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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mer, da nun der Ausfall direct auf Schön, den Alterspräsidenten der frühern
Versammlung , gerichtet erscheinen mußte.

Neben dem Alterspräsidenten fungiren die jüngsten Mitglieder als Secretaire.
Sie sind nicht über 32 Jahre alt, und alle radical. Assessor ParrisiuS, der
unvermeidliche Schriftführer der Constituante, ist der junge Berliner, wie er leibt
und lebt. Sein Bild, welches Sie bei Rocca sehen, ist sprechend ähnlich. Er
gehört zu der nicht unbedeutenden Classe der jungen Assessoren die als Staats¬
männer der Zukunft gegen die Gegenwart qu"ni-in6me Front machen. Karl
Grün, der bekannte Socialist, der wenn ich nicht irre, in Goethe'S Wanderjah¬
ren das Evangelium der künftigen Menschheit suchte, macht mit den vielsagenden
Blicken, die er beständig durch seine Brille schießen läßt, einen unangenehmen
Eindruck; er scheint aber nicht ohne oratorischeS Talent zu sein. Eine gewisse
Sucht, den Enthusiasmus für die gute Sache, den wir bei ihm gern voraussetzen
wollen, durch Ironie gegen die Gegner zu umkleiden, ist eben so natürlich als
fatal. --- Von den beiden andern jungen Schriftführern ist nichts zu sagen.
Ich gehe jetzt zu der Aristokratie der rechten Seite über, und beginne mit dem
Manne, der mein Liebling ist, wie der von ganz Preußen, mit Vincke.

Man sieht es diesem Manne an, daß er den Rechtsboden nur aus Princip
und aus Neigung vertheidigt, er ist nicht von ihm abhängig, er steht sest ans den
eigenen Füßen. Vincke würde nicht untergehen mit dem Königthum, nicht un¬
tergehen mit der Aristokratie. Ein gewaltiger Kops auf kolossalen Schultern, der
Vergleich mit einem Stier hat etwas Bezeichnendes. Ganz kurze, fast graue
Haare, die Angen von der Mannhaftigkeit der Muskel" etwas unterdrückt, von
der Brille überschleiert, kräftige, gesunde Gesichtsfarbe, das Prosit wider alle
Convenienz beinahe halbmondförmig, so kräftig tritt Stirn und Kinn hervor und
so wenig weiß die Nase ihr Recht zu behaupten. Nur ein ganz dünnes Bällchen
umsäumt das Kinn. Er geht mit raschen, kriegerischen Schritten auf die Tribune
zu, die Schultern treten etwas zu hoch hervor, der Kopf ist etwas vorwärts ge¬
bückt, um den Gegner in die Luft zu schleudern, der Gang und die Haltung der
Arme scheinen auf die Gewohnheit des Reitens hinzudeuten. Auf der Tribune ist
er gerade nach der Mitte hingewandt, er lehnt sich mit den Fingerspitzen aus das
Pult. Er spricht sehr schnell, aber deutlich, in einem beweglichen Baß, seine
Sprache ist nicht correct, er ist öfters gcnöchigt, sich zu corrigiren. Seine Aus¬
fälle kommen unerwartet und treffen immer ; das kleine Manöver, das er auch in
Frankfurt mehrfach angewendet, in uubedeureuden Fragen ans Rechtsgefühl für
die Linke sich zu entscheiden, hat ihm auch hier schon ein paarmal lauten Beifall
von dieser Seite zugezogen, obgleich sie in ihm ihren gefährlichen Gegner erkennt.
Vincke ist in den Borvcrsammlungen der rechte" Seite zum Chef erwählt; von
ihm geht das Programm aus , das in seinen wichtigsten Punkten, namentlich der
Anerkennung der octroyirten Verfassung, jedenfalls die Majorität der Kammer ge-


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mer, da nun der Ausfall direct auf Schön, den Alterspräsidenten der frühern
Versammlung , gerichtet erscheinen mußte.

Neben dem Alterspräsidenten fungiren die jüngsten Mitglieder als Secretaire.
Sie sind nicht über 32 Jahre alt, und alle radical. Assessor ParrisiuS, der
unvermeidliche Schriftführer der Constituante, ist der junge Berliner, wie er leibt
und lebt. Sein Bild, welches Sie bei Rocca sehen, ist sprechend ähnlich. Er
gehört zu der nicht unbedeutenden Classe der jungen Assessoren die als Staats¬
männer der Zukunft gegen die Gegenwart qu»ni-in6me Front machen. Karl
Grün, der bekannte Socialist, der wenn ich nicht irre, in Goethe'S Wanderjah¬
ren das Evangelium der künftigen Menschheit suchte, macht mit den vielsagenden
Blicken, die er beständig durch seine Brille schießen läßt, einen unangenehmen
Eindruck; er scheint aber nicht ohne oratorischeS Talent zu sein. Eine gewisse
Sucht, den Enthusiasmus für die gute Sache, den wir bei ihm gern voraussetzen
wollen, durch Ironie gegen die Gegner zu umkleiden, ist eben so natürlich als
fatal. -— Von den beiden andern jungen Schriftführern ist nichts zu sagen.
Ich gehe jetzt zu der Aristokratie der rechten Seite über, und beginne mit dem
Manne, der mein Liebling ist, wie der von ganz Preußen, mit Vincke.

Man sieht es diesem Manne an, daß er den Rechtsboden nur aus Princip
und aus Neigung vertheidigt, er ist nicht von ihm abhängig, er steht sest ans den
eigenen Füßen. Vincke würde nicht untergehen mit dem Königthum, nicht un¬
tergehen mit der Aristokratie. Ein gewaltiger Kops auf kolossalen Schultern, der
Vergleich mit einem Stier hat etwas Bezeichnendes. Ganz kurze, fast graue
Haare, die Angen von der Mannhaftigkeit der Muskel» etwas unterdrückt, von
der Brille überschleiert, kräftige, gesunde Gesichtsfarbe, das Prosit wider alle
Convenienz beinahe halbmondförmig, so kräftig tritt Stirn und Kinn hervor und
so wenig weiß die Nase ihr Recht zu behaupten. Nur ein ganz dünnes Bällchen
umsäumt das Kinn. Er geht mit raschen, kriegerischen Schritten auf die Tribune
zu, die Schultern treten etwas zu hoch hervor, der Kopf ist etwas vorwärts ge¬
bückt, um den Gegner in die Luft zu schleudern, der Gang und die Haltung der
Arme scheinen auf die Gewohnheit des Reitens hinzudeuten. Auf der Tribune ist
er gerade nach der Mitte hingewandt, er lehnt sich mit den Fingerspitzen aus das
Pult. Er spricht sehr schnell, aber deutlich, in einem beweglichen Baß, seine
Sprache ist nicht correct, er ist öfters gcnöchigt, sich zu corrigiren. Seine Aus¬
fälle kommen unerwartet und treffen immer ; das kleine Manöver, das er auch in
Frankfurt mehrfach angewendet, in uubedeureuden Fragen ans Rechtsgefühl für
die Linke sich zu entscheiden, hat ihm auch hier schon ein paarmal lauten Beifall
von dieser Seite zugezogen, obgleich sie in ihm ihren gefährlichen Gegner erkennt.
Vincke ist in den Borvcrsammlungen der rechte» Seite zum Chef erwählt; von
ihm geht das Programm aus , das in seinen wichtigsten Punkten, namentlich der
Anerkennung der octroyirten Verfassung, jedenfalls die Majorität der Kammer ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/443>, abgerufen am 23.07.2024.