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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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uns Niemand mehr und wir werden über die Achsel angesehen. Will ich Etwas
kaufen, muß ich es theuerer bezahlen als der Christ, Essen und Trinken muß ich
bezahlen und nicht einmal das Pferd halt mir der Christ umsonst! Und die Chri¬
sten leben im Ueberfluß, ja die Sumadia war nie so reich und fruchtbar wie jetzt,
wo man hinsieht, überall ein furchtbares Mihir! -- Der Christ ist aber geizig
und gibt nicht eine Pfeifenglut umsonst her. Der Christ hat Gold und Silber
genug und es kümmert ihn nicht, daß wir Rechtgläubige Hunger und Durst leiden
müssen in seinem Lande. So darf es nicht bleiben! Brechen wir einmal auf, da¬
mit unsern Brüder in der Sumadia geholfen und der reine Glaube wieder aus¬
gebreitet werde." -- Die Hörer schweigen eine Weile betroffen und rufen dann
im Chorus: "Nein! so darf es nicht bleiben! Wir werden unsern Brüdern zu
Hilfe kommen, wartet nur, zum nächsten Frühjahr!" -- So vertrösten sie sich
schon bei zwanzig Jahren und bleiben im nächsten Frühjahr allemal ruhig zu
Hause.

Ein anderes Verhältniß ist das der türkischen Besatzung, welche Serbien in
Belgrad und vier andern Festungen aufzunehmen hat. Diese lebt vom großherr¬
lichen Solde und kömmt mit den Serben, die ihr eignes Linienmilitär haben, in
gar keine dienstliche Berührung, ja sie lebt ganz abgeschlossen innerhalb der Fe¬
stungswälle, und geht fast nur zur Besetzung dreier Stadtthore in die eigentliche
Stadt herab. Den patriotischen Serben ist diese Besatzung, als ein Zeichen der
nicht völligen Unabhängigkeit von der hohen Pforte, fortwährend ein scharfer Dorn
im Auge. Knirschend sieht die serbische Jugend auf die türkischen Truppen und
zurück tief im Herzen den perfiden Nüssen, welche die Serben in ihren Freiheits¬
kämpfen zu wiederholten Malen im Stiche ließen und allein Schuld daran sind,
daß sich Serbien bis heute noch nicht ganz von der Türkei losreißen konnte. Die
russische Politik findet trotz der Neligionsgleichheit und Sprachenverwandschaft bei
der jetzigen Generation kein günstiges Terrain in Serbien, aus das sie schon lange
mit lüsternen, beutegierigen Auge" paßt.

So günstig auch jetzt Serbien den Türken gegenüber steht, so ist doch der
alte Haß gegen ihre ehemaligen Unterdrücker in den Herzen der Serben noch
nicht erloschen, ihre Rache an den Türken noch nicht ganz gesättigt. Selbst die
neuesten serbischen Volkslieder athmen den glühendsten Haß gegen dieselben. Wenn
die serbische Jugend des Abends beim verglimmenden Kohlenfeuer unter schattigen
Linden sitzt, erzählen die Greise, welche in den Befreiungskriegen angekämpft,
von den vergangenen Tagen der Knechtschaft, von der großartigen Erhebung des
Volks, von den blutigen Kämpfen mit den Janitscharen und den glänzenden Sie¬
gen des schwarzen Georg und höher schlägt dabei der aufmerksam horchenden Jüng¬
linge Brust. Kömmt dann so ein graubärtiger Erzähler zu dein unglücklichen Zwi-
schenfall, wo Kara Georg geschlagen und verfolgt aus Serbien floh und die tür¬
kischen Barbaren wie Wütberiche im Laude hausten und bei Kameuic ans den Seba-


uns Niemand mehr und wir werden über die Achsel angesehen. Will ich Etwas
kaufen, muß ich es theuerer bezahlen als der Christ, Essen und Trinken muß ich
bezahlen und nicht einmal das Pferd halt mir der Christ umsonst! Und die Chri¬
sten leben im Ueberfluß, ja die Sumadia war nie so reich und fruchtbar wie jetzt,
wo man hinsieht, überall ein furchtbares Mihir! — Der Christ ist aber geizig
und gibt nicht eine Pfeifenglut umsonst her. Der Christ hat Gold und Silber
genug und es kümmert ihn nicht, daß wir Rechtgläubige Hunger und Durst leiden
müssen in seinem Lande. So darf es nicht bleiben! Brechen wir einmal auf, da¬
mit unsern Brüder in der Sumadia geholfen und der reine Glaube wieder aus¬
gebreitet werde." — Die Hörer schweigen eine Weile betroffen und rufen dann
im Chorus: „Nein! so darf es nicht bleiben! Wir werden unsern Brüdern zu
Hilfe kommen, wartet nur, zum nächsten Frühjahr!" — So vertrösten sie sich
schon bei zwanzig Jahren und bleiben im nächsten Frühjahr allemal ruhig zu
Hause.

Ein anderes Verhältniß ist das der türkischen Besatzung, welche Serbien in
Belgrad und vier andern Festungen aufzunehmen hat. Diese lebt vom großherr¬
lichen Solde und kömmt mit den Serben, die ihr eignes Linienmilitär haben, in
gar keine dienstliche Berührung, ja sie lebt ganz abgeschlossen innerhalb der Fe¬
stungswälle, und geht fast nur zur Besetzung dreier Stadtthore in die eigentliche
Stadt herab. Den patriotischen Serben ist diese Besatzung, als ein Zeichen der
nicht völligen Unabhängigkeit von der hohen Pforte, fortwährend ein scharfer Dorn
im Auge. Knirschend sieht die serbische Jugend auf die türkischen Truppen und
zurück tief im Herzen den perfiden Nüssen, welche die Serben in ihren Freiheits¬
kämpfen zu wiederholten Malen im Stiche ließen und allein Schuld daran sind,
daß sich Serbien bis heute noch nicht ganz von der Türkei losreißen konnte. Die
russische Politik findet trotz der Neligionsgleichheit und Sprachenverwandschaft bei
der jetzigen Generation kein günstiges Terrain in Serbien, aus das sie schon lange
mit lüsternen, beutegierigen Auge» paßt.

So günstig auch jetzt Serbien den Türken gegenüber steht, so ist doch der
alte Haß gegen ihre ehemaligen Unterdrücker in den Herzen der Serben noch
nicht erloschen, ihre Rache an den Türken noch nicht ganz gesättigt. Selbst die
neuesten serbischen Volkslieder athmen den glühendsten Haß gegen dieselben. Wenn
die serbische Jugend des Abends beim verglimmenden Kohlenfeuer unter schattigen
Linden sitzt, erzählen die Greise, welche in den Befreiungskriegen angekämpft,
von den vergangenen Tagen der Knechtschaft, von der großartigen Erhebung des
Volks, von den blutigen Kämpfen mit den Janitscharen und den glänzenden Sie¬
gen des schwarzen Georg und höher schlägt dabei der aufmerksam horchenden Jüng¬
linge Brust. Kömmt dann so ein graubärtiger Erzähler zu dein unglücklichen Zwi-
schenfall, wo Kara Georg geschlagen und verfolgt aus Serbien floh und die tür¬
kischen Barbaren wie Wütberiche im Laude hausten und bei Kameuic ans den Seba-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/452>, abgerufen am 23.07.2024.