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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Aus Krems" er.



Unsere Weihnachten haben nicht jene Bcscheening gebracht, welche von vielen
Seiten erwartet wurde: eine octroyirte Verfassung. Der Reichstag wurde bis zum
2. Januar vertagt und somit der Hoffnung Raum gegeben, daß ihm die Ausarbei¬
tung der Verfassung überlassen bleiben werde. Ueberdies hat Herr Schuselka den nai¬
ven Antrag gestellt, daß die Verfassung definitiv bis zum 15. März publicirt werden
könne. Und der Reichstag hat diesen Antrag einhellig genehmigt. Sollte er sich ein
Dementi geben, so wird dies weniger von seiner Thätigkeit als von dem Zusammen¬
treffen der politischen Verhältnisse und von dem guten Willen der Regierung abhän¬
gen. Indessen hat die Lesung der Grundrechte in ihrer nach dem Oktober revidirten
Fassung stattgefunden. Das Land wird in einigen Veränderungen derselben die wal¬
tende Hand der jetzigen Machthaber erkennen, obwohl der Geist und die innere Bedeu¬
tung der 29 Paragraphe, in welcher die östreichische Nation ihre Rechte garantirt
erhalten soll, wesentlich die Forderungen der Nationalfödcration und Provinzialselbst-
ständigkeit enthalten. Wird dieser Entwurf die dritte Lesung im constitutionellen
Reichstage erleben und mit einigen liberalen Minoritätsvoten angenommen, so können
die östreichischen Völker mit ihrer iun^i," clrurtit sehr zufrieden sein. ES fragt sich
aber nur, ob dem Reichstage die unbedingte Annahme dieses Entwurfes als Neichs-
gesetz > gegönnt werden wird, d. h. ob die Regierung, wie es ihre offiziellen Blätter
andeuten, nicht rascher mit der Pnblizirung einer Verfassung hervortreten wird, als eS
selbst der auf Antrag Schusclkas gefaßte Beschluß des Reichstages in Aussicht stellt.
Das Bedürfniß eines geregelten Rechtszustandes nach constitutionellen Grundsätzen
macht sich bei der fortherrschenden Willkür der Militärregierung und der factischen Ab¬
hängigkeit des verantwortlichen Cabinets von den Windischgrätz'sehen Vollmachten täg¬
lich fühlbarer. Der Reichstag ist der unmittelbaren Theilnahme des Volkes entrückt
und die reaktionäre Schmachlitcratur so wie die ministerielle Presse tragen jede nach
ihrer Art dazu bei, das Ansehen der Volksvertreter in den Augen aller Parteien zu
untergraben. Seitdem die kühnen Interpellationen und das Eingreifen in die Ver¬
waltungsfragen von dem Reichstage in bescheidener Ehrfurcht vor dem peinlichen The¬
resianischen Strafcodex und den glänzenden Säbelklingen der Offiziere aufgegeben sind,
hat auch das Interesse an dessen Verhandlungen selbst von Seite aller jener neuge-
bornen Politiker nachgelassen, welche sich gerne an dem Tourniere zwischen Ministern
und Deputirten ergötzten, oder durch die Anfragen ihrer Vertrauensmänner die täg¬
lichen Bedürfnisse ihrer Gemeinde oder Familienangelegenheiten erledigt sehen wollten.
Der Reichstag wird nach der neulichen Erklärung des jungen Kaisers nnr mehr als
eine Regierungscommisston betrachtet, welcher die Ausarbeitung einer Verfassung aufge¬
tragen ist. Von der "Prüfung" des verantwortlichen Raths der Krone wird es ab¬
hängen, ob und in welcher Form dieses Elaborats angenommen werden wird. Und
der Reichstag scheint seine jetzige Stellung als k. k. Collegialgremium auch recht
wohl zu begreifen und wird sich kaum erlauben, freisinniger zu denken und zu referiren,
als es im Sinne des jetzigen Cabinets liegt. Das Anslösungspatent, welches nebst


Aus Krems» er.



