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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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des Kampfes, in dem er eine mächtige Wirklichkeit besiegt, wird grade der
höchste Gewinn für seine Kunst hervorgehn; aber den Schwächern, das gute Ta¬
lent, den tüchtigen Mittelschlag wird derselbe Kampf tödten. -- Die andere Par¬
tei unsrer Künstler aber, welche sich unzufrieden von der Gegenwart abwendet,
wird zwar diese Kampfe vermeiden, und ihre Schöpfungskraft wird nicht getödtet
werden, aber sie wird verkümmern. Dem Unzufriedenen und Gekränkten schlägt
die Wärme des Enthusiasmus, mit welchem der Künstler seine Stoffe erfassen
muß, nie zur belebenden Flamme auf; reine und schöne Eindrücke kann ihm die
verworrene Gegenwart nicht bieten, und da er sich ihr entfremdet hat, fehlt ihm
auch die Empfänglichkeit für die neuen Stoffe, welche sie etwa bietet; er muß von
altem Vorrat!) zehren, wird schon Geschaffenes nicht glücklich variiren, und in
Opposition gegen eine neue Zeit verknöchern und als veraltet zur Seite gestoßen
werden. Unseren älteren Künstlern, welche Richtung und Ruhm einer frühern Zeit
verdanken, droht dieses Verhängniß.

So wirkt unsere politische Katastrophe zunächst störend auf die Seelen der
Künstler. Nicht anders auf die Kunst selbst. Hatte doch unsre ganze Kunst auch
bis jetzt nur ein halbes Leben; es war ein mühsames Schaffen, ein spitzfindiges
Grübeln und eine geistreiche Armseligkeit, an der wir litten. Der rasche Fluß,
die kräftige Bewegung, welche unserm Völkerleben fehlte, fehlte anch den Künsten.
Unsere Maler zeichneten die Menschenbilder stehend oder sitzend, wo die Leiden¬
schaft den Arm heben, eine Gruppe zusammenwerfen sollte, fühlte man aus dem
Bilde die Gliedermänner und den studirten Schwung der Hauptlinien nur zu oft
peinlich heraus. Unsre Dichter empfanden nur Situationen oder sie declamirten
in Phrasen, Charaktere hatte ihnen das Leben nur selten vor Augen geführt,
große Thaten und Leidenschaften waren nicht häufig in unserer gesetzten Nation;
was Wunder, daß sie monotone und unbewegliche Figuren schufen, welche dem
Publikum beredt und selbstgefällig auseinandersetzten, wie bedeutend sie wären, und
sich unbedeutend benahmen, wenn der Verlauf der Dichtung nöthig machte, daß
sie etwas thaten, was für sie und andere Folgen hatte. So war es im Roman
und irr Drama. Und weil das thatenlose Leben der Nation ein encyclopädisches
Wissen, ein launenhaftes Cokettiren mit fremden Formen und jeder Art von aus¬
ländischer Bildung über uus gebracht hatte, so waren auch die Stoffe, welche
der Künstler verarbeitete, buntscheckig, seltsam und nach zufälliger Richtung des
Einzelnen oder seiner Schule aus fremden Welten oder irgend einer Vergangen¬
heit herausgesucht. Das beförderte Unwahrheit und trieb in die Manier. Wenn
sich die Düsseldorfer Schule in mittelalterliche Balladenstvffe, die Münchner From¬
men in alte Kirchenheilige, neue Dichter in die Bilder und Töne des Orients
mit Vorliebe versenkten, so konnten sie eine gewisse Originalität und virtuose
Fertigkeit wohl erwerben, aber die Säönheit, welche eine Frucht unseres idealen
Lebens gewesen wäre, erreichten sie nicht. Und weil die Stagnation des deutschen


des Kampfes, in dem er eine mächtige Wirklichkeit besiegt, wird grade der
höchste Gewinn für seine Kunst hervorgehn; aber den Schwächern, das gute Ta¬
lent, den tüchtigen Mittelschlag wird derselbe Kampf tödten. — Die andere Par¬
tei unsrer Künstler aber, welche sich unzufrieden von der Gegenwart abwendet,
wird zwar diese Kampfe vermeiden, und ihre Schöpfungskraft wird nicht getödtet
werden, aber sie wird verkümmern. Dem Unzufriedenen und Gekränkten schlägt
die Wärme des Enthusiasmus, mit welchem der Künstler seine Stoffe erfassen
muß, nie zur belebenden Flamme auf; reine und schöne Eindrücke kann ihm die
verworrene Gegenwart nicht bieten, und da er sich ihr entfremdet hat, fehlt ihm
auch die Empfänglichkeit für die neuen Stoffe, welche sie etwa bietet; er muß von
altem Vorrat!) zehren, wird schon Geschaffenes nicht glücklich variiren, und in
Opposition gegen eine neue