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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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früheren Aufzügen und Scherzen, in Tracht und äußerer Erscheinung so gern wa¬
ren, wie wird sie sich in den politischen Kämpfen unserer Zeit erhalten und um¬
formen? was wird die Revolution an unsrer Kunst thun?

Ein Theil dieser Fragen ist schon jetzt beantwortet. Alle Künste, die bilden-
denden und darstellenden, die Poesie und Musik haben in den Herzen der Zeit¬
genossen an Terrain verloren. Bestellte Gemälde werden abbestellt, Poesien zu
drucken wagt kein Buchhändler, zahlreiche Theater gehen ein, oder fristen kläglich
ihre Existenz, die Concertsäle stehn fast überall leer; schon dadurch ist Neues zu
schaffen erschwert. Die Schaffenden selbst aber zerfallen in zwei Parteien; ent¬
weder ist ihre warme Betheiligung am politischen Leben der Gegenwart noch im¬
mer für sie die Hauptsache oder sie haben sich mit schmerzlicher Resignation, viel¬
leicht mit Bitterkeit ans der rauhen Wirklichkeit in ihre Werkstatt zurückgezogen
und versuchen sich durch Arbeit über die Gleichgiltigkeit des Publikums zu trösten.
Beide Parteien sind in großer Gefahr die Gestaltungskraft zu verliere", welche
ihnen in früherer Zeit Ruf und Theilnahme errang. Wenn unsere Dichter als
Politiker in Constituanten sitzen, oder Zeitungsartikel schreiben, die Maler im de¬
mokratischen Club sprechen und im Freikorps mit den Waffen spielen, und wenn
unsere Schauspieler vor einem unruhigen und zerstreuten Publikum burleske Scherze
und Tagesanekdötchen hervorsuchen, um Beifall zu gewinnen, so ist für alle diese
die Gefahr da, von der Gewalt des wirklichen Lebens, in welches sie hereinge¬
treten sind, so fest angezogen zu werden, daß sie die Rückkehr zu ihrer frühern
Thätigkeit nicht mehr finden. Der Dichter wird Zeitnngsredacteur, der Maler
Landsknecht und Abenteurer, der Schauspieler Grimassier einer Ncitcrbnde. Zwar
ist einer Künstlerseele das kräftige Bewegen in einer bunten Umgebung, welche
zahlreiche Eindrücke in das weiche Gemüth macht und mannigfaltige Empfindungen
erweckt, zum Gedeihn sehr nothwendig, aber die dauernde und übermächtige Ein¬
wirkung einzelner und weniger Kreise und Beschäftigungen des wirklichen Lebens,
stört und beschränkt sie. Die Eigenthümlichkeit aller Künstler ist, daß sie lebhaft
und maßlos das Leben ihrer Zeit in sich saugen, aber das beständige Bestreben
haben, das Empfangene zu verarbeiten, sich unterthänig zu machen und aus die¬
sem Kampfe als freie Sieger hervor zu gehn. Ist die Welt des Stoffes, welcher
außer ihnen liegt, zu mächtig für ihre Kraft, so macht ihre bewegliche Phantasie
und die reizbare Empfänglichkeit grade die Künstler zu deu unruhigsten und be¬
fangensten Sklaven der prosaischen Wirklichkeit. Der Dichter wird als Politiker
vielleicht ein veränderlicher und unsichrer Staatsmann, der Maler zum phantasti¬
schen Jacobiner oder Trunkenbold, der Schauspieler zum gespreitzten und blut¬
dürstigen Tyrannen. Wir haben Beispiele davon. Hier liegt der Prüfstein für
eine große Schöpferkraft, für das Genie. Der Stärkste wird die Banden, welche
die Außenwelt um ihn wirst, seien sie noch so fest, zerreißen können, er wird
stets sich und seine Kunst wieder finden und aus dem Ungeheuern und schmerzhaften


früheren Aufzügen und Scherzen, in Tracht und äußerer Erscheinung so gern wa¬
ren, wie wird sie sich in den politischen Kämpfen unserer Zeit erhalten und um¬
formen? was wird die Revolution an unsrer Kunst thun?

