Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.sittlichen Grundvesten unterwühlt hat, die nothwendige Folge davon; oder die Bei der Ankunft ans der Eisenbahn tritt die Empfindung des Belagerungs¬ sittlichen Grundvesten unterwühlt hat, die nothwendige Folge davon; oder die Bei der Ankunft ans der Eisenbahn tritt die Empfindung des Belagerungs¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278457"/> <p xml:id="ID_2668" prev="#ID_2667"> sittlichen Grundvesten unterwühlt hat, die nothwendige Folge davon; oder die<lb/> Urwähler bleiben naiv in ihren Sympathien, und dann haben wir ein ans Michel<lb/> Mroßen und Kivlbassa's zusammengesetztes Parlament, und der Staat geht unmit¬<lb/> telbar darüber zu Grunde. Aber die conservative Partei befindet sich mehr als<lb/> ihre Gegner in der Lage, den vollendeten Thatsachen Rechnung zu tragen. Das<lb/> allgemeine Wahlrecht ist ein Dogma, dessen Anfechtung gefährlichere Folgen haben<lb/> kann, als das nothgedruugcne Eingehen auf dasselbe. Es wäre leichtsinnig, unter<lb/> den obwaltenden Umständen einer großen und gefährlichen Classe die Fiction zu<lb/> nehmen, daß sie an dem Staat unmittelbar betheiligt wäre. Denn eine Fiction<lb/> ist es, dieser Volkswille ohne die Grundlage der Intelligenz, welche der bloßen,<lb/> abstracten Form des Willens erst einen Inhalt gibt. Die Presse hat die Auf¬<lb/> gabe, gegen diesen Aberglauben der Aktionen anzukämpfen; für den Staat ist es<lb/> aber ein gefährliches Experiment. Außerdem können wir nicht leugnen, daß auch<lb/> der Census eine in jeder Weise irrationelle Beschränkung ist; eine Grenze kann<lb/> nur die Willkür oder der Zufall stecken, und ob hüben oder drüben mehr Ver¬<lb/> stand und guter Willen liegt, wer wollte es sagen? Die Ausschließung bestimmter<lb/> Classen hat wieder etwas Gehässiges und trägt allzuscharf das Gepräge der Un¬<lb/> gerechtigkeit an sich. Die Vertretung der Interessen wäre dann ein richtiges<lb/> Princip, wenn die Interessen sich äußerlich sondern ließen und sich einer bestimmten<lb/> Organisation erfreuten. Diese Organisation soll aber erst erfolgen, und die Ge¬<lb/> werbe- wie die Laudgcmciudcvrduung, die von bnreankratischer Furcht nud aristo¬<lb/> kratischem Egoismus dem Volk vierzig Jahre vorenthalten ist, muß erst viele Jahre<lb/> hindurch allmälig wirken, ehe sie es zu einem gedeihlichen Leben bringt, so daß<lb/> man auf sie die höhern Staatsfunctionen pfropfen kann. Für den Augenblick<lb/> aber — und darauf kommt es lediglich an — wäre eine solche Grundlage des<lb/> ständischen Lebens gerade ebenso künstlich und doctrinär, als der Mechanismus<lb/> der Kopfzahl, gegen den ich mich sonst ebenso stark, wenn auch nicht ebenso pla¬<lb/> stisch ausdrücken würde, als Herr v. Thaddeu-Trieglaff, der Don Quixote<lb/> des seligen Landtags. Vor allen Dingen aber sollte man in einem Augenblick,<lb/> wo die rechtliche Grundlage der neuen Verfassung von einer Opposition, die an<lb/> Zahl beinahe der conservativen Partei gleichkommt, in Frage gestellt wird, sich<lb/> ernstlich besinne», ehe man sie von einer andern Seite her unterwühlt. Die<lb/> Anarchie — d. h. der rechtlose Zustand — erhält dadurch ein neues Elciucut und<lb/> wird populärer.</p><lb/> <p xml:id="ID_2669" next="#ID_2670"> Bei der Ankunft ans der Eisenbahn tritt die Empfindung des Belagerungs¬<lb/> zustandes zuerst hervor. Der Bahnhof ist mit Soldaten angefüllt, und ein ziem¬<lb/> lich enges Defile, welches jeder Reisende passiren muß, wird von ciaem Polizei-<lb/> beamten vertheidigt, der znerst den vorgelegten Paß von Anfang bis zu Ende<lb/> mit großer Aufmerksamkeit durchliest, obgleich er wenig mehr davon erfährt, als<lb/> daß der Fremde Herr Müller, Herr Schmidt oder Herr Fischer heißt, und dann</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
