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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die Zukunft lehren. Vorläufig leiden die Künstler durch den Mangel von Theil¬
nahme und die Furcht der Vermögenden. Durch Aufhebung des Adels würde
die Steinschneidekunst, das reizende Stiefkind der Sculptur, zu einer neuen, aber
kurzen und unfruchtbaren Blüthe kommeu; denn Wappen und adlige Ningembleme
werden um so zärtlicher gehegt werden, je mehr die Gesetze ihnen weh thun.

Daß die Seele unsres Volkes in den letzten Jahrzehnten viel auf Reisen
ging und in der Ferne Genuß und Aufregungen suchte, hat die Malerei mehr,
als alle übrigen.Künste gefördert. Wir verdanken dem Wandertrieb der träume¬
risch Genießenden eine hohe Ausbildung der Landschaftsmalerei. Das Wirksame
der freien Natur, ihre Formen, Farben, Wandlungen erscheinen scharf charakteri-
sirt und mit meisterhafter Kenntniß die Wirkungen, welche sie ans die Menschen¬
seele ausüben, idealisirt. ES ist eine Kunsthöhe von unseren Landschaftern erreicht,
welche uns an den einzelnen Gemälden entzückt, im Ganzen erschreckt. Wohin ist
ein Volk-gekommen, dessen höchste Kunstfertigkeit ist, sich leidenschaftlich in die
Natur zu vertiefen, in das seelenlose sein Empfinden hineinzutragen und durch
imponirende Erbformen und meteorologische Processe den menschlichen Ge-
staltungstrieb zur Produktivität zu reizen! -- Es ist gut, daß das Menschliche
jetzt Gelegenheit findet, sich in anderen Stoffen zur Erscheinung zu bringen, als
an Steinen und Baumschlag. --

Was die Landschaft verlieren wird, muß die Historienmalerei gewinnen. Sehr
vieles von dem, was zu ihrem Gedeihen nöthig ist, haben wir errungen: Große
Handlungen, charakteristische Gruppen, hohe Interessen; wir haben den Grund
gelegt zu einer deutschen Geschichte. Die originelle Entwicklung, welche die Fres¬
kenmalerei, der Triumph der Zcichneuknnst, in der Münchner Schule, in Corne¬
lius, selbst in Kaulbach und den Fresken des Berliner Museums bis jetzt gezeigt
hat, war eine Protestation deutschen Ernstes und ethischer Würde gegen die bla-
sirte, glänzende Flachheit so vieler Lebens- und Kunstformen. Schade nur, daß
dem hohen Stil dieser historischen Schule der Inhalt, d. h. ein entsprechendes
Gebiet von Stoffen fehlte, die Leere unseres Lebens trieb an die Grenzen des
darstellbaren Menschlichen, in Mythologismns, sogar in die Allegorie hinein. In
dem großen Linienschwung und der kühnen Farbeuverbindung der Münchner ist
ein männlicher Geist zu bewundern, aber er reflectirt nicht weniger Vergangenes,
als die graziöse Weichheit der Düsseldorfer, welche in schillerndem Farbenspiel
ihre Armuth verbergen, und doch uicht den Muth haben, tüchtig mit der Farbe zu
sündigen. -- Die Genremalerei reproducirt natürlich die Launen und Richtungen
des Tages am schnellsten; sie wird dnrch ihre Vorwürfe und deren kecke Behandlung
zuerst den Einfluß der Revolution zeigen. Wir werden Barrikadenscenen, Straßen¬
kampfe, alles Aufregende der Gegenwart gemalt sehen. Möge diese Novcllenmalerei die
Brücke werden zu größeren historischen Kompositionen, in denen die Nation freudig
ihr Leben wiederfindet; gleichviel, ob Römer, Hohenstaufen oder Amerikaner vor-


die Zukunft lehren. Vorläufig leiden die Künstler durch den Mangel von Theil¬
nahme und die Furcht der Vermögenden. Durch Aufhebung des Adels würde
die Steinschneidekunst, das reizende Stiefkind der Sculptur, zu einer neuen, aber
kurzen und unfruchtbaren Blüthe kommeu; denn Wappen und adlige Ningembleme
werden um so zärtlicher gehegt werden, je mehr die Gesetze ihnen weh thun.

Daß die Seele unsres Volkes in den letzten Jahrzehnten viel auf Reisen
ging und in der Ferne Genuß und Aufregungen suchte, hat die Malerei mehr,
als alle übrigen.Künste gefördert. Wir verdanken dem Wandertrieb der träume¬
risch Genießenden eine hohe Ausbildung der Landschaftsmalerei. Das Wirksame
der freien Natur, ihre Formen, Farben, Wandlungen erscheinen scharf charakteri-
sirt und mit meisterhafter Kenntniß die Wirkungen, welche sie ans die Menschen¬
seele ausüben, idealisirt. ES ist eine Kunsthöhe von unseren Landschaftern erreicht,
welche uns an den einzelnen Gemälden entzückt, im Ganzen erschreckt. Wohin ist
ein Volk-gekommen, dessen höchste Kunstfertigkeit ist, sich leidenschaftlich in die
Natur zu vertiefen, in das seelenlose sein Empfinden hineinzutragen und durch
imponirende Erbformen und meteorologische Processe den menschlichen Ge-
staltungstrieb zur Produktivität zu reizen! — Es ist gut, daß das Menschliche
jetzt Gelegenheit findet, sich in anderen Stoffen zur Erscheinung zu bringen, als
an Steinen und Baumschlag. —

