Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dein und Gebeinen erschlagener Serben einen ganzen Thurm, die berüchtigte La-
nieuick-t Kul-i, erbauten, ballen die Jünglinge die Fäuste bis zum Krampf und schwö¬
ren wiederholt neue, blutige Rache den Türken. Freilich meinen die Alten, sie
wüßten gewiß, daß die K-unenicKit Kri" lange nicht aus lauter serbischen Schädeln
gebaut worden sei, die Türken hätten auch, um den Serben größere Schrecken
einzujagen, die Reste ihrer eigenen Leute mit zum Bau genommen, und dann
Alles für serbische Gebeine ausgegeben. Darauf entgegnet die rachedurstige ser¬
bische Jugend: "Wenn es die Türken so erzählen, müssen wir ihnen aufs Wort
glauben. Mit welchem Maaße Jemand ausmißt, wird ihm auch wieder zuge¬
messen. Jene alte Schuld muß gezahlt werdeu, wie sie die Türken fordern.
Für jeden Schädel, den sie sür serbisch ausgaben, zahlen wir ihnen einmal auf
Treu und Glauben mit einem türkischen!"

Nachdem wir uns in dem großartigen Hotel (Zdauie), welches Fürst Michal
erbauen lassen, sattsam restaurirt und die Vortrefflichkeit des feurigen schwarzen
Ncgotiner Landweins erprobt hatten, war unser erster Gang nach der Türkcnstadt
gerichtet. Ein ortskundiger Landsmann, der seit etlichen Jahren in Diensten des Für¬
sten von Serbien steht, war so gefällig, uns zu begleiten. Ehe wir über die schöne
und lebhafte Straße von Varoskapie beim russischen Consulat vorbei in die Türken¬
stadt einbogen, fesselten zwei engelschöue, serbische Mädchen, die auf einer Steinbank
saßen, unsere Aufmerksamkeit. Die reizendere von beiden, unstreitig eine der er¬
sten Schönheiten Belgrad's und sehr reich, ist dem regierenden Fürsten Alexander
Karageorgevic nahe verwandt. Eine herrliche Gestalt, voll und tcmnenschlauk,
das Profil tadellos gerissen und von einem bezaubernden Teint, wunderbar schön
gewölbte Augenbraunen und ein volles schwarzes Haar, das unter einem rothen
Käppchen mit lauger Goldtroddel üppig hervorquoll. Dazu die köstliche kleidsame
Nationaltracht, ein schön geschnittenes, altslavischcs Wämmschen von violettem
Sammt, mit Zobelbräm und reicher Goldstickerei! Auf unsern Gruß dankten die
Mädchen nach Landessitte aufstehend und sich leicht verneigend. Wenige Schritte
weiter saß mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen ein bärbeissiger, grau¬
bärtiger Türke mit einem fabelhaft hohen Turban, der uns vorkam, wie der Cer-
berus des Türkenviertcls; er starrte, die lange Pfeife (Cibuk) im Munde und
dichte Rauchwolken ausstoßend, vor sich hin, als hörte, fühlte, sähe und dächte
er nichts, als eben nnr seinen qualmenden Cibuk. Zwei türkische Weiber (kaduny)
in seidenen domiuoartigeu Kaftans, (Fercdzc) bis an die Nasen in weiße Schleier
verhüllt rauschten an nus vorüber. Ihnen nachschauend dachte ich bei mir, ob
wohl diese Töchter des Harems auch so bezaubernd schön sein mögen, wie jenes
serbische Mädchen? Inzwischen hatte sich einer meiner Begleiter von meinem Arm
losgemacht und wollte nach der Richtung hin, wo die beiden Türkinnen eben um
eine Ecke bogen. Unser belgrader Freund hielt ihn auf: "Um des Himmels
willen, wo wollen Sie hin!" -- ""Den Frauen nach! Ich muß sie näher se-


dein und Gebeinen erschlagener Serben einen ganzen Thurm, die berüchtigte La-
nieuick-t Kul-i, erbauten, ballen die Jünglinge die Fäuste bis zum Krampf und schwö¬
ren wiederholt neue, blutige Rache den Türken. Freilich meinen die Alten, sie
wüßten gewiß, daß die K-unenicKit Kri» lange nicht aus lauter serbischen Schädeln
gebaut worden sei, die Türken hätten auch, um den Serben größere Schrecken
einzujagen, die Reste ihrer eigenen Leute mit zum Bau genommen, und dann
Alles für serbische Gebeine ausgegeben. Darauf entgegnet die rachedurstige ser¬
bische Jugend: „Wenn es die Türken so erzählen, müssen wir ihnen aufs Wort
glauben. Mit welchem Maaße Jemand ausmißt, wird ihm auch wieder zuge¬
messen. Jene alte Schuld muß gezahlt werdeu, wie sie die Türken fordern.
