Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.und in der Weltgeschichte sind Frühling und Herbst oft weiter auseinander, als Euer Idealismus war freilich von dem der Residenzstadt wesentlich verschie¬ und in der Weltgeschichte sind Frühling und Herbst oft weiter auseinander, als Euer Idealismus war freilich von dem der Residenzstadt wesentlich verschie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278032"/> <p xml:id="ID_129" prev="#ID_128"> und in der Weltgeschichte sind Frühling und Herbst oft weiter auseinander, als<lb/> in dem unabänderlichen Kreislauf der Natur.</p><lb/> <p xml:id="ID_130" next="#ID_131"> Euer Idealismus war freilich von dem der Residenzstadt wesentlich verschie¬<lb/> den. Nicht mit dem Feenstab der Zukunft, sondern mit der Wünschelruthe der<lb/> Vergangenheit wolltet ihr euch eure Welt aus dem Boden hervorzaubern. Eure<lb/> Religion war nicht der Cultus eines in der Luft sich webenden Ideals, sondern<lb/> vielmehr eine ideale Anschauung der heimatlichen Scholle und der Reminiscenzen,<lb/> die sich an den Boden des Vaterlandes knüpfen; eure Begeisterung vertiefte sich<lb/> zu einer eigenthümlichen historischen Beschaulichkeit, und mit der mystischen Extase<lb/> eines Nekromanten riefe ihr die Geister eurer Geschichte aus ihren Gräbern und<lb/> fragtet sie um Rath. Diese haben nun eine gründliche Verwirrung in eurem<lb/> Kopfe verursacht; sie haben euch sogar zu dem sinnlosen Heidenthum der Pfingst-<lb/> woche verleitet, so daß zu der Intoleranz eurer nationalen Begeisterung noch der<lb/> heroische Trotz der kecken That hinzukam. Fürst Windischgrätz hat nnr eure Bar¬<lb/> rikaden, nicht aber eure Vorurtheile zerstört; eure Bekehrung, die er dnrch die<lb/> brutalen Mittel äußerer Gewalt eingeleitet hat, muß durch den naturgemäßen<lb/> Gang der Bildung allmälig vollendet werden. Als die ersten Verkünder des Chri¬<lb/> stenthums in Deutschland die heiligen Eichen schonungslos fällten, da that den<lb/> Deutschen das Herz wohl wehe; aber der deutsche Geist ging darüber nicht zu<lb/> Grunde, sondern durch die christliche Fackel wurden erst seine wunderbaren Tiefen<lb/> beleuchtet und aufgeschlossen. Die Macht der Kritik wird mit der slavischen Linde<lb/> nicht schonender verfahren; aber nnr auf diese Weise kann der slavische Geist die<lb/> Fessel der specialhistorischeu Befangenheit sprengen, nud aus der dunkeln Beson¬<lb/> derheit seiner Existenz in das Licht der Weltgeschichte hinausgeführt werden. —<lb/> Euer Cultus wird stets phantastisch bleiben, so lange er sich blos in die noch<lb/> unaufgeschlossene Snbstantialität eures Volksthums vertieft, und die Grammatik<lb/> als das Buch der Bücher, als die höchste Offenbarung des Volksgeistes verehrt.<lb/> Eine jede Nation, die ans der klaren Höhe des Bewußtseins steht, hat diese Ro¬<lb/> mantik hinter sich, weil sich hier der Volksgeist ans jenem dunkeln, substantiellen<lb/> Sein emporgerafft, und zu einer concreten und reichen Welt ausgearbeitet hat,<lb/> in der er sich dann mit voller Befriedigung genießt. So ist z. B. der Engländer<lb/> stolz auf seinen Welthandel, seine Schiffe, sein Parlament u. s. w., weil er sich<lb/> selbst in allen diesen Aeußerlichkeiten findet und besitzt; ohne solchen Besitz wäre<lb/> sein Selbstgefühl ein leerer Bettelstolz. Eure Begeisterung dagegen bezieht sich<lb/> nur auf das substantielle der Race, auf die Sprache, als ihren nächsten Ausdruck,<lb/> und zum Ueberfluß auf die Nationaltracht, als ihr zufälliges Symbol. Eure Poeten,<lb/> eure gelehrten Forscher und sogar eure Politiker haben einen heiligen, unverbrüchlichen<lb/> Eid aus die Grammatik geschworen, um dann die Herrlichkeiten der Sprache in begei¬<lb/> sterten Hymnen zu feiern, oder ihre Wurzeln mit philologischer Gründlichkeit zu<lb/> erforschen, oder um dieselbe am Reichstage als Sprache des Forums geltend zu machen'.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
und in der Weltgeschichte sind Frühling und Herbst oft weiter auseinander, als
in dem unabänderlichen Kreislauf der Natur.