Unsere Weihnachten haben nicht jene Bcscheening gebracht, welche von vielen
Seiten erwartet wurde: eine octroyirte Verfassung. Der Reichstag wurde bis zum
2. Januar vertagt und somit der Hoffnung Raum gegeben, daß ihm die Ausarbei¬
tung der Verfassung überlassen bleiben werde. Ueberdies hat Herr Schuselka den nai¬
ven Antrag gestellt, daß die Verfassung definitiv bis zum 15. März publicirt werden
könne. Und der Reichstag hat diesen Antrag einhellig genehmigt. Sollte er sich ein
Dementi geben, so wird dies weniger von seiner Thätigkeit als von dem Zusammen¬
treffen der politischen Verhältnisse und von dem guten Willen der Regierung abhän¬
gen. Indessen hat die Lesung der Grundrechte in ihrer nach dem Oktober revidirten
Fassung stattgefunden. Das Land wird in einigen Veränderungen derselben die wal¬
tende Hand der jetzigen Machthaber erkennen, obwohl der Geist und die innere Bedeu¬
tung der 29 Paragraphe, in welcher die östreichische Nation ihre Rechte garantirt
erhalten soll, wesentlich die Forderungen der Nationalfödcration und Provinzialselbst-
ständigkeit enthalten. Wird dieser Entwurf die dritte Lesung im constitutionellen
Reichstage erleben und mit einigen liberalen Minoritätsvoten angenommen, so können
die östreichischen Völker mit ihrer iun^i,» clrurtit sehr zufrieden sein. ES fragt sich
aber nur, ob dem Reichstage die unbedingte Annahme dieses Entwurfes als Neichs-
gesetz > gegönnt werden wird, d. h. ob die Regierung, wie es ihre offiziellen Blätter
andeuten, nicht rascher mit der Pnblizirung einer Verfassung hervortreten wird, als eS
selbst der auf Antrag Schusclkas gefaßte Beschluß des Reichstages in Aussicht stellt.
Das Bedürfniß eines geregelten Rechtszustandes nach constitutionellen Grundsätzen
macht sich bei der fortherrschenden Willkür der Militärregierung und der factischen Ab¬
hängigkeit des verantwortlichen Cabinets von den Windischgrätz'sehen Vollmachten täg¬
lich fühlbarer. Der Reichstag ist der unmittelbaren Theilnahme des Volkes entrückt
und die reaktionäre Schmachlitcratur so wie die ministerielle Presse tragen jede nach
ihrer Art dazu bei, das Ansehen der Volksvertreter in den Augen aller Parteien zu
untergraben. Seitdem die kühnen Interpellationen und das Eingreifen in die Ver¬
waltungsfragen von dem Reichstage in bescheidener Ehrfurcht vor dem peinlichen The¬
resianischen Strafcodex und den glänzenden Säbelklingen der Offiziere aufgegeben sind,
hat auch das Interesse an dessen Verhandlungen selbst von Seite aller jener neuge-
bornen Politiker nachgelassen, welche sich gerne an dem Tourniere zwischen Ministern
und Deputirten ergötzten, oder durch die Anfragen ihrer Vertrauensmänner die täg¬
lichen Bedürfnisse ihrer Gemeinde oder Familienangelegenheiten erledigt sehen wollten.
Der Reichstag wird nach der neulichen Erklärung des jungen Kaisers nnr mehr als
eine Regierungscommisston betrachtet, welcher die Ausarbeitung einer Verfassung aufge¬
tragen ist. Von der „Prüfung" des verantwortlichen Raths der Krone wird es ab¬
hängen, ob und in welcher Form dieses Elaborats angenommen werden wird. Und
der Reichstag scheint seine jetzige Stellung als k. k. Collegialgremium auch recht
wohl zu begreifen und wird sich kaum erlauben, freisinniger zu denken und zu referiren,
als es im Sinne des jetzigen Cabinets liegt. Das Anslösungspatent, welches nebst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/47>, abgerufen am 23.07.2024.