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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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jede einen andern Cultus hatte; politisch-nationale Clubs, in denen sich Knaben
mit der Erörterung von Zeitfragen plagten. Diesem Cultus durfte die Weihe des
Martyriums nicht fehlen; und zwar kamen hierin die deutschen Studenten zunächst
an die Reihe. Es bildete sich eine kleine Freischaar von etwa 10 bis 12 begei¬
sterten Teutonen, welche den Kreuzzug gegen die Dänen mitzumachen und in
Schleswig-Holstein für die Einheit Deutschlands zu kämpfen beschlossen. Der
20. April war der Tag des Abmarsches; eine Fahne, von schöner Hand gestickt,
wehte dem kampflustigen Häuflein voran, und Alles schien ganz gut ablaufen zu
wollen. Aber in Sachsen oder Preußen zerstob, ich weiß nicht durch welchen
Zufall, die kleine Schaar, ohne die Dänen in Schrecken versetzt zu haben -- und
so wurde deu Heroen dieses Unternehmens das Martyrium der Lächerlichkeit zu
Theil. Den czechischen Studenten fiel dagegen ein ernsteres Loos. Sie wurden
im wahren Sinne des Wortes die Märtyrer ihrer nationalen Begeisterung, wie
die Wiener Studenten als Opfer ihres demokratischen Cultus fallen mußten. Wie
die Octoberkämpfe für Wien, so ist auch die Pfingstwoche für Prag der tragische
Abschluß einer halb lustigen, halb wilden Studentenwirthschaft: nnr war die Leiden¬
schaft, welche den Prager Studenten zum Kampfe trieb, und die er aus dem
Boden seines Vaterlandes wie eine dunkle Geistermahnung in die Brust gesogen
hatte, weit tiefer und nachhaltiger, als der luftige Idealismus der Wiener Aula --
und als von der durch Studenten bewachten Barrikade des altstädter Brücken¬
thurmes das "iivi 8too.'me-" in das Dunkel der Nacht hinaustönte, so war es
anzuhören wie ein todesmuthiger Weihegcsang aus ferner, längst verschollener Zeit.

Seit der Pfingstwoche hat der Prager Student keine Geschichte mehr. Er
hat wohl nach der Aufhebung des Belagerungszustandes eine Lcgionsnniform be¬
rathen, einen Ausschuß gewählt, und einen Sängerverein errichtet -- aber am
Ende hat ihn Hermes, der Seelenführer, wieder eingeführt in jene staubigen Hvr-
süle, deren Bänke er ehemals als Barrikadenmaterial benützt hatte. Ich habe
daher zur Vervollständigung jenes Bildes, welches ich für die Leser der Grenz¬
boten entwerfen wollte, keinen weitern Zug hinzuzufügen; aber nun lassen Sie
mich noch, Herr Redakteur, aus diesem Hefte heraus eine kleine Rede an meine
ehemaligen Mitschüler halten, die vielleicht hie und da ihre Wirkung nicht gänzlich
verfehlen wird.

Hört mich an, ihr jungen Freunde! Ihr könnt euch nicht darüber beklagen,
daß ich euch allzu streng und schonungslos beurtheilt habe. Trotz eurer tollen
Streiche ließ ich euch gut genug wegkommen - denn Härte gegen die Jugend
wäre ein psychologischer Fehler, ein polemisches Auftreten gegen eure unreifen
Ansichten eine unverzeihliche Thorheit. Gegen ausgereifte, als schädlich erkannte
Principien geht man wohl einen Kampf auf Leben und Tod ein, gegen die eiser¬
nen Irrthümer des Mannes unternimmt man, wenn es noth thut, einen polemi¬
schen Vernichtungskrieg --- aber die Jugend, in der sich noch so wenig Festes


jede einen andern Cultus hatte; politisch-nationale Clubs, in denen sich Knaben
mit der Erörterung von Zeitfragen plagten. Diesem Cultus durfte die Weihe des
Martyriums nicht fehlen; und zwar kamen hierin die deutschen Studenten zunächst
an die Reihe. Es bildete sich eine kleine Freischaar von etwa 10 bis 12 begei¬
sterten Teutonen, welche den Kreuzzug gegen die Dänen mitzumachen und in
Schleswig-Holstein für die Einheit Deutschlands zu kämpfen beschlossen. Der
20. April war der Tag des Abmarsches; eine Fahne, von schöner Hand gestickt,
wehte dem kampflustigen Häuflein voran, und Alles schien ganz gut ablaufen zu
wollen. Aber in Sachsen oder Preußen zerstob, ich weiß nicht durch welchen
Zufall, die kleine Schaar, ohne die Dänen in Schrecken versetzt zu haben — und
so wurde deu Heroen dieses Unternehmens das Martyrium der Lächerlichkeit zu
Theil. Den czechischen Studenten fiel dagegen ein ernsteres Loos. Sie wurden
im wahren Sinne des Wortes die Märtyrer ihrer nationalen Begeisterung, wie
die Wiener Studenten als Opfer ihres demokratischen Cultus fallen mußten. Wie
die Octoberkämpfe für Wien, so ist auch die Pfingstwoche für Prag der tragische
Abschluß einer halb lustigen, halb wilden Studentenwirthschaft: nnr war die Leiden¬
schaft, welche den Prager Studenten zum Kampfe trieb, und die er aus dem
Boden seines Vaterlandes wie eine dunkle Geistermahnung in die Brust gesogen
hatte, weit tiefer und nachhaltiger, als der luftige Idealismus der Wiener Aula —
und als von der durch Studenten bewachten Barrikade des altstädter Brücken¬
thurmes das „iivi 8too.'me-" in das Dunkel der Nacht hinaustönte, so war es
anzuhören wie ein todesmuthiger Weihegcsang aus ferner, längst verschollener Zeit.

Seit der Pfingstwoche hat der Prager Student keine Geschichte mehr. Er
hat wohl nach der Aufhebung des Belagerungszustandes eine Lcgionsnniform be¬
rathen, einen Ausschuß gewählt, und einen Sängerverein errichtet — aber am
Ende hat ihn Hermes, der Seelenführer, wieder eingeführt in jene staubigen Hvr-
süle, deren Bänke er ehemals als Barrikadenmaterial benützt hatte. Ich habe
daher zur Vervollständigung jenes Bildes, welches ich für die Leser der Grenz¬
boten entwerfen wollte, keinen weitern Zug hinzuzufügen; aber nun lassen Sie
mich noch, Herr Redakteur, aus diesem Hefte heraus eine kleine Rede an meine
ehemaligen Mitschüler halten, die vielleicht hie und da ihre Wirkung nicht gänzlich
verfehlen wird.

Hört mich an, ihr jungen Freunde! Ihr könnt euch nicht darüber beklagen,
daß ich euch allzu streng und schonungslos beurtheilt habe. Trotz eurer tollen
Streiche ließ ich euch gut genug wegkommen - denn Härte gegen die Jugend
wäre ein psychologischer Fehler, ein polemisches Auftreten gegen eure unreifen
Ansichten eine unverzeihliche Thorheit. Gegen ausgereifte, als schädlich erkannte
Principien geht man wohl einen Kampf auf Leben und Tod ein, gegen die eiser¬
nen Irrthümer des Mannes unternimmt man, wenn es noth thut, einen polemi¬
schen Vernichtungskrieg -— aber die Jugend, in der sich noch so wenig Festes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/42>, abgerufen am 23.07.2024.