufführte. Ein Lehrer, Herr
Olawski, kam auf die Noth deö Lehrerstandes zu sprechen, und beantragte die
Einsetzung einer Commission, die sich mit der Hebung desselben zu beschäftigen
hätte. Daraus erhob sich der Cultusminister. Er sprach mit bewegter Stimme
von der Noth und dem Kummer der armen Lehrer, die ihr trocken Brot mit ih¬
ren Thränen befeuchteten, und doch nicht murrten. Die Staatsregierung thue
alles Mögliche, um die Thränen der Unglücklichen zu trocknen, es seien ihr aber
überall die Hände gebunden. Er selbst habe den Herrn Finanzminister auf daS
Inständigste ersucht, ihm doch diesmal mehr Geld zur außerordentlichen Unter¬
stützung armer Lehrer zu bewilligen, aber der Herr Finanzminister habe seine Bitten
nicht erhört, er habe behauptet, es sei kein Geld in den Cassen. Er sei nnn
überzeugt, der Herr FinanzMinistcr sei ein ehrlicher Mann, aber es sollen sich ja
die Finanzen verbessert haben, und die Kammer möge doch ihrerseits den Herrn
Finanzminister bitten, er selber werde alles Mögliche anwenden, um dieses Gesuch
zu unterstützen. Die Kammer war tief gerührt, mir wurde ganz patriarchalisch
zu Muthe, es war mir, als hörte ich die Fluthen um den kahlen Gipfel deS
Arurat rauschen, und als müßte nnn bald der Vater Noah aus irgend einer
Nische hervortreten, mit der Weinrebe in der Hand. Prof. Olawski, der nur
zuweilen leise den Kopf schüttelte, nickte bei den meisten Fällen beifällig mit seinem
blassen Gesicht und der etwas unverhältnißmäßig gefärbten Nase, trat dann auf
die Rednerbühne und erklärte, er sei im Allgemeinen befriedigt, und nehme seinen
Antrag zurück. Diese Bescheidenheit rief eine sittliche Entrüstung in der Brust
des Assessor Parrisiuö hervor, und er donnerte gegen die Millionen, die an das
Militär verschwendet und den Taschen der armen Schullehrer entzogen würden.
Ich könnte Ihnen noch tausend Beispiele edler Menschenfreundlichkeit erzählen.
Nur Eines. Der Abgeordnete Philipps, Oberbürgermeister von Elbing, tritt
auf die Tribune, und versichert im Interesse der Freiheit und der Wahrheit zu
sprechen. Er setzte die Bemerkung hinzu, daß schon zu den Zeiten des Tacitus
und während der Völkerwanderung die Deutschen wegen ihrer Wahrheitsliebe be¬
rufen gewesen, und diese Wahrheitsliebe habe sich immer erhalte", aber neuerdings
suchte mau das gute Volk zu corrumpiren; er ließ daraus einige Bemerkungen
über die Leiden fallen, denen die Männer des Volks in dieser ungerechten Welt


mein Freund, unter dem preußischen Blau schlägt ein weiches, edelmüthigcS Herz, und
der spöttische Ausdruck des Berliner Blicks versteckt eine reiche Thräncnquclle.
Ich fühle in jeder Kammersitzung, wie ich besser werde; wenn ich in die Kirche
ginge, könnte ich kein schöneres Manna davontragen. Wie rührend ist es, wenn
die Herren von der Linken — was bei keiner Rede fehlen darf — auf ihre Lei¬
den zu sprechen kommen. Temme namentlich sprach mit zitternder, halb unter¬
drückter Stimme von diese» Verfolgungen, das arme Lamm, und ich glaube, die
Herren Minister selbst waren im Begriff, zu weinen. Wenigstens schließe ich das
aus einer Scene, die Herr v. Ladenberg aufführte. Ein Lehrer, Herr
Olawski, kam auf die Noth deö Lehrerstandes zu sprechen, und beantragte die
Einsetzung einer Commission, die sich mit der Hebung desselben zu beschäftigen
hätte. Daraus erhob sich der Cultusminister. Er sprach mit bewegter Stimme
von der Noth und dem Kummer der armen Lehrer, die ihr trocken Brot mit ih¬
ren Thränen befeuchteten, und doch nicht murrten. Die Staatsregierung thue
alles Mögliche, um die Thränen der Unglücklichen zu trocknen, es seien ihr aber
überall die Hände gebunden. Er selbst habe den Herrn Finanzminister auf daS
Inständigste ersucht, ihm doch diesmal mehr Geld zur außerordentlichen Unter¬
stützung armer Lehrer zu bewilligen, aber der Herr Finanzminister habe seine Bitten
nicht erhört, er habe behauptet, es sei kein Geld in den Cassen. Er sei nnn
überzeugt, der Herr FinanzMinistcr sei ein ehrlicher Mann, aber es sollen sich ja
die Finanzen verbessert haben, und die Kammer möge doch ihrerseits den Herrn
Finanzminister bitten, er selber werde alles Mögliche anwenden, um dieses Gesuch
zu unterstützen. Die Kammer war tief gerührt, mir wurde ganz patriarchalisch
zu Muthe, es war mir, als hörte ich die Fluthen um den kahlen Gipfel deS
Arurat rauschen, und als müßte nnn bald der Vater Noah aus irgend einer
Nische hervortreten, mit der Weinrebe in der Hand. Prof. Olawski, der nur
zuweilen leise den Kopf schüttelte, nickte bei den meisten Fällen beifällig mit seinem
blassen Gesicht und der etwas unverhältnißmäßig gefärbten Nase, trat dann auf
die Rednerbühne und erklärte, er sei im Allgemeinen befriedigt, und nehme seinen
Antrag zurück. Diese Bescheidenheit rief eine sittliche Entrüstung in der Brust
des Assessor Parrisiuö hervor, und er donnerte gegen die Millionen, die an das
Militär verschwendet und den Taschen der armen Schullehrer entzogen würden.
Ich könnte Ihnen noch tausend Beispiele edler Menschenfreundlichkeit erzählen.
Nur Eines. Der Abgeordnete Philipps, Oberbürgermeister von Elbing, tritt
auf die Tribune, und versichert im Interesse der Freiheit und der Wahrheit zu
sprechen. Er setzte die Bemerkung hinzu, daß schon zu den Zeiten des Tacitus
und während der Völkerwanderung die Deutschen wegen ihrer Wahrheitsliebe be¬
rufen gewesen, und diese Wahrheitsliebe habe sich immer erhalte», aber neuerdings
suchte mau das gute Volk zu corrumpiren; er ließ daraus einige Bemerkungen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/479>, abgerufen am 26.11.2024.