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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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getroffen, nicht wieder erholt; einige Waffenschmiede und Tabakhändler ausgenom¬
men leben sie meist in Armuth und Noth, während unter den Serben allenthal¬
ben der Wohlstand blüht.

Die Lage der türkischen Einwohnerschaft zu Belgrad und in ganz Serbien
hat sich bedeutend geändert. Die Kinder der Spahi's und Aga's, die noch in den
Tagen Pasvan Oglu's reich und üppig in golddurchwirkten Scidengewändern auf
arabischen Rossen prunkend einherritten und in Serbien fast unbeschränkt herrsch¬
ten, spielen jetzt auf serbischen Boden eine traurige Rolle. Früher durste kein
Serbe bei Begegnung eines Türken auf seinem Pferde bleiben, er mußte schon
in geraumer Entfernung absitzen und seinen Waffeugürtel mit dem Shawl bedecken,
bis der Osmanli vorüber war; ja es mußte sogar jeder Serbe ohne Unterschied
jedem Türken, der ihn darum anrief, sogleich den niedrigsten Handdienst verrich¬
ten, ohne Anspruch auf Entgelt. Jetzt ist es anders geworden, Dank Kara
Georgje, Dank Weliko, Dank dem großen Milos Obrenovic! Jetzt thut der
Türke, seiner Güter beraubt, heruntergekommen und ganz verarmt, dem Serben
Taglöhnersdicnst und die niedrigste Handarbeit, so daß man beim Holzspalten,
Wasserträger, Schisszichen u. dergl. selten eiuen Serbier beschäftigt sehen wird.
Bittere Noth zwingt die Türken dazu. Ein Stuck Maisbrot und einige Zwiebeln
sind in der Regel die tägliche Mahlzeit der armen türkischen Taglöhner. Nur
den Handwerkern und Haustrern geht es etwas besser. Wohlhabende Türken trifft
man in Belgrad nur wenige. Ich selbst fand im Hause eines alten serbischen
Kämpen, der unter Kara Georg als Hauptmann gekämpft, einen greisen türkischen
Diener. Dieser war früher Spahi und sein jetziger Herr seufzte damals als
. Unterthan unter dessen Despotcnfaust.

Den Mohamedanern in Bosnien geht die Noth ihrer Glaubensbrüder in
Serbien sehr zu Herzen. Sie reden wohl schon zwanzig Jahre davon, daß sie
im künstigen Frühjahr hinüberziehn und ihre Brüder wieder zu Herren von Ser¬
bien machen werden, aber immer bleibt es beim bloßen Reden. Wenn irgend ein
türkischer Kaufmann über Serbien in ein mohamedanisches Dorf in Bosnien kommt,
sammeln sich die Bewohner neugierig um ihn und fragen theilnehmend: "Sprich
und erzähle nach Deinem Glauben, wie steht es in der Snmadia?*) wie geht
es dort unsern Brüdern, den Türken? sind sie noch immer ruhig? richtet und
beherrscht sie der Christ? dürfen sie noch ihre Waffen tragen und müssen sie den
"lüll-ne" (Steuer) zahlen dem Christen?" Die Antwort lautet gewöhnlich: "Bei
meinem Glauben und so mir das Gesetz heilig! dort ist unser reine Glaube im
Verfall. Die Unsrigen mußten sich auf die Festung zurückziehn, aber seht, von
was sollen sie in der Festung leben? Sie müssen hinaus in das Feld, und die
Felder gehören alle den Christen. Kommt jetzt unser einer in die Sumadia, achtet
------^- "



*) Sllmaäia -- wörtlich Walddistrikt -- ist in Bosnien der Vulgarname für Serbien. >
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getroffen, nicht wieder erholt; einige Waffenschmiede und Tabakhändler ausgenom¬
men leben sie meist in Armuth und Noth, während unter den Serben allenthal¬
ben der Wohlstand blüht.

Die Lage der türkischen Einwohnerschaft zu Belgrad und in ganz Serbien
hat sich bedeutend geändert. Die Kinder der Spahi's und Aga's, die noch in den
Tagen Pasvan Oglu's reich und üppig in golddurchwirkten Scidengewändern auf
arabischen Rossen prunkend einherritten und in Serbien fast unbeschränkt herrsch¬
ten, spielen jetzt auf serbischen Boden eine traurige Rolle. Früher durste kein
Serbe bei Begegnung eines Türken auf seinem Pferde bleiben, er mußte schon
in geraumer Entfernung absitzen und seinen Waffeugürtel mit dem Shawl bedecken,
bis der Osmanli vorüber war; ja es mußte sogar jeder Serbe ohne Unterschied
jedem Türken, der ihn darum anrief, sogleich den niedrigsten Handdienst verrich¬
ten, ohne Anspruch auf Entgelt. Jetzt ist es anders geworden, Dank Kara
Georgje, Dank Weliko, Dank dem großen Milos Obrenovic! Jetzt thut der
Türke, seiner Güter beraubt, heruntergekommen und ganz verarmt, dem Serben
Taglöhnersdicnst und die niedrigste Handarbeit, so daß man beim Holzspalten,
Wasserträger, Schisszichen u. dergl. selten eiuen Serbier beschäftigt sehen wird.
Bittere Noth zwingt die Türken dazu. Ein Stuck Maisbrot und einige Zwiebeln
sind in der Regel die tägliche Mahlzeit der armen türkischen Taglöhner. Nur
den Handwerkern und Haustrern geht es etwas besser. Wohlhabende Türken trifft
man in Belgrad nur wenige. Ich selbst fand im Hause eines alten serbischen
Kämpen, der unter Kara Georg als Hauptmann gekämpft, einen greisen türkischen
Diener. Dieser war früher Spahi und sein jetziger Herr seufzte damals als
. Unterthan unter dessen Despotcnfaust.

