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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Auf alle Fälle ist das Militär, abgesehen von seinen sonstigen vortrefflichsten Eigen¬
schaften, die wohlfeilste Maskerade, die man dem Volke bieten kann. Prozessionen
und Auszüge haben wir nicht, was bleibt uns also, die Straßen ein wenig bunt
zu färben, als Revuen und Paraden. Bei jedem, noch so kleinen militärischen
Aufzuge füllen sich die Fenster der benachbarten Häuser, und es ist nicht Haß
oder Neid, was aus ihnen herausblickt, sondern Wohlwollen und Amüsement.
Zu der neulichen großen Revue bei Moabit strömte die Bevölkerung von Berlin
zahlreich hinaus, sich an den militärischen Evolutionen, den wallenden Federn,
dem Glanz des königlichen Zuges zu ergötzen. Das Lebehoch, welches dem König
gebracht wurde, klang laut genug, um das Geräusch der Berliner Wahlen zu
übertönen. Man würde beiläufig irren, wenn man den Radicalismus, der sich
in diesen Wahlen ausspricht, als den Gesammtausdruck der Berliner Bevölkerung
betrachte" wollte. Einmal machte es die unglückliche Vertheilung der conservati-
ven Partei in den Wahlbezirken, daß sie, obgleich weit über ein Drittel der
Stimmen ihr angehörte, keinen einzigen ^Kandidaten durchbrachte. Dann sühlt sich
der Berliner durch die Maßregeln des Ministeriums -- die Verlegung der Natio¬
nalversammlung, die Auflösung der Bürgerwehr, den Belagerungszustand -- per¬
sönlich beleidigt, obgleich die meisten dieser Decrete im Stillen dem Philister ganz
erwünscht kamen. Er hält es nun für seine Pflicht, dem Ministerium einen Scha¬
bernack zu spielen, und wählt darum die mißliebigsten Kandidaten, ohne dadurch
im Geringsten seine persönliche Hochachtung vor ihnen oder eine Uebereinstimmung
Mit ihren Principien an den Tag legen zu wollen. Endlich hat es der conserva-
tiven Partei sehr geschadet, daß anch von ihrer Seite Mittel angewendet wurden,
die gerade hier die entgegengesetzte Wirkung haben mußten, als welche man sich
von ihnen versprach. Ich meine namentlich die berüchtigten "Enthüllungen." Ich
bin nicht im Stande, darüber ein Urtheil zu fällen, ob überhaupt und welche
Thatsachen diesen wunderlichen Anklagen zu Grunde lagen, es mag in der Hitze
der allgemeinen Aufregung viel wahnsinniges Zeug geredet und projectirt worden
sein, und je abgeschmackter, je glaublicher; aber der Berliner kennt seine Natur,
er weiß, daß seine Zunge schneller ist als sein Arm und selbst sein Hirn, er setzt
bei der Gegenpartei dieselbe Kenntniß seines Wesens voraus, und ist nun erbittert
darüber, daß sie perfider Weise die Frivolität seines Charakters zu sehr ernstlich
gemeinten Verfolgungen benutzt. Wenn außerdem die Neue Preußische Zeitung --
ein höchst verbreitetes und einflußreiches Organ der Aristokratie -- selbst von der
neuen Verfassung aus eine Weise spricht, die ziemlich offen auf die Vorstellungs"
weise der alten Zeit zurückgeht, so ist ein entschiedenes Mißtrauen gegen die
Männer, die man als mit jener Partei innig verflochten betrachtet, wohl zu er¬
klären und theilweise zu rechtfertigen. Ich wage die Behauptung, daß wenigstens
bei dem größten Theil der radikalen Wahlen im ganzen Lande weniger ein bestimmter
politischer Inhalt, als ein Protest gegen die Partei,^ von der man die Rückkehr.


Auf alle Fälle ist das Militär, abgesehen von seinen sonstigen vortrefflichsten Eigen¬
schaften, die wohlfeilste Maskerade, die man dem Volke bieten kann. Prozessionen
und Auszüge haben wir nicht, was bleibt uns also, die Straßen ein wenig bunt
zu färben, als Revuen und Paraden. Bei jedem, noch so kleinen militärischen
Aufzuge füllen sich die Fenster der benachbarten Häuser, und es ist nicht Haß
oder Neid, was aus ihnen herausblickt, sondern Wohlwollen und Amüsement.
