Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Pflicht. In der Instruction des Herrn General Wrangel ist uns aufgegeben,
nur solche Fremde zuzulassen, welche legitimirt sind und einen nothwendigen Auf¬
enthaltsgrund nachweisen können. Das erstere sind Sie durch Ihren Paß; aber
nothwendig ist Ihr Aufenthalt keineswegs, ich bedaure daher, daß ich Sie
si stiren lassen muß (sistireu ist ein vom Belagerungszustand in Glacehandschuhen
erfundener Ausdruck für arretiren). Ich kann Ihnen voraussagen, daß eine Ver¬
wendung Ihnen nichts helfen wird, und wenn Sie vom Prinzen von Preußen
ausginge, denn die Pflicht geht über Alles. Uebrigens nehmen wir jede mögliche
Rücksicht, und der Constabler, der Sie transportiren wird, hat die Anweisung,
in angemessener Entfernung hinter Ihnen zu gehen." - Damit drückte er mir
freundschaftlich die Hand und wünschte mir glückliche Reise. -- Daß es mit der
Ungiltigkeit von Konnexionen, dem Prinzen von Preußen u. s. w. nicht so gefährlich
ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen. Ich habe später von mehreren
meiner Freunde ein ähnliches Schicksal gehört; man hat sie sogar ohne Weiteres
nach der Hausvogtei gebracht. Was die Maßregel des "Sistirens" eigentlich soll,
wenn man gar nicht im Entferntesten die Absicht äußerte, Widerstand zu leisten,
habe ich nicht recht erfahren können; es wird ans den moralischen Eindruck be¬
rechnet sein, auf den heilsamen Schauder des Belagerungsznstandes. -- Entschul¬
digen Sie diese Anecdote; da der Belagerungszustand in den nächsten Tagen
wahrscheinlich aufgehoben oder wenigstens wesentlich modificirt wird, kann sie einen
historischen Werth haben.

Der militärische Anstrich der Stadt zeigt sich für einen, der Berlin früher
kannte und der von der ganzen Revolutionszeit nur eine kleine Episode erlebt
hat, die ihm wie ein Traum in der Phantasie vorübergeflogen ist, weniger in
den Straßen als in den Vergnügungsorten, namentlich im Theater. Aus deu
Straßen bemerkt man eigentlich nicht mehr Militär, als zur alten Zeit, aber die
Logen sind von Offizieren, das Parterre von Gemeinen überfüllt, was man früher
nicht gewohnt war. Nur im Schauspielhause herrschte die Bourgeoisie vor. Wer
die bunten Trachten liebt, die forschen Mützen, die Farben auf den Helmen, die
weißen und rothen Uniformen, zieht diese Art des Putzes der Märzerrungenschaft
der Bürgergarden vor, in deren Zusammensetzung jedenfalls etwas Faules lag.
Ich glaube, Freund Bischer, der Aesthetiker, würde trotz seiner demokratischen
Gelüste auch meiner Ansicht sein. Für unsere Bauernsöhne bleibt das Militär die
Universität; es ist angenehm, sie in ordentlicher Haltung, festem, geordnetem
Schritt und mit der Miene des specifisch-preußischen Ehrgefühls zu sehn, als in
den wüsten Volkshaufen, wo jeder Einzelne mit dem Andern nur an Rohheit
wetteiferte unter den Bassermann'scheu Gestalten des sogenannten souveränen Volks.
Es hängt an den Bilderläden eine Carricatur aus, in welcher das gesammte
Loi-ps <jg Litllvt mit hochgeschwungenen Beinen die constitutionelle Krone um
Rückkehr des Militärs ansieht. Ich kann das den guten Kindern nicht verdenken.


Pflicht. In der Instruction des Herrn General Wrangel ist uns aufgegeben,
nur solche Fremde zuzulassen, welche legitimirt sind und einen nothwendigen Auf¬
enthaltsgrund nachweisen können. Das erstere sind Sie durch Ihren Paß; aber
nothwendig ist Ihr Aufenthalt keineswegs, ich bedaure daher, daß ich Sie
si stiren lassen muß (sistireu ist ein vom Belagerungszustand in Glacehandschuhen
erfundener Ausdruck für arretiren). Ich kann Ihnen voraussagen, daß eine Ver¬
wendung Ihnen nichts helfen wird, und wenn Sie vom Prinzen von Preußen
ausginge, denn die Pflicht geht über Alles. Uebrigens nehmen wir jede mögliche
Rücksicht, und der Constabler, der Sie transportiren wird, hat die Anweisung,
in angemessener Entfernung hinter Ihnen zu gehen." - Damit drückte er mir
freundschaftlich die Hand und wünschte mir glückliche Reise. — Daß es mit der
Ungiltigkeit von Konnexionen, dem Prinzen von Preußen u. s. w. nicht so gefährlich
ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen. Ich habe später von mehreren
meiner Freunde ein ähnliches Schicksal gehört; man hat sie sogar ohne Weiteres
nach der Hausvogtei gebracht. Was die Maßregel des „Sistirens" eigentlich soll,
wenn man gar nicht im Entferntesten die Absicht äußerte, Widerstand zu leisten,
habe ich nicht recht erfahren können; es wird ans den moralischen Eindruck be¬
rechnet sein, auf den heilsamen Schauder des Belagerungsznstandes. — Entschul¬
digen Sie diese Anecdote; da der Belagerungszustand in den nächsten Tagen
wahrscheinlich aufgehoben oder wenigstens wesentlich modificirt wird, kann sie einen
historischen Werth haben.