Für jeden Schädel, den sie sür serbisch ausgaben, zahlen wir ihnen einmal auf
Treu und Glauben mit einem türkischen!"

Nachdem wir uns in dem großartigen Hotel (Zdauie), welches Fürst Michal
erbauen lassen, sattsam restaurirt und die Vortrefflichkeit des feurigen schwarzen
Ncgotiner Landweins erprobt hatten, war unser erster Gang nach der Türkcnstadt
gerichtet. Ein ortskundiger Landsmann, der seit etlichen Jahren in Diensten des Für¬
sten von Serbien steht, war so gefällig, uns zu begleiten. Ehe wir über die schöne
und lebhafte Straße von Varoskapie beim russischen Consulat vorbei in die Türken¬
stadt einbogen, fesselten zwei engelschöue, serbische Mädchen, die auf einer Steinbank
saßen, unsere Aufmerksamkeit. Die reizendere von beiden, unstreitig eine der er¬
sten Schönheiten Belgrad's und sehr reich, ist dem regierenden Fürsten Alexander
Karageorgevic nahe verwandt. Eine herrliche Gestalt, voll und tcmnenschlauk,
das Profil tadellos gerissen und von einem bezaubernden Teint, wunderbar schön
gewölbte Augenbraunen und ein volles schwarzes Haar, das unter einem rothen
Käppchen mit lauger Goldtroddel üppig hervorquoll. Dazu die köstliche kleidsame
Nationaltracht, ein schön geschnittenes, altslavischcs Wämmschen von violettem
Sammt, mit Zobelbräm und reicher Goldstickerei! Auf unsern Gruß dankten die
Mädchen nach Landessitte aufstehend und sich leicht verneigend. Wenige Schritte
weiter saß mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen ein bärbeissiger, grau¬
bärtiger Türke mit einem fabelhaft hohen Turban, der uns vorkam, wie der Cer-
berus des Türkenviertcls; er starrte, die lange Pfeife (Cibuk) im Munde und
dichte Rauchwolken ausstoßend, vor sich hin, als hörte, fühlte, sähe und dächte
er nichts, als eben nnr seinen qualmenden Cibuk. Zwei türkische Weiber (kaduny)
in seidenen domiuoartigeu Kaftans, (Fercdzc) bis an die Nasen in weiße Schleier
verhüllt rauschten an nus vorüber. Ihnen nachschauend dachte ich bei mir, ob
wohl diese Töchter des Harems auch so bezaubernd schön sein mögen, wie jenes
serbische Mädchen? Inzwischen hatte sich einer meiner Begleiter von meinem Arm
losgemacht und wollte nach der Richtung hin, wo die beiden Türkinnen eben um
eine Ecke bogen. Unser belgrader Freund hielt ihn auf: „Um des Himmels
willen, wo wollen Sie hin!" — „„Den Frauen nach! Ich muß sie näher se-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278441"/>
            <p xml:id="ID_2610" prev="#ID_2609"> dein und Gebeinen erschlagener Serben einen ganzen Thurm, die berüchtigte La-<lb/>
nieuick-t Kul-i, erbauten, ballen die Jünglinge die Fäuste bis zum Krampf und schwö¬<lb/>
ren wiederholt neue, blutige Rache den Türken. Freilich meinen die Alten, sie<lb/>
wüßten gewiß, daß die K-unenicKit Kri» lange nicht aus lauter serbischen Schädeln<lb/>
gebaut worden sei, die Türken hätten auch, um den Serben größere Schrecken<lb/>
einzujagen, die Reste ihrer eigenen Leute mit zum Bau genommen, und dann<lb/>
Alles für serbische Gebeine ausgegeben. Darauf entgegnet die rachedurstige ser¬<lb/>
