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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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herausgebildet hat, über deren innere Welt sich noch keine Astronomie geben läßt,
darf eben darum nicht angegriffen und bekämpft, sondern sie muß vielmehr durch
kluge Lenkung bekehrt und erzogen werden. Diese Wahrheit gilt auch auf einem
andern Felde; die frühern Ministerien, die Civil- und Militärgouvernenre Oest¬
reichs hätten sie zunächst berücksichtige" sollen. Gegenüber der in sich zusammen¬
sinkenden Charakterschwäche und moralischen Haltlosigkeit, die in den höhern Kreisen
herrschte, müßtet ihr euch freilich für fertige Männer halten; in verzeihlicher
Selbsttäuschung hieltet ihr euer burschikoses Reuuomiren für Gestnnungsadel, euern
jugendlichen Muth für festen, im Feuer der That gehärteten Charakter. So hat
euch die Revolution eine schädliche Frühreife gegeben, die ihr mit euern Wiener
Brüdern gemein habt. Es läßt sich nicht leugnen, daß man arg an euch gesün¬
digt habe. Weil man euch keinen wohlmeinenden Mentor an die Seite stellen
konnte, so hat man einen unerbittlichen Zuchtmeister über euch geschickt. Er
mußte in Prag und Wien eure durch Barrikaden geschützten Luftschlösser mit sei¬
ner Heeresmacht erstürmen, während im März die Jerichomauern des alten Regi¬
ments blos vor eurem pathetischen Schlachtruf zusammenbrachen. Diese Lösung
des Knotens war grausam -- aber in der weltgeschichtlichen Theodicee muß sie
als nothwendig erkannt, sie muß sogar gebilligt werden. Der Weltgeist, von
dem in der letzten Zeit so viel die Rede war, hat sich zürnend gegen diejenigen,
die ihn anriefen, gewendet -- und Fürst Windischgrätz wurde so eine "Geißel
Gottes," ohne selbst das höhere "wie" und "warum" zu wissen.

Wir mußten einmal auf diese oder jene Weise erlöst werden von der idealen
Willkür der Studentenherrschaft, von den jungen Tyrannen der Aula und ihren
politischen Burschenstreichen, damit das Werk der Organisation mit Besonnenheit
gefördert werden könne. Leider war die Methode, die man zur Widerlegung der
jugendlichen Irrthümer wählte, ungeschickt und grausam zugleich. Jetzt ist eS
aber nicht an der Zeit, unsere Kraft in dein unproductiven Gefühl des Hasses
zu verzehren. Lasset uns vielmehr zeigen, daß wir alle durch die Erfahrung, sy
bitter sie sein mag, klug geworden sind.

Eure Brüder in Wien waren begeisterte Argonauten, welche das goldene
Vließ der Freiheit zu besitzen glaubten, wenn sie die Drachen, die vor den Pfor¬
ten des Tempels lagerten, getödtet hätten. Sie faßten den Kampf für die Frei¬
heit nur von der negativen Seite, als einen Kampf gegen die Reaction, und
waren nicht fähig zu begreifen, daß nicht nur die kriegerische Begeisterung, son¬
dern auch die friedliche Bemühung, der nüchterne Muth der Arbeit zur vollen
Verwirklichung der Freiheit gehöre. Nicht durch den Feenstab des Idealismus,
sondern durch die prosaische Ausdauer, durch den männlichen Fleiß des Pflügens
und EggeuS wird der Boden der Wirklichkeit urbar gemacht für die ideale Saat
der Freiheit. Sie ist ein Saamenkorn, das wir mit ruhiger Hoffnung dem Boden
anvertrauen müssen. Denn erst der Herbst ist die volle Realitgt des Frühlings


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herausgebildet hat, über deren innere Welt sich noch keine Astronomie geben läßt,
darf eben darum nicht angegriffen und bekämpft, sondern sie muß vielmehr durch
kluge Lenkung bekehrt und erzogen werden. Diese Wahrheit gilt auch auf einem
andern Felde; die frühern Ministerien, die Civil- und Militärgouvernenre Oest¬
reichs hätten sie zunächst berücksichtige» sollen. Gegenüber der in sich zusammen¬
sinkenden Charakterschwäche und moralischen Haltlosigkeit, die in den höhern Kreisen
herrschte, müßtet ihr euch freilich für fertige Männer halten; in verzeihlicher
Selbsttäuschung hieltet ihr euer burschikoses Reuuomiren für Gestnnungsadel, euern
jugendlichen Muth für festen, im Feuer der That gehärteten Charakter. So hat
euch die Revolution eine schädliche Frühreife gegeben, die ihr mit euern Wiener
Brüdern gemein habt. Es läßt sich nicht leugnen, daß man arg an euch gesün¬
digt habe. Weil man euch keinen wohlmeinenden Mentor an die Seite stellen
konnte, so hat man einen unerbittlichen Zuchtmeister über euch geschickt. Er
mußte in Prag und Wien eure durch Barrikaden geschützten Luftschlösser mit sei¬
ner Heeresmacht erstürmen, während im März die Jerichomauern des alten Regi¬
ments blos vor eurem pathetischen Schlachtruf zusammenbrachen. Diese Lösung
des Knotens war grausam — aber in der weltgeschichtlichen Theodicee muß sie
als nothwendig erkannt, sie muß sogar gebilligt werden. Der Weltgeist, von
dem in der letzten Zeit so viel die Rede war, hat sich zürnend gegen diejenigen,
die ihn anriefen, gewendet — und Fürst Windischgrätz wurde so eine „Geißel
Gottes," ohne selbst das höhere „wie" und „warum" zu wissen.

Wir mußten einmal auf diese oder jene Weise erlöst werden von der idealen
Willkür der Studentenherrschaft, von den jungen Tyrannen der Aula und ihren
politischen Burschenstreichen, damit das Werk der Organisation mit Besonnenheit
gefördert werden könne. Leider war die Methode, die man zur Widerlegung der
jugendlichen Irrthümer wählte, ungeschickt und grausam zugleich. Jetzt ist eS
aber nicht an der Zeit, unsere Kraft in dein unproductiven Gefühl des Hasses
zu verzehren. Lasset uns vielmehr zeigen, daß wir alle durch die Erfahrung, sy
bitter sie sein mag, klug geworden sind.

Eure Brüder in Wien waren begeisterte Argonauten, welche das goldene
Vließ der Freiheit zu besitzen glaubten, wenn sie die Drachen, die vor den Pfor¬
ten des Tempels lagerten, getödtet hätten. Sie faßten den Kampf für die Frei¬
heit nur von der negativen Seite, als einen Kampf gegen die Reaction, und
waren nicht fähig zu begreifen, daß nicht nur die kriegerische Begeisterung, son¬
dern auch die friedliche Bemühung, der nüchterne Muth der Arbeit zur vollen
Verwirklichung der Freiheit gehöre. Nicht durch den Feenstab des Idealismus,
sondern durch die prosaische Ausdauer, durch den männlichen Fleiß des Pflügens
und EggeuS wird der Boden der Wirklichkeit urbar gemacht für die ideale Saat
der Freiheit. Sie ist ein Saamenkorn, das wir mit ruhiger Hoffnung dem Boden
anvertrauen müssen. Denn erst der Herbst ist die volle Realitgt des Frühlings


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/43>, abgerufen am 23.07.2024.