Den Mohamedanern in Bosnien geht die Noth ihrer Glaubensbrüder in
Serbien sehr zu Herzen. Sie reden wohl schon zwanzig Jahre davon, daß sie
im künstigen Frühjahr hinüberziehn und ihre Brüder wieder zu Herren von Ser¬
bien machen werden, aber immer bleibt es beim bloßen Reden. Wenn irgend ein
türkischer Kaufmann über Serbien in ein mohamedanisches Dorf in Bosnien kommt,
sammeln sich die Bewohner neugierig um ihn und fragen theilnehmend: „Sprich
und erzähle nach Deinem Glauben, wie steht es in der Snmadia?*) wie geht
es dort unsern Brüdern, den Türken? sind sie noch immer ruhig? richtet und
beherrscht sie der Christ? dürfen sie noch ihre Waffen tragen und müssen sie den
„lüll-ne" (Steuer) zahlen dem Christen?" Die Antwort lautet gewöhnlich: „Bei
meinem Glauben und so mir das Gesetz heilig! dort ist unser reine Glaube im
Verfall. Die Unsrigen mußten sich auf die Festung zurückziehn, aber seht, von
was sollen sie in der Festung leben? Sie müssen hinaus in das Feld, und die
Felder gehören alle den Christen. Kommt jetzt unser einer in die Sumadia, achtet
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*) Sllmaäia — wörtlich Walddistrikt — ist in Bosnien der Vulgarname für Serbien. >
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[0451] getroffen, nicht wieder erholt; einige Waffenschmiede und Tabakhändler ausgenom¬ men leben sie meist in Armuth und Noth, während unter den Serben allenthal¬ ben der Wohlstand blüht. Die Lage der türkischen Einwohnerschaft zu Belgrad und in ganz Serbien hat sich bedeutend geändert. Die Kinder der Spahi's und Aga's, die noch in den Tagen Pasvan Oglu's reich und üppig in golddurchwirkten Scidengewändern auf arabischen Rossen prunkend einherritten und in Serbien fast unbeschränkt herrsch¬ ten, spielen jetzt auf serbischen Boden eine traurige Rolle. Früher durste kein Serbe bei Begegnung eines Türken auf seinem Pferde bleiben, er mußte schon in geraumer Entfernung absitzen und seinen Waffeugürtel mit dem Shawl bedecken, bis der Osmanli vorüber war; ja es mußte sogar jeder Serbe ohne Unterschied jedem Türken, der ihn darum anrief, sogleich den niedrigsten Handdienst verrich¬ ten, ohne Anspruch auf Entgelt. Jetzt ist es anders geworden, Dank Kara Georgje, Dank Weliko, Dank dem großen Milos Obrenovic! Jetzt thut der Türke, seiner Güter beraubt, heruntergekommen und ganz verarmt, dem Serben Taglöhnersdicnst und die niedrigste Handarbeit, so daß man beim Holzspalten, Wasserträger, Schisszichen u. dergl. selten eiuen Serbier beschäftigt sehen wird. Bittere Noth zwingt die Türken dazu. Ein Stuck Maisbrot und einige Zwiebeln sind in der Regel die tägliche Mahlzeit der armen türkischen Taglöhner. Nur den Handwerkern und Haustrern geht es etwas besser. Wohlhabende Türken trifft man in Belgrad nur wenige. Ich selbst fand im Hause eines alten serbischen Kämpen, der unter Kara Georg als Hauptmann gekämpft, einen greisen türkischen Diener. Dieser war früher Spahi und sein jetziger Herr seufzte damals als . Unterthan unter dessen Despotcnfaust. Den Mohamedanern in Bosnien geht die Noth ihrer Glaubensbrüder in Serbien sehr zu Herzen. Sie reden wohl schon zwanzig Jahre davon, daß sie im künstigen Frühjahr hinüberziehn und ihre Brüder wieder zu Herren von Ser¬ bien machen werden, aber immer bleibt es beim bloßen Reden. Wenn irgend ein türkischer Kaufmann über Serbien in ein mohamedanisches Dorf in Bosnien kommt, sammeln sich die Bewohner neugierig um ihn und fragen theilnehmend: „Sprich und erzähle nach Deinem Glauben, wie steht es in der Snmadia?*) wie geht es dort unsern Brüdern, den Türken? sind sie noch immer ruhig? richtet und beherrscht sie der Christ? dürfen sie noch ihre Waffen tragen und müssen sie den „lüll-ne" (Steuer) zahlen dem Christen?" Die Antwort lautet gewöhnlich: „Bei meinem Glauben und so mir das Gesetz heilig! dort ist unser reine Glaube im Verfall. Die Unsrigen mußten sich auf die Festung zurückziehn, aber seht, von was sollen sie in der Festung leben? Sie müssen hinaus in das Feld, und die Felder gehören alle den Christen. Kommt jetzt unser einer in die Sumadia, achtet ———^- » *) Sllmaäia — wörtlich Walddistrikt — ist in Bosnien der Vulgarname für Serbien. > 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/451>, abgerufen am 23.07.2024.