bische Jugend: &#x201E;Wenn es die Türken so erzählen, müssen wir ihnen aufs Wort<lb/>
glauben. Mit welchem Maaße Jemand ausmißt, wird ihm auch wieder zuge¬<lb/>
messen. Jene alte Schuld muß gezahlt werdeu, wie sie die Türken fordern.<lb/>
Für jeden Schädel, den sie sür serbisch ausgaben, zahlen wir ihnen einmal auf<lb/>
Treu und Glauben mit einem türkischen!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2611" next="#ID_2612"> Nachdem wir uns in dem großartigen Hotel (Zdauie), welches Fürst Michal<lb/>
erbauen lassen, sattsam restaurirt und die Vortrefflichkeit des feurigen schwarzen<lb/>
Ncgotiner Landweins erprobt hatten, war unser erster Gang nach der Türkcnstadt<lb/>
gerichtet. Ein ortskundiger Landsmann, der seit etlichen Jahren in Diensten des Für¬<lb/>
sten von Serbien steht, war so gefällig, uns zu begleiten. Ehe wir über die schöne<lb/>
und lebhafte Straße von Varoskapie beim russischen Consulat vorbei in die Türken¬<lb/>
stadt einbogen, fesselten zwei engelschöue, serbische Mädchen, die auf einer Steinbank<lb/>
saßen, unsere Aufmerksamkeit. Die reizendere von beiden, unstreitig eine der er¬<lb/>
sten Schönheiten Belgrad's und sehr reich, ist dem regierenden Fürsten Alexander<lb/>
Karageorgevic nahe verwandt. Eine herrliche Gestalt, voll und tcmnenschlauk,<lb/>
das Profil tadellos gerissen und von einem bezaubernden Teint, wunderbar schön<lb/>
gewölbte Augenbraunen und ein volles schwarzes Haar, das unter einem rothen<lb/>
Käppchen mit lauger Goldtroddel üppig hervorquoll. Dazu die köstliche kleidsame<lb/>
Nationaltracht, ein schön geschnittenes, altslavischcs Wämmschen von violettem<lb/>
Sammt, mit Zobelbräm und reicher Goldstickerei! Auf unsern Gruß dankten die<lb/>
Mädchen nach Landessitte aufstehend und sich leicht verneigend. Wenige Schritte<lb/>
weiter saß mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen ein bärbeissiger, grau¬<lb/>
bärtiger Türke mit einem fabelhaft hohen Turban, der uns vorkam, wie der Cer-<lb/>
berus des Türkenviertcls; er starrte, die lange Pfeife (Cibuk) im Munde und<lb/>
dichte Rauchwolken ausstoßend, vor sich hin, als hörte, fühlte, sähe und dächte<lb/>
er nichts, als eben nnr seinen qualmenden Cibuk. Zwei türkische Weiber (kaduny)<lb/>
in seidenen domiuoartigeu Kaftans, (Fercdzc) bis an die Nasen in weiße Schleier<lb/>
verhüllt rauschten an nus vorüber. Ihnen nachschauend dachte ich bei mir, ob<lb/>
wohl diese Töchter des Harems auch so bezaubernd schön sein mögen, wie jenes<lb/>
serbische Mädchen? Inzwischen hatte sich einer meiner Begleiter von meinem Arm<lb/>
losgemacht und wollte nach der Richtung hin, wo die beiden Türkinnen eben um<lb/>
eine Ecke bogen. Unser belgrader Freund hielt ihn auf: &#x201E;Um des Himmels<lb/>