Ein Theil dieser Fragen ist schon jetzt beantwortet. Alle Künste, die bilden-
denden und darstellenden, die Poesie und Musik haben in den Herzen der Zeit¬
genossen an Terrain verloren. Bestellte Gemälde werden abbestellt, Poesien zu
drucken wagt kein Buchhändler, zahlreiche Theater gehen ein, oder fristen kläglich
ihre Existenz, die Concertsäle stehn fast überall leer; schon dadurch ist Neues zu
schaffen erschwert. Die Schaffenden selbst aber zerfallen in zwei Parteien; ent¬
weder ist ihre warme Betheiligung am politischen Leben der Gegenwart noch im¬
mer für sie die Hauptsache oder sie haben sich mit schmerzlicher Resignation, viel¬
leicht mit Bitterkeit ans der rauhen Wirklichkeit in ihre Werkstatt zurückgezogen
und versuchen sich durch Arbeit über die Gleichgiltigkeit des Publikums zu trösten.
Beide Parteien sind in großer Gefahr die Gestaltungskraft zu verliere», welche
ihnen in früherer Zeit Ruf und Theilnahme errang. Wenn unsere Dichter als
Politiker in Constituanten sitzen, oder Zeitungsartikel schreiben, die Maler im de¬
mokratischen Club sprechen und im Freikorps mit den Waffen spielen, und wenn
unsere Schauspieler vor einem unruhigen und zerstreuten Publikum burleske Scherze
und Tagesanekdötchen hervorsuchen, um Beifall zu gewinnen, so ist für alle diese
die Gefahr da, von der Gewalt des wirklichen Lebens, in welches sie hereinge¬
treten sind, so fest angezogen zu werden, daß sie die Rückkehr zu ihrer frühern
Thätigkeit nicht mehr finden. Der Dichter wird Zeitnngsredacteur, der Maler
Landsknecht und Abenteurer, der Schauspieler Grimassier einer Ncitcrbnde. Zwar
ist einer Künstlerseele das kräftige Bewegen in einer bunten Umgebung, welche
zahlreiche Eindrücke in das weiche Gemüth macht und mannigfaltige Empfindungen
erweckt, zum Gedeihn sehr nothwendig, aber die dauernde und übermächtige Ein¬
wirkung einzelner und weniger Kreise und Beschäftigungen des wirklichen Lebens,
stört und beschränkt sie. Die Eigenthümlichkeit aller Künstler ist, daß sie lebhaft
und maßlos das Leben ihrer Zeit in sich saugen, aber das beständige Bestreben
haben, das Empfangene zu verarbeiten, sich unterthänig zu machen und aus die¬
sem Kampfe als freie Sieger hervor zu gehn. Ist die Welt des Stoffes, welcher
außer ihnen liegt, zu mächtig für ihre Kraft, so macht ihre bewegliche Phantasie
und die reizbare Empfänglichkeit grade die Künstler zu deu unruhigsten und be¬
fangensten Sklaven der prosaischen Wirklichkeit. Der Dichter wird als Politiker
vielleicht ein veränderlicher und unsichrer Staatsmann, der Maler zum phantasti¬
schen Jacobiner oder Trunkenbold, der Schauspieler zum gespreitzten und blut¬
dürstigen Tyrannen. Wir haben Beispiele davon. Hier liegt der Prüfstein für
eine große Schöpferkraft, für das Genie. Der Stärkste wird die Banden, welche
die Außenwelt um ihn wirst, seien sie noch so fest, zerreißen können, er wird
stets sich und seine Kunst wieder finden und aus dem Ungeheuern und schmerzhaften


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[0421] früheren Aufzügen und Scherzen, in Tracht und äußerer Erscheinung so gern wa¬ ren, wie wird sie sich in den politischen Kämpfen unserer Zeit erhalten und um¬ formen? was wird die Revolution an unsrer Kunst thun? Ein Theil dieser Fragen ist schon jetzt beantwortet. Alle Künste, die bilden- denden und darstellenden, die Poesie und Musik haben in den Herzen der Zeit¬ genossen an Terrain verloren. Bestellte Gemälde werden abbestellt, Poesien zu drucken wagt kein Buchhändler, zahlreiche Theater gehen ein, oder fristen kläglich ihre Existenz, die Concertsäle stehn fast überall leer; schon dadurch ist Neues zu schaffen erschwert. Die Schaffenden selbst aber zerfallen in zwei Parteien; ent¬ weder ist ihre warme Betheiligung am politischen Leben der Gegenwart noch im¬ mer für sie die Hauptsache oder sie haben sich mit schmerzlicher Resignation, viel¬ leicht mit Bitterkeit ans der rauhen Wirklichkeit in ihre Werkstatt zurückgezogen und versuchen sich durch Arbeit über die Gleichgiltigkeit des Publikums zu trösten. Beide Parteien sind in großer Gefahr die Gestaltungskraft zu verliere», welche ihnen in früherer Zeit Ruf und Theilnahme errang. Wenn unsere Dichter als Politiker in Constituanten sitzen, oder Zeitungsartikel schreiben, die Maler im de¬ mokratischen Club sprechen und im Freikorps mit den Waffen spielen, und wenn unsere Schauspieler vor einem unruhigen und zerstreuten Publikum burleske Scherze und Tagesanekdötchen hervorsuchen, um Beifall zu gewinnen, so ist für alle diese die Gefahr da, von der Gewalt des wirklichen Lebens, in welches sie hereinge¬ treten sind, so fest angezogen zu werden, daß sie die Rückkehr zu ihrer frühern Thätigkeit nicht mehr finden. Der Dichter wird Zeitnngsredacteur, der Maler Landsknecht und Abenteurer, der Schauspieler Grimassier einer Ncitcrbnde. Zwar ist einer Künstlerseele das kräftige Bewegen in einer bunten Umgebung, welche zahlreiche Eindrücke in das weiche Gemüth macht und mannigfaltige Empfindungen erweckt, zum Gedeihn sehr nothwendig, aber die dauernde und übermächtige Ein¬ wirkung einzelner und weniger Kreise und Beschäftigungen des wirklichen Lebens, stört und beschränkt sie. Die Eigenthümlichkeit aller Künstler ist, daß sie lebhaft und maßlos das Leben ihrer Zeit in sich saugen, aber das beständige Bestreben haben, das Empfangene zu verarbeiten, sich unterthänig zu machen und aus die¬ sem Kampfe als freie Sieger hervor zu gehn. Ist die Welt des Stoffes, welcher außer ihnen liegt, zu mächtig für ihre Kraft, so macht ihre bewegliche Phantasie und die reizbare Empfänglichkeit grade die Künstler zu deu unruhigsten und be¬ fangensten Sklaven der prosaischen Wirklichkeit. Der Dichter wird als Politiker vielleicht ein veränderlicher und unsichrer Staatsmann, der Maler zum phantasti¬ schen Jacobiner oder Trunkenbold, der Schauspieler zum gespreitzten und blut¬ dürstigen Tyrannen. Wir haben Beispiele davon. Hier liegt der Prüfstein für eine große Schöpferkraft, für das Genie. Der Stärkste wird die Banden, welche die Außenwelt um ihn wirst, seien sie noch so fest, zerreißen können, er wird stets sich und seine Kunst wieder finden und aus dem Ungeheuern und schmerzhaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/421>, abgerufen am 23.07.2024.