Der militärische Anstrich der Stadt zeigt sich für einen, der Berlin früher
kannte und der von der ganzen Revolutionszeit nur eine kleine Episode erlebt
hat, die ihm wie ein Traum in der Phantasie vorübergeflogen ist, weniger in
den Straßen als in den Vergnügungsorten, namentlich im Theater. Aus deu
Straßen bemerkt man eigentlich nicht mehr Militär, als zur alten Zeit, aber die
Logen sind von Offizieren, das Parterre von Gemeinen überfüllt, was man früher
nicht gewohnt war. Nur im Schauspielhause herrschte die Bourgeoisie vor. Wer
die bunten Trachten liebt, die forschen Mützen, die Farben auf den Helmen, die
weißen und rothen Uniformen, zieht diese Art des Putzes der Märzerrungenschaft
der Bürgergarden vor, in deren Zusammensetzung jedenfalls etwas Faules lag.
Ich glaube, Freund Bischer, der Aesthetiker, würde trotz seiner demokratischen
Gelüste auch meiner Ansicht sein. Für unsere Bauernsöhne bleibt das Militär die
Universität; es ist angenehm, sie in ordentlicher Haltung, festem, geordnetem
Schritt und mit der Miene des specifisch-preußischen Ehrgefühls zu sehn, als in
den wüsten Volkshaufen, wo jeder Einzelne mit dem Andern nur an Rohheit
wetteiferte unter den Bassermann'scheu Gestalten des sogenannten souveränen Volks.
Es hängt an den Bilderläden eine Carricatur aus, in welcher das gesammte
Loi-ps <jg Litllvt mit hochgeschwungenen Beinen die constitutionelle Krone um
Rückkehr des Militärs ansieht. Ich kann das den guten Kindern nicht verdenken.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278459"/>
            <p xml:id="ID_2673" prev="#ID_2672"> Pflicht. In der Instruction des Herrn General Wrangel ist uns aufgegeben,<lb/>
nur solche Fremde zuzulassen, welche legitimirt sind und einen nothwendigen Auf¬<lb/>
enthaltsgrund nachweisen können. Das erstere sind Sie durch Ihren Paß; aber<lb/>
nothwendig ist Ihr Aufenthalt keineswegs, ich bedaure daher, daß ich Sie<lb/>
si stiren lassen muß (sistireu ist ein vom Belagerungszustand in Glacehandschuhen<lb/>
erfundener Ausdruck für arretiren). Ich kann Ihnen voraussagen, daß eine Ver¬<lb/>
wendung Ihnen nichts helfen wird, und wenn Sie vom Prinzen von Preußen<lb/>
ausginge, denn die Pflicht geht über Alles. Uebrigens nehmen wir jede mögliche<lb/>
Rücksicht, und der Constabler, der Sie transportiren wird, hat die Anweisung,<lb/>
in angemessener Entfernung hinter Ihnen zu gehen." - Damit drückte er mir<lb/>
freundschaftlich die Hand und wünschte mir glückliche Reise. &#x2014; Daß es mit der<lb/>
Ungiltigkeit von Konnexionen, dem Prinzen von Preußen u. s. w. nicht so gefährlich<lb/>
ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen. Ich habe später von mehreren<lb/>
meiner Freunde ein ähnliches Schicksal gehört; man hat sie sogar ohne Weiteres<lb/>
nach der Hausvogtei gebracht. Was die Maßregel des &#x201E;Sistirens" eigentlich soll,<lb/>
wenn man gar nicht im Entferntesten die Absicht äußerte, Widerstand zu leisten,<lb/>
habe ich nicht recht erfahren können; es wird ans den moralischen Eindruck be¬<lb/>
rechnet sein, auf den heilsamen Schauder des Belagerungsznstandes. &#x2014; Entschul¬<lb/>
digen Sie diese Anecdote; da der Belagerungszustand in den nächsten Tagen<lb/>
wahrscheinlich aufgehoben oder wenigstens wesentlich modificirt wird, kann sie einen<lb/>
historischen Werth haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2674" next="#ID_2675"> Der militärische Anstrich der Stadt zeigt sich für einen, der Berlin früher<lb/>
kannte und der von der ganzen Revolutionszeit nur eine kleine Episode erlebt<lb/>
hat, die ihm wie ein Traum in der Phantasie vorübergeflogen ist, weniger in<lb/>
den Straßen als in den Vergnügungsorten, namentlich im Theater. Aus deu<lb/>
Straßen bemerkt man eigentlich nicht mehr Militär, als zur alten Zeit, aber die<lb/>
Logen sind von Offizieren, das Parterre von Gemeinen überfüllt, was man früher<lb/>
nicht gewohnt war. Nur im Schauspielhause herrschte die Bourgeoisie vor. Wer<lb/>
die bunten Trachten liebt, die forschen Mützen, die Farben auf den Helmen, die<lb/>
weißen und rothen Uniformen, zieht diese Art des Putzes der Märzerrungenschaft<lb/>
