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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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und wenn sie in krankhafter Unruhe unersättlich mit allen fremden Kunststylen
kokettirt, heute Calderon, morgen Shakespeare und wieder Sophokles und die
italienischen Masken reproduciren will, so wird auch der darstellende Künstler
in ewiger Zerstreuung keine technische Vollendung und Detailkeuutniß des künst¬
lerisch Wirksamen gewinnen. -- Er sollte jedem Styl gerecht werden, alle dra¬
matischen Töne in seiner Gewalt haben und wurde dadurch unwahr, flüchtig, im
besten Fall ein Virtuose. Daher bewundern wir gegenwärtig einzelne Genialitä¬
ten unter den Schauspielern, der gute Mittelschlag, das nothwendigste Erforder-
niß für ein künstlerisches Zusammenspiel ging uns ganz verloren. Eine neue
Blüthe der Schauspielkunst ist abhängig von einer neuen Blüthe des Volkslebens
und von einem Aufschwünge des deutschen Dramas. Wenn unsre Männer Kraft
und Humor im Leben zu zeigen wagen, wird auch der Schauspieler Haltung und
Sicherheit auf der Bühne erwerben, wenn sich die Liebe der Nation auf Theater¬
stücke eines bestimmten Styls concentrirt, wird auch die Bühnendarstellung künstle¬
rische Wahrheit und einen Styl wieder gewinnen.

Die Gesetze, nach welchen die Musik, die launenhafteste aller Künste sich fort¬
bildet, sind im allgemeinen leicht, im Detail sehr schwer zu übersehen. Dreierlei
aber läßt sich mit Sicherheit für sie prophezeien. Unsere Revolution ist der Tod
des musikalischen Virtuvsenthums. Technische Fertigkeit zu bewundern, sind wir
zu ungeduldig geworden, brillante Formen lassen uns kalt, wo der Inhalt fehlt.
Die geistreichen Kompositionen, welche sich bemühten, durch reizenden Schmuck
oder imponirende Massenwirkung die Armuth der Erfindung zu überdecken, müssen
allmälig in ihrer Leere von der Nation erkannt werden. Und die Sehnsucht nach
Melodien und harmonischem Maaß werden sich um so sichrer einstellen, je länger
sie im Staatsleben uns fehlen; auch hier läßt sich hoffen, daß die musikalische
Bildung größere Einfachheit und edlere Haltung erstreben werde. Man kann be¬
merken, daß das Volk in der Musik mit Vorliebe das sucht, was es im Leben
nicht hat, die Seele träumt sich gern in die musikalischen Stimmungen hinein,
deren Mangel im wirklichen Leben sie als einen Verlust ahnt. Die schlaffe Ver¬
gangenheit hat uns kriegerische und politische Opern voll ungeheurer Leidenschaft ge¬
bracht, heroische Chöre und hochstylisirtes Pathos erstrebt, möglich, daß der nächste
Fortschritt ein Uebergang in die melodienreiche komische Oper ist. Die Liedercom-
position ist eine häusliche Tugend der Deutschen, ihre Schönheiten sind uns nicht
zu nehmen.

Von den bildenden Künsten werden Architektur und Sculptur durch unsere
Revolution zunächst nur dadurch ergriffen, daß zu den Leistungen, welche von
ihnen gefordert werden, hier und da neue kommen. Der Architekt wird Parla¬
mentshäuser, Volkshallen 2c. ze. bauen, der Bildhauer vielleicht Statuen der
Freiheit, neue allegorische Figuren, Portraitsstatuen, und Aehnliches zu
schaffen haben; welcher Fortschritt für ihre Kunst daraus hervorgeht, muß


und wenn sie in krankhafter Unruhe unersättlich mit allen fremden Kunststylen
kokettirt, heute Calderon, morgen Shakespeare und wieder Sophokles und die
italienischen Masken reproduciren will, so wird auch der darstellende Künstler
in ewiger Zerstreuung keine technische Vollendung und Detailkeuutniß des künst¬
lerisch Wirksamen gewinnen. — Er sollte jedem Styl gerecht werden, alle dra¬
matischen Töne in seiner Gewalt haben und wurde dadurch unwahr, flüchtig, im
besten Fall ein Virtuose. Daher bewundern wir gegenwärtig einzelne Genialitä¬
ten unter den Schauspielern, der gute Mittelschlag, das nothwendigste Erforder-
niß für ein künstlerisches Zusammenspiel ging uns ganz verloren. Eine neue
Blüthe der Schauspielkunst ist abhängig von einer neuen Blüthe des Volkslebens
und von einem Aufschwünge des deutschen Dramas. Wenn unsre Männer Kraft
und Humor im Leben zu zeigen wagen, wird auch der Schauspieler Haltung und
Sicherheit auf der Bühne erwerben, wenn sich die Liebe der Nation auf Theater¬
stücke eines bestimmten Styls concentrirt, wird auch die Bühnendarstellung künstle¬
rische Wahrheit und einen Styl wieder gewinnen.

Die Gesetze, nach welchen die Musik, die launenhafteste aller Künste sich fort¬
bildet, sind im allgemeinen leicht, im Detail sehr schwer zu übersehen. Dreierlei
aber läßt sich mit Sicherheit für sie prophezeien. Unsere Revolution ist der Tod
des musikalischen Virtuvsenthums. Technische Fertigkeit zu bewundern, sind wir
zu ungeduldig geworden, brillante Formen lassen uns kalt, wo der Inhalt fehlt.
Die geistreichen Kompositionen, welche sich bemühten, durch reizenden Schmuck
oder imponirende Massenwirkung die Armuth der Erfindung zu überdecken, müssen
allmälig in ihrer Leere von der Nation erkannt werden. Und die Sehnsucht nach
Melodien und harmonischem Maaß werden sich um so sichrer einstellen, je länger
sie im Staatsleben uns fehlen; auch hier läßt sich hoffen, daß die musikalische
Bildung größere Einfachheit und edlere Haltung erstreben werde. Man kann be¬
merken, daß das Volk in der Musik mit Vorliebe das sucht, was es im Leben
nicht hat, die Seele träumt sich gern in die musikalischen Stimmungen hinein,
deren Mangel im wirklichen Leben sie als einen Verlust ahnt. Die schlaffe Ver¬
gangenheit hat uns kriegerische und politische Opern voll ungeheurer Leidenschaft ge¬
bracht, heroische Chöre und hochstylisirtes Pathos erstrebt, möglich, daß der nächste
Fortschritt ein Uebergang in die melodienreiche komische Oper ist. Die Liedercom-
position ist eine häusliche Tugend der Deutschen, ihre Schönheiten sind uns nicht
zu nehmen.

Von den bildenden Künsten werden Architektur und Sculptur durch unsere
Revolution zunächst nur dadurch ergriffen, daß zu den Leistungen, welche von
ihnen gefordert werden, hier und da neue kommen. Der Architekt wird Parla¬
mentshäuser, Volkshallen 2c. ze. bauen, der Bildhauer vielleicht Statuen der
Freiheit, neue allegorische Figuren, Portraitsstatuen, und Aehnliches zu
schaffen haben; welcher Fortschritt für ihre Kunst daraus hervorgeht, muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/428>, abgerufen am 23.07.2024.