Euer Idealismus war freilich von dem der Residenzstadt wesentlich verschie¬
den. Nicht mit dem Feenstab der Zukunft, sondern mit der Wünschelruthe der
Vergangenheit wolltet ihr euch eure Welt aus dem Boden hervorzaubern. Eure
Religion war nicht der Cultus eines in der Luft sich webenden Ideals, sondern
vielmehr eine ideale Anschauung der heimatlichen Scholle und der Reminiscenzen,
die sich an den Boden des Vaterlandes knüpfen; eure Begeisterung vertiefte sich
zu einer eigenthümlichen historischen Beschaulichkeit, und mit der mystischen Extase
eines Nekromanten riefe ihr die Geister eurer Geschichte aus ihren Gräbern und
fragtet sie um Rath. Diese haben nun eine gründliche Verwirrung in eurem
Kopfe verursacht; sie haben euch sogar zu dem sinnlosen Heidenthum der Pfingst-
woche verleitet, so daß zu der Intoleranz eurer nationalen Begeisterung noch der
heroische Trotz der kecken That hinzukam. Fürst Windischgrätz hat nnr eure Bar¬
rikaden, nicht aber eure Vorurtheile zerstört; eure Bekehrung, die er dnrch die
brutalen Mittel äußerer Gewalt eingeleitet hat, muß durch den naturgemäßen
Gang der Bildung allmälig vollendet werden. Als die ersten Verkünder des Chri¬
stenthums in Deutschland die heiligen Eichen schonungslos fällten, da that den
Deutschen das Herz wohl wehe; aber der deutsche Geist ging darüber nicht zu
Grunde, sondern durch die christliche Fackel wurden erst seine wunderbaren Tiefen
beleuchtet und aufgeschlossen. Die Macht der Kritik wird mit der slavischen Linde
nicht schonender verfahren; aber nnr auf diese Weise kann der slavische Geist die
Fessel der specialhistorischeu Befangenheit sprengen, nud aus der dunkeln Beson¬
derheit seiner Existenz in das Licht der Weltgeschichte hinausgeführt werden. —
Euer Cultus wird stets phantastisch bleiben, so lange er sich blos in die noch
unaufgeschlossene Snbstantialität eures Volksthums vertieft, und die Grammatik
als das Buch der Bücher, als die höchste Offenbarung des Volksgeistes verehrt.
Eine jede Nation, die ans der klaren Höhe des Bewußtseins steht, hat diese Ro¬
mantik hinter sich, weil sich hier der Volksgeist ans jenem dunkeln, substantiellen
Sein emporgerafft, und zu einer concreten und reichen Welt ausgearbeitet hat,
in der er sich dann mit voller Befriedigung genießt. So ist z. B. der Engländer
stolz auf seinen Welthandel, seine Schiffe, sein Parlament u. s. w., weil er sich
selbst in allen diesen Aeußerlichkeiten findet und besitzt; ohne solchen Besitz wäre
sein Selbstgefühl ein leerer Bettelstolz. Eure Begeisterung dagegen bezieht sich
nur auf das substantielle der Race, auf die Sprache, als ihren nächsten Ausdruck,
und zum Ueberfluß auf die Nationaltracht, als ihr zufälliges Symbol. Eure Poeten,
eure gelehrten Forscher und sogar eure Politiker haben einen heiligen, unverbrüchlichen
Eid aus die Grammatik geschworen, um dann die Herrlichkeiten der Sprache in begei¬
sterten Hymnen zu feiern, oder ihre Wurzeln mit philologischer Gründlichkeit zu
erforschen, oder um dieselbe am Reichstage als Sprache des Forums geltend zu machen'.
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