Zu der neulichen großen Revue bei Moabit strömte die Bevölkerung von Berlin
zahlreich hinaus, sich an den militärischen Evolutionen, den wallenden Federn,
dem Glanz des königlichen Zuges zu ergötzen. Das Lebehoch, welches dem König
gebracht wurde, klang laut genug, um das Geräusch der Berliner Wahlen zu
übertönen. Man würde beiläufig irren, wenn man den Radicalismus, der sich
in diesen Wahlen ausspricht, als den Gesammtausdruck der Berliner Bevölkerung
betrachte» wollte. Einmal machte es die unglückliche Vertheilung der conservati-
ven Partei in den Wahlbezirken, daß sie, obgleich weit über ein Drittel der
Stimmen ihr angehörte, keinen einzigen ^Kandidaten durchbrachte. Dann sühlt sich
der Berliner durch die Maßregeln des Ministeriums — die Verlegung der Natio¬
nalversammlung, die Auflösung der Bürgerwehr, den Belagerungszustand — per¬
sönlich beleidigt, obgleich die meisten dieser Decrete im Stillen dem Philister ganz
erwünscht kamen. Er hält es nun für seine Pflicht, dem Ministerium einen Scha¬
bernack zu spielen, und wählt darum die mißliebigsten Kandidaten, ohne dadurch
im Geringsten seine persönliche Hochachtung vor ihnen oder eine Uebereinstimmung
Mit ihren Principien an den Tag legen zu wollen. Endlich hat es der conserva-
tiven Partei sehr geschadet, daß anch von ihrer Seite Mittel angewendet wurden,
die gerade hier die entgegengesetzte Wirkung haben mußten, als welche man sich
von ihnen versprach. Ich meine namentlich die berüchtigten „Enthüllungen." Ich
bin nicht im Stande, darüber ein Urtheil zu fällen, ob überhaupt und welche
Thatsachen diesen wunderlichen Anklagen zu Grunde lagen, es mag in der Hitze
der allgemeinen Aufregung viel wahnsinniges Zeug geredet und projectirt worden
sein, und je abgeschmackter, je glaublicher; aber der Berliner kennt seine Natur,
er weiß, daß seine Zunge schneller ist als sein Arm und selbst sein Hirn, er setzt
bei der Gegenpartei dieselbe Kenntniß seines Wesens voraus, und ist nun erbittert
darüber, daß sie perfider Weise die Frivolität seines Charakters zu sehr ernstlich
gemeinten Verfolgungen benutzt. Wenn außerdem die Neue Preußische Zeitung —
ein höchst verbreitetes und einflußreiches Organ der Aristokratie — selbst von der
neuen Verfassung aus eine Weise spricht, die ziemlich offen auf die Vorstellungs«
weise der alten Zeit zurückgeht, so ist ein entschiedenes Mißtrauen gegen die
Männer, die man als mit jener Partei innig verflochten betrachtet, wohl zu er¬
klären und theilweise zu rechtfertigen. Ich wage die Behauptung, daß wenigstens
bei dem größten Theil der radikalen Wahlen im ganzen Lande weniger ein bestimmter
politischer Inhalt, als ein Protest gegen die Partei,^ von der man die Rückkehr.


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[0472] Auf alle Fälle ist das Militär, abgesehen von seinen sonstigen vortrefflichsten Eigen¬ schaften, die wohlfeilste Maskerade, die man dem Volke bieten kann. Prozessionen und Auszüge haben wir nicht, was bleibt uns also, die Straßen ein wenig bunt zu färben, als Revuen und Paraden. Bei jedem, noch so kleinen militärischen Aufzuge füllen sich die Fenster der benachbarten Häuser, und es ist nicht Haß oder Neid, was aus ihnen herausblickt, sondern Wohlwollen und Amüsement. Zu der neulichen großen Revue bei Moabit strömte die Bevölkerung von Berlin zahlreich hinaus, sich an den militärischen Evolutionen, den wallenden Federn, dem Glanz des königlichen Zuges zu ergötzen. Das Lebehoch, welches dem König gebracht wurde, klang laut genug, um das Geräusch der Berliner Wahlen zu übertönen. Man würde beiläufig irren, wenn man den Radicalismus, der sich in diesen Wahlen ausspricht, als den Gesammtausdruck der Berliner Bevölkerung betrachte» wollte. Einmal machte es die unglückliche Vertheilung der conservati- ven Partei in den Wahlbezirken, daß sie, obgleich weit über ein Drittel der Stimmen ihr angehörte, keinen einzigen ^Kandidaten durchbrachte. Dann sühlt sich der Berliner durch die Maßregeln des Ministeriums — die Verlegung der Natio¬ nalversammlung, die Auflösung der Bürgerwehr, den Belagerungszustand — per¬ sönlich beleidigt, obgleich die meisten dieser Decrete im Stillen dem Philister ganz erwünscht kamen. Er hält es nun für seine Pflicht, dem Ministerium einen Scha¬ bernack zu spielen, und wählt darum die mißliebigsten Kandidaten, ohne dadurch im Geringsten seine persönliche Hochachtung vor ihnen oder eine Uebereinstimmung Mit ihren Principien an den Tag legen zu wollen. Endlich hat es der conserva- tiven Partei sehr geschadet, daß anch von ihrer Seite Mittel angewendet wurden, die gerade hier die entgegengesetzte Wirkung haben mußten, als welche man sich von ihnen versprach. Ich meine namentlich die berüchtigten „Enthüllungen." Ich bin nicht im Stande, darüber ein Urtheil zu fällen, ob überhaupt und welche Thatsachen diesen wunderlichen Anklagen zu Grunde lagen, es mag in der Hitze der allgemeinen Aufregung viel wahnsinniges Zeug geredet und projectirt worden sein, und je abgeschmackter, je glaublicher; aber der Berliner kennt seine Natur, er weiß, daß seine Zunge schneller ist als sein Arm und selbst sein Hirn, er setzt bei der Gegenpartei dieselbe Kenntniß seines Wesens voraus, und ist nun erbittert darüber, daß sie perfider Weise die Frivolität seines Charakters zu sehr ernstlich gemeinten Verfolgungen benutzt. Wenn außerdem die Neue Preußische Zeitung — ein höchst verbreitetes und einflußreiches Organ der Aristokratie — selbst von der neuen Verfassung aus eine Weise spricht, die ziemlich offen auf die Vorstellungs« weise der alten Zeit zurückgeht, so ist ein entschiedenes Mißtrauen gegen die Männer, die man als mit jener Partei innig verflochten betrachtet, wohl zu er¬ klären und theilweise zu rechtfertigen. Ich wage die Behauptung, daß wenigstens bei dem größten Theil der radikalen Wahlen im ganzen Lande weniger ein bestimmter politischer Inhalt, als ein Protest gegen die Partei,^ von der man die Rückkehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/472>, abgerufen am 25.11.2024.