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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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durch passiven Widerstand, den er dem Weitergehen entgegensetzt, symbolisch den
Wunsch ausdrückt, daß so wenig Personen als möglich in das vom Militärcordon
behütete Heiligthum eindringen mögen. Ich sah, wie er einen ungeheuer langen
polnischen Zettel, den ihm Jemand überreichte, Zeile für Zeile prüfte, obgleich
er kein Wort polnisch verstand, ihn hin und her wendete, gegen das Licht hielt,
und, um seiner Pflicht zu genügen, eine Menge von Experimenten anstellte, die
mehr sinnreich als zweckmäßig waren. Ich ließ ihn bei dieser einförmigen Beschäf¬
tigung, indem ich, ermüdet über den zu lange ausgedehnten passiven Widerstand,
als zweiter Wrangel über die Barrieren setzte, die mich von den Droschken trenn¬
ten. Wie die Berliner den Belagerungszustand, bekämpfte der Mann der Polizei
meine Contrerevolution nur durch Murren, nicht durch thätliche Opposition.

Es war ein häßliches Regenwetter; bei jedem dritten Schritt begegneten mir
Soldaten oder Constabler, aber nur als friedliche Wanderer. Ich dachte an meinen
letzten Aufenthalt in Berlin, gleich nach den Märztagen, als noch aus jedem
Hanse ein Dutzend dreifarbiger Fahnen mit ziemlich offner Coquetterie den Fremden
angafften, und über den Hut ohne Cocarde ein officielles Entsetzen auszudrücken
schienen. Damals suchte sich der Epicier nud der Actuarius, die Brille auf der
Nase und das Gewehr wie ein beschwerliches Actenbündel unter dem Arm, durch
raschen Schritt zu wärme", während der Student, im Vollgefühl der neu errun¬
genen Souveränität, mit einer Grandezza über die Trottoirs rasselte, der nur
durch den klirrenden Schritt der lieblichen Frauenzimmer in der Polkakneipe über-
trossen wird. In diesem liebenswürdigen Local, unter den bunten Lampen und
den noch nicht restaurirten Tricoloren hat die Revolution das letzte Asyl gefunden;
diese Amazonen bewegen sich in ihren kurzen dürren Röcken, Federhüten und
Sporenstiefeln grade so, als ob Pcnthesilea die Fahne der Freiheit auf den Bar¬
rikaden erheben würde, wenn Achill vor Müdigkeit einschliefe. Die neue Wendung
der Dinge wird jedenfalls eine Polka-Konstitution mit'in Hut, eine Polka-Kammer
und einen Polka-Belagerungszustand hinterlassen, wenn die Realität dieser Natur¬
erscheinungen längst aus dem Gedächtnisse der Menschen entschwunden sein wird.

Der Belagerungszustand trifft eigentlich nur die Fremden und die fliegenden
Buchhändler. Für die Fremden ist er in der That unbequem. Nachdem ich meinen
Paß auf die Polizei geschickt, wurde ich vor den Viertels-Commissarius beschieden,
einen Manu aus der alten preußischen Schule, der als Mensch, Familienvater und
Kunstfreund die Humanität und Güte selbst, als Beamter aber Kant's kategorischen
Jmperatis repräsentirt. "Was bezwecken Sie in Berlin?" -- "Ich will ins
Theater gehn und die Kammern besuchen." -- "Halten Sie das für einen noth¬
wendigen Aufenthaltsgrnnd?" -- "Je nachdem! Wenn ich das Theater und
die Kammern besuchen will, so muß ich mich wohl in Berlin aufhalten, ob aber
dieser Besuch unbedingt nothwendig ist, wage ich nicht zu entscheiden." -- "Sie
gestehen es also selbst. Ich nun als Beamter habe meine streng vorgeschriebene


durch passiven Widerstand, den er dem Weitergehen entgegensetzt, symbolisch den
Wunsch ausdrückt, daß so wenig Personen als möglich in das vom Militärcordon
behütete Heiligthum eindringen mögen. Ich sah, wie er einen ungeheuer langen
polnischen Zettel, den ihm Jemand überreichte, Zeile für Zeile prüfte, obgleich
er kein Wort polnisch verstand, ihn hin und her wendete, gegen das Licht hielt,
und, um seiner Pflicht zu genügen, eine Menge von Experimenten anstellte, die
mehr sinnreich als zweckmäßig waren. Ich ließ ihn bei dieser einförmigen Beschäf¬
tigung, indem ich, ermüdet über den zu lange ausgedehnten passiven Widerstand,
als zweiter Wrangel über die Barrieren setzte, die mich von den Droschken trenn¬
ten. Wie die Berliner den Belagerungszustand, bekämpfte der Mann der Polizei
meine Contrerevolution nur durch Murren, nicht durch thätliche Opposition.

Es war ein häßliches Regenwetter; bei jedem dritten Schritt begegneten mir
Soldaten oder Constabler, aber nur als friedliche Wanderer. Ich dachte an meinen
letzten Aufenthalt in Berlin, gleich nach den Märztagen, als noch aus jedem
Hanse ein Dutzend dreifarbiger Fahnen mit ziemlich offner Coquetterie den Fremden
angafften, und über den Hut ohne Cocarde ein officielles Entsetzen auszudrücken
schienen. Damals suchte sich der Epicier nud der Actuarius, die Brille auf der
Nase und das Gewehr wie ein beschwerliches Actenbündel unter dem Arm, durch
raschen Schritt zu wärme», während der Student, im Vollgefühl der neu errun¬
genen Souveränität, mit einer Grandezza über die Trottoirs rasselte, der nur
durch den klirrenden Schritt der lieblichen Frauenzimmer in der Polkakneipe über-
trossen wird. In diesem liebenswürdigen Local, unter den bunten Lampen und
den noch nicht restaurirten Tricoloren hat die Revolution das letzte Asyl gefunden;
diese Amazonen bewegen sich in ihren kurzen dürren Röcken, Federhüten und
Sporenstiefeln grade so, als ob Pcnthesilea die Fahne der Freiheit auf den Bar¬
rikaden erheben würde, wenn Achill vor Müdigkeit einschliefe. Die neue Wendung
der Dinge wird jedenfalls eine Polka-Konstitution mit'in Hut, eine Polka-Kammer
und einen Polka-Belagerungszustand hinterlassen, wenn die Realität dieser Natur¬
erscheinungen längst aus dem Gedächtnisse der Menschen entschwunden sein wird.

Der Belagerungszustand trifft eigentlich nur die Fremden und die fliegenden
Buchhändler. Für die Fremden ist er in der That unbequem. Nachdem ich meinen
Paß auf die Polizei geschickt, wurde ich vor den Viertels-Commissarius beschieden,
einen Manu aus der alten preußischen Schule, der als Mensch, Familienvater und
Kunstfreund die Humanität und Güte selbst, als Beamter aber Kant's kategorischen
Jmperatis repräsentirt. „Was bezwecken Sie in Berlin?" — „Ich will ins
Theater gehn und die Kammern besuchen." — „Halten Sie das für einen noth¬
wendigen Aufenthaltsgrnnd?" — „Je nachdem! Wenn ich das Theater und
die Kammern besuchen will, so muß ich mich wohl in Berlin aufhalten, ob aber
dieser Besuch unbedingt nothwendig ist, wage ich nicht zu entscheiden." — „Sie
gestehen es also selbst. Ich nun als Beamter habe meine streng vorgeschriebene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/470>, abgerufen am 25.11.2024.