sittlichen Grundvesten unterwühlt hat, die nothwendige Folge davon; oder die
Urwähler bleiben naiv in ihren Sympathien, und dann haben wir ein ans Michel
Mroßen und Kivlbassa's zusammengesetztes Parlament, und der Staat geht unmit¬
telbar darüber zu Grunde. Aber die conservative Partei befindet sich mehr als
ihre Gegner in der Lage, den vollendeten Thatsachen Rechnung zu tragen. Das
allgemeine Wahlrecht ist ein Dogma, dessen Anfechtung gefährlichere Folgen haben
kann, als das nothgedruugcne Eingehen auf dasselbe. Es wäre leichtsinnig, unter
den obwaltenden Umständen einer großen und gefährlichen Classe die Fiction zu
nehmen, daß sie an dem Staat unmittelbar betheiligt wäre. Denn eine Fiction
ist es, dieser Volkswille ohne die Grundlage der Intelligenz, welche der bloßen,
abstracten Form des Willens erst einen Inhalt gibt. Die Presse hat die Auf¬
gabe, gegen diesen Aberglauben der Aktionen anzukämpfen; für den Staat ist es
aber ein gefährliches Experiment. Außerdem können wir nicht leugnen, daß auch
der Census eine in jeder Weise irrationelle Beschränkung ist; eine Grenze kann
nur die Willkür oder der Zufall stecken, und ob hüben oder drüben mehr Ver¬
stand und guter Willen liegt, wer wollte es sagen? Die Ausschließung bestimmter
Classen hat wieder etwas Gehässiges und trägt allzuscharf das Gepräge der Un¬
gerechtigkeit an sich. Die Vertretung der Interessen wäre dann ein richtiges
Princip, wenn die Interessen sich äußerlich sondern ließen und sich einer bestimmten
Organisation erfreuten. Diese Organisation soll aber erst erfolgen, und die Ge¬
werbe- wie die Laudgcmciudcvrduung, die von bnreankratischer Furcht nud aristo¬
kratischem Egoismus dem Volk vierzig Jahre vorenthalten ist, muß erst viele Jahre
hindurch allmälig wirken, ehe sie es zu einem gedeihlichen Leben bringt, so daß
man auf sie die höhern Staatsfunctionen pfropfen kann. Für den Augenblick
aber — und darauf kommt es lediglich an — wäre eine solche Grundlage des
ständischen Lebens gerade ebenso künstlich und doctrinär, als der Mechanismus
der Kopfzahl, gegen den ich mich sonst ebenso stark, wenn auch nicht ebenso pla¬
stisch ausdrücken würde, als Herr v. Thaddeu-Trieglaff, der Don Quixote
des seligen Landtags. Vor allen Dingen aber sollte man in einem Augenblick,
wo die rechtliche Grundlage der neuen Verfassung von einer Opposition, die an
Zahl beinahe der conservativen Partei gleichkommt, in Frage gestellt wird, sich
ernstlich besinne», ehe man sie von einer andern Seite her unterwühlt. Die
Anarchie — d. h. der rechtlose Zustand — erhält dadurch ein neues Elciucut und
wird populärer.
Bei der Ankunft ans der Eisenbahn tritt die Empfindung des Belagerungs¬
zustandes zuerst hervor. Der Bahnhof ist mit Soldaten angefüllt, und ein ziem¬
lich enges Defile, welches jeder Reisende passiren muß, wird von ciaem Polizei-
beamten vertheidigt, der znerst den vorgelegten Paß von Anfang bis zu Ende
mit großer Aufmerksamkeit durchliest, obgleich er wenig mehr davon erfährt, als
daß der Fremde Herr Müller, Herr Schmidt oder Herr Fischer heißt, und dann
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