der Bürgergarden vor, in deren Zusammensetzung jedenfalls etwas Faules lag.<lb/>
Ich glaube, Freund Bischer, der Aesthetiker, würde trotz seiner demokratischen<lb/>
Gelüste auch meiner Ansicht sein. Für unsere Bauernsöhne bleibt das Militär die<lb/>
Universität; es ist angenehm, sie in ordentlicher Haltung, festem, geordnetem<lb/>
Schritt und mit der Miene des specifisch-preußischen Ehrgefühls zu sehn, als in<lb/>
den wüsten Volkshaufen, wo jeder Einzelne mit dem Andern nur an Rohheit<lb/>
wetteiferte unter den Bassermann'scheu Gestalten des sogenannten souveränen Volks.<lb/>
Es hängt an den Bilderläden eine Carricatur aus, in welcher das gesammte<lb/>
Loi-ps &lt;jg Litllvt mit hochgeschwungenen Beinen die constitutionelle Krone um<lb/>
Rückkehr des Militärs ansieht. Ich kann das den guten Kindern nicht verdenken.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] Pflicht. In der Instruction des Herrn General Wrangel ist uns aufgegeben, nur solche Fremde zuzulassen, welche legitimirt sind und einen nothwendigen Auf¬ enthaltsgrund nachweisen können. Das erstere sind Sie durch Ihren Paß; aber nothwendig ist Ihr Aufenthalt keineswegs, ich bedaure daher, daß ich Sie si stiren lassen muß (sistireu ist ein vom Belagerungszustand in Glacehandschuhen erfundener Ausdruck für arretiren). Ich kann Ihnen voraussagen, daß eine Ver¬ wendung Ihnen nichts helfen wird, und wenn Sie vom Prinzen von Preußen ausginge, denn die Pflicht geht über Alles. Uebrigens nehmen wir jede mögliche Rücksicht, und der Constabler, der Sie transportiren wird, hat die Anweisung, in angemessener Entfernung hinter Ihnen zu gehen." - Damit drückte er mir freundschaftlich die Hand und wünschte mir glückliche Reise. — Daß es mit der Ungiltigkeit von Konnexionen, dem Prinzen von Preußen u. s. w. nicht so gefährlich ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen. Ich habe später von mehreren meiner Freunde ein ähnliches Schicksal gehört; man hat sie sogar ohne Weiteres nach der Hausvogtei gebracht. Was die Maßregel des „Sistirens" eigentlich soll, wenn man gar nicht im Entferntesten die Absicht äußerte, Widerstand zu leisten, habe ich nicht recht erfahren können; es wird ans den moralischen Eindruck be¬ rechnet sein, auf den heilsamen Schauder des Belagerungsznstandes. — Entschul¬ digen Sie diese Anecdote; da der Belagerungszustand in den nächsten Tagen wahrscheinlich aufgehoben oder wenigstens wesentlich modificirt wird, kann sie einen historischen Werth haben. Der militärische Anstrich der Stadt zeigt sich für einen, der Berlin früher kannte und der von der ganzen Revolutionszeit nur eine kleine Episode erlebt hat, die ihm wie ein Traum in der Phantasie vorübergeflogen ist, weniger in den Straßen als in den Vergnügungsorten, namentlich im Theater. Aus deu Straßen bemerkt man eigentlich nicht mehr Militär, als zur alten Zeit, aber die Logen sind von Offizieren, das Parterre von Gemeinen überfüllt, was man früher nicht gewohnt war. Nur im Schauspielhause herrschte die Bourgeoisie vor. Wer die bunten Trachten liebt, die forschen Mützen, die Farben auf den Helmen, die weißen und rothen Uniformen, zieht diese Art des Putzes der Märzerrungenschaft der Bürgergarden vor, in deren Zusammensetzung jedenfalls etwas Faules lag. Ich glaube, Freund Bischer, der Aesthetiker, würde trotz seiner demokratischen Gelüste auch meiner Ansicht sein. Für unsere Bauernsöhne bleibt das Militär die Universität; es ist angenehm, sie in ordentlicher Haltung, festem, geordnetem Schritt und mit der Miene des specifisch-preußischen Ehrgefühls zu sehn, als in den wüsten Volkshaufen, wo jeder Einzelne mit dem Andern nur an Rohheit wetteiferte unter den Bassermann'scheu Gestalten des sogenannten souveränen Volks. Es hängt an den Bilderläden eine Carricatur aus, in welcher das gesammte Loi-ps <jg Litllvt mit hochgeschwungenen Beinen die constitutionelle Krone um Rückkehr des Militärs ansieht. Ich kann das den guten Kindern nicht verdenken.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/471>, abgerufen am 23.07.2024.