Was die Landschaft verlieren wird, muß die Historienmalerei gewinnen. Sehr
vieles von dem, was zu ihrem Gedeihen nöthig ist, haben wir errungen: Große
Handlungen, charakteristische Gruppen, hohe Interessen; wir haben den Grund
gelegt zu einer deutschen Geschichte. Die originelle Entwicklung, welche die Fres¬
kenmalerei, der Triumph der Zcichneuknnst, in der Münchner Schule, in Corne¬
lius, selbst in Kaulbach und den Fresken des Berliner Museums bis jetzt gezeigt
hat, war eine Protestation deutschen Ernstes und ethischer Würde gegen die bla-
sirte, glänzende Flachheit so vieler Lebens- und Kunstformen. Schade nur, daß
dem hohen Stil dieser historischen Schule der Inhalt, d. h. ein entsprechendes
Gebiet von Stoffen fehlte, die Leere unseres Lebens trieb an die Grenzen des
darstellbaren Menschlichen, in Mythologismns, sogar in die Allegorie hinein. In
dem großen Linienschwung und der kühnen Farbeuverbindung der Münchner ist
ein männlicher Geist zu bewundern, aber er reflectirt nicht weniger Vergangenes,
als die graziöse Weichheit der Düsseldorfer, welche in schillerndem Farbenspiel
ihre Armuth verbergen, und doch uicht den Muth haben, tüchtig mit der Farbe zu
sündigen. — Die Genremalerei reproducirt natürlich die Launen und Richtungen
des Tages am schnellsten; sie wird dnrch ihre Vorwürfe und deren kecke Behandlung
zuerst den Einfluß der Revolution zeigen. Wir werden Barrikadenscenen, Straßen¬
kampfe, alles Aufregende der Gegenwart gemalt sehen. Möge diese Novcllenmalerei die
Brücke werden zu größeren historischen Kompositionen, in denen die Nation freudig
ihr Leben wiederfindet; gleichviel, ob Römer, Hohenstaufen oder Amerikaner vor-


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[0429] die Zukunft lehren. Vorläufig leiden die Künstler durch den Mangel von Theil¬ nahme und die Furcht der Vermögenden. Durch Aufhebung des Adels würde die Steinschneidekunst, das reizende Stiefkind der Sculptur, zu einer neuen, aber kurzen und unfruchtbaren Blüthe kommeu; denn Wappen und adlige Ningembleme werden um so zärtlicher gehegt werden, je mehr die Gesetze ihnen weh thun. Daß die Seele unsres Volkes in den letzten Jahrzehnten viel auf Reisen ging und in der Ferne Genuß und Aufregungen suchte, hat die Malerei mehr, als alle übrigen.Künste gefördert. Wir verdanken dem Wandertrieb der träume¬ risch Genießenden eine hohe Ausbildung der Landschaftsmalerei. Das Wirksame der freien Natur, ihre Formen, Farben, Wandlungen erscheinen scharf charakteri- sirt und mit meisterhafter Kenntniß die Wirkungen, welche sie ans die Menschen¬ seele ausüben, idealisirt. ES ist eine Kunsthöhe von unseren Landschaftern erreicht, welche uns an den einzelnen Gemälden entzückt, im Ganzen erschreckt. Wohin ist ein Volk-gekommen, dessen höchste Kunstfertigkeit ist, sich leidenschaftlich in die Natur zu vertiefen, in das seelenlose sein Empfinden hineinzutragen und durch imponirende Erbformen und meteorologische Processe den menschlichen Ge- staltungstrieb zur Produktivität zu reizen! — Es ist gut, daß das Menschliche jetzt Gelegenheit findet, sich in anderen Stoffen zur Erscheinung zu bringen, als an Steinen und Baumschlag. — Was die Landschaft verlieren wird, muß die Historienmalerei gewinnen. Sehr vieles von dem, was zu ihrem Gedeihen nöthig ist, haben wir errungen: Große Handlungen, charakteristische Gruppen, hohe Interessen; wir haben den Grund gelegt zu einer deutschen Geschichte. Die originelle Entwicklung, welche die Fres¬ kenmalerei, der Triumph der Zcichneuknnst, in der Münchner Schule, in Corne¬ lius, selbst in Kaulbach und den Fresken des Berliner Museums bis jetzt gezeigt hat, war eine Protestation deutschen Ernstes und ethischer Würde gegen die bla- sirte, glänzende Flachheit so vieler Lebens- und Kunstformen. Schade nur, daß dem hohen Stil dieser historischen Schule der Inhalt, d. h. ein entsprechendes Gebiet von Stoffen fehlte, die Leere unseres Lebens trieb an die Grenzen des darstellbaren Menschlichen, in Mythologismns, sogar in die Allegorie hinein. In dem großen Linienschwung und der kühnen Farbeuverbindung der Münchner ist ein männlicher Geist zu bewundern, aber er reflectirt nicht weniger Vergangenes, als die graziöse Weichheit der Düsseldorfer, welche in schillerndem Farbenspiel ihre Armuth verbergen, und doch uicht den Muth haben, tüchtig mit der Farbe zu sündigen. — Die Genremalerei reproducirt natürlich die Launen und Richtungen des Tages am schnellsten; sie wird dnrch ihre Vorwürfe und deren kecke Behandlung zuerst den Einfluß der Revolution zeigen. Wir werden Barrikadenscenen, Straßen¬ kampfe, alles Aufregende der Gegenwart gemalt sehen. Möge diese Novcllenmalerei die Brücke werden zu größeren historischen Kompositionen, in denen die Nation freudig ihr Leben wiederfindet; gleichviel, ob Römer, Hohenstaufen oder Amerikaner vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/429>, abgerufen am 23.07.2024.