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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wirren wird. Die Linke möchte gern ihre Scheu vor diesem gewaltigen Redner
ableugnen; sie hat das wunderliche Project ausgebrütet, ihn dadurch in der Ach¬
tung herabzusetzen, daß sie ihm jedesmal ihren Clown, unsern alten Freund
Dierschke, entgegenstellt. Ich hörte ein Paar dieser Ehrenmänner mit großem
Entzücken diesen Plan verarbeiten. Wenn Vincke eintritt, drängt sich Alles in
seine Nähe; mit der Herablassung eines Seniors gegen seine Füchse -- er muß
zur Zeit ein prächtiger Senior gewesen sein -- drückt er diesem oder jenem Be¬
kannten die Hand und wirst sich dann aus seinen Sitz, die Arme aufgestemmt, den
Körper, der sich alsdann noch kolossaler ausnimmt, in möglichst nachlässiger Be¬
quemlichkeit über den Sitz verbreitet. Einer nach dem Andern -- auch von der
Linken -- kommt heran, ihm den Hof zu machen; mit huldvollem Gähnen läßt
er es geschehen.

Wenn in Vincke dies aristokratische Wesen in jener liebenswürdigen indivi¬
duellen Ungenirtheit, die sich fühlt und sich daher gehen lassen kann, ohne roh
zu werden, zur Erscheinung kommt, so äußert es sich bei Graf Arnim-Boitzen-
burg in vornehmen, überall in feste Schranken gebundenen Formen. Eine hohe,
schlanke Gestalt, schreitet er kerzengerade durch die Versammlung, den Oberrock
nach englischer Weise fest zugeknöpft, aufrechten Hemdkragen, die dünnen, roth¬
blonden Haare zierlich über die Glatze gekämmt, Habichtsnase, um den feinen
Mund stets ein gelinder Anflug von ironischem Lächeln, große, blaue, durchboh¬
rende Augen. Er grüßt nur mit den Augen. Auch auf seinem Sitz läßt er sich
nie gehen und contrastirt dann seltsam mit Vincke, der vor ihm sitzt und die
Empfindungen des Amüsements und der Langweile in allen denkbaren Modula¬
tionen aus seinem breiten Gesichte spielen läßt. Seine Aussprache ist nicht frei,
sie fließt nicht in natürlicher Leichtigkeit, er stößt die Sätze hervor, aber mit einem
kräftigen, belebten Organ; er erinnert lebhaft an Marr. Die einzelnen Wendun¬
gen werden nachdrücklich und mit einer gewissen Heftigkeit betont. Die kleine
Rede, die er über Annahme des Viebahn'schen Geschäftsreglcments hielt, und die
durchaus improvisirt war, weil sie sich wesentlich auf eine Kritik der eben vorge¬
brachten Ansichten beschränkte, war entschieden die Krone der Debatte; hier war
nichts Ungehöriges; eine strenge logische Folge, überall mit Bewußtsein, und doch
ohne Pedanterie zusammengehalten. Arnim wird niemals blenden oder ergötzen, aber
Keiner ist so geeignet, was er denkt und will, in überzeugende Darstellung zu bringen.

Bodelschwingh, der hinter Arnim sitzt, hat ganz das Ansehen eines
Dragonerobersten. Ein kräftiger, blonder Schnurrbart, stqttliche Figur, gutmüthige
Augen, in denen aber doch etwas wie Gewohnheit des Commandirens liegt.
Mit großer Aufmerksamkeit, halb geöffnetem Munde verfolgt er die Verhandlungen
und sieht mit einer Art Verwunderung in die neue Welt, die doch immer für ihn
etwas Fremdartiges haben muß. Er ist jedenfalls ein guter Familienvater.
Sprechen habe ich ihn noch nicht hören.


wirren wird. Die Linke möchte gern ihre Scheu vor diesem gewaltigen Redner
ableugnen; sie hat das wunderliche Project ausgebrütet, ihn dadurch in der Ach¬
tung herabzusetzen, daß sie ihm jedesmal ihren Clown, unsern alten Freund
Dierschke, entgegenstellt. Ich hörte ein Paar dieser Ehrenmänner mit großem
Entzücken diesen Plan verarbeiten. Wenn Vincke eintritt, drängt sich Alles in
seine Nähe; mit der Herablassung eines Seniors gegen seine Füchse — er muß
zur Zeit ein prächtiger Senior gewesen sein — drückt er diesem oder jenem Be¬
kannten die Hand und wirst sich dann aus seinen Sitz, die Arme aufgestemmt, den
Körper, der sich alsdann noch kolossaler ausnimmt, in möglichst nachlässiger Be¬
quemlichkeit über den Sitz verbreitet. Einer nach dem Andern — auch von der
Linken — kommt heran, ihm den Hof zu machen; mit huldvollem Gähnen läßt
er es geschehen.

Wenn in Vincke dies aristokratische Wesen in jener liebenswürdigen indivi¬
duellen Ungenirtheit, die sich fühlt und sich daher gehen lassen kann, ohne roh
zu werden, zur Erscheinung kommt, so äußert es sich bei Graf Arnim-Boitzen-
burg in vornehmen, überall in feste Schranken gebundenen Formen. Eine hohe,
schlanke Gestalt, schreitet er kerzengerade durch die Versammlung, den Oberrock
nach englischer Weise fest zugeknöpft, aufrechten Hemdkragen, die dünnen, roth¬
blonden Haare zierlich über die Glatze gekämmt, Habichtsnase, um den feinen
Mund stets ein gelinder Anflug von ironischem Lächeln, große, blaue, durchboh¬
rende Augen. Er grüßt nur mit den Augen. Auch auf seinem Sitz läßt er sich
nie gehen und contrastirt dann seltsam mit Vincke, der vor ihm sitzt und die
Empfindungen des Amüsements und der Langweile in allen denkbaren Modula¬
tionen aus seinem breiten Gesichte spielen läßt. Seine Aussprache ist nicht frei,
sie fließt nicht in natürlicher Leichtigkeit, er stößt die Sätze hervor, aber mit einem
kräftigen, belebten Organ; er erinnert lebhaft an Marr. Die einzelnen Wendun¬
gen werden nachdrücklich und mit einer gewissen Heftigkeit betont. Die kleine
Rede, die er über Annahme des Viebahn'schen Geschäftsreglcments hielt, und die
durchaus improvisirt war, weil sie sich wesentlich auf eine Kritik der eben vorge¬
brachten Ansichten beschränkte, war entschieden die Krone der Debatte; hier war
nichts Ungehöriges; eine strenge logische Folge, überall mit Bewußtsein, und doch
ohne Pedanterie zusammengehalten. Arnim wird niemals blenden oder ergötzen, aber
Keiner ist so geeignet, was er denkt und will, in überzeugende Darstellung zu bringen.

Bodelschwingh, der hinter Arnim sitzt, hat ganz das Ansehen eines
Dragonerobersten. Ein kräftiger, blonder Schnurrbart, stqttliche Figur, gutmüthige
Augen, in denen aber doch etwas wie Gewohnheit des Commandirens liegt.
Mit großer Aufmerksamkeit, halb geöffnetem Munde verfolgt er die Verhandlungen
und sieht mit einer Art Verwunderung in die neue Welt, die doch immer für ihn
etwas Fremdartiges haben muß. Er ist jedenfalls ein guter Familienvater.
Sprechen habe ich ihn noch nicht hören.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/444>, abgerufen am 23.12.2024.