willen, wo wollen Sie hin!" &#x2014; &#x201E;&#x201E;Den Frauen nach! Ich muß sie näher se-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] dein und Gebeinen erschlagener Serben einen ganzen Thurm, die berüchtigte La- nieuick-t Kul-i, erbauten, ballen die Jünglinge die Fäuste bis zum Krampf und schwö¬ ren wiederholt neue, blutige Rache den Türken. Freilich meinen die Alten, sie wüßten gewiß, daß die K-unenicKit Kri» lange nicht aus lauter serbischen Schädeln gebaut worden sei, die Türken hätten auch, um den Serben größere Schrecken einzujagen, die Reste ihrer eigenen Leute mit zum Bau genommen, und dann Alles für serbische Gebeine ausgegeben. Darauf entgegnet die rachedurstige ser¬ bische Jugend: „Wenn es die Türken so erzählen, müssen wir ihnen aufs Wort glauben. Mit welchem Maaße Jemand ausmißt, wird ihm auch wieder zuge¬ messen. Jene alte Schuld muß gezahlt werdeu, wie sie die Türken fordern. Für jeden Schädel, den sie sür serbisch ausgaben, zahlen wir ihnen einmal auf Treu und Glauben mit einem türkischen!" Nachdem wir uns in dem großartigen Hotel (Zdauie), welches Fürst Michal erbauen lassen, sattsam restaurirt und die Vortrefflichkeit des feurigen schwarzen Ncgotiner Landweins erprobt hatten, war unser erster Gang nach der Türkcnstadt gerichtet. Ein ortskundiger Landsmann, der seit etlichen Jahren in Diensten des Für¬ sten von Serbien steht, war so gefällig, uns zu begleiten. Ehe wir über die schöne und lebhafte Straße von Varoskapie beim russischen Consulat vorbei in die Türken¬ stadt einbogen, fesselten zwei engelschöue, serbische Mädchen, die auf einer Steinbank saßen, unsere Aufmerksamkeit. Die reizendere von beiden, unstreitig eine der er¬ sten Schönheiten Belgrad's und sehr reich, ist dem regierenden Fürsten Alexander Karageorgevic nahe verwandt. Eine herrliche Gestalt, voll und tcmnenschlauk, das Profil tadellos gerissen und von einem bezaubernden Teint, wunderbar schön gewölbte Augenbraunen und ein volles schwarzes Haar, das unter einem rothen Käppchen mit lauger Goldtroddel üppig hervorquoll. Dazu die köstliche kleidsame Nationaltracht, ein schön geschnittenes, altslavischcs Wämmschen von violettem Sammt, mit Zobelbräm und reicher Goldstickerei! Auf unsern Gruß dankten die Mädchen nach Landessitte aufstehend und sich leicht verneigend. Wenige Schritte weiter saß mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen ein bärbeissiger, grau¬ bärtiger Türke mit einem fabelhaft hohen Turban, der uns vorkam, wie der Cer- berus des Türkenviertcls; er starrte, die lange Pfeife (Cibuk) im Munde und dichte Rauchwolken ausstoßend, vor sich hin, als hörte, fühlte, sähe und dächte er nichts, als eben nnr seinen qualmenden Cibuk. Zwei türkische Weiber (kaduny) in seidenen domiuoartigeu Kaftans, (Fercdzc) bis an die Nasen in weiße Schleier verhüllt rauschten an nus vorüber. Ihnen nachschauend dachte ich bei mir, ob wohl diese Töchter des Harems auch so bezaubernd schön sein mögen, wie jenes serbische Mädchen? Inzwischen hatte sich einer meiner Begleiter von meinem Arm losgemacht und wollte nach der Richtung hin, wo die beiden Türkinnen eben um eine Ecke bogen. Unser belgrader Freund hielt ihn auf: „Um des Himmels willen, wo wollen Sie hin!" — „„Den Frauen nach! Ich muß sie näher se-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/453>, abgerufen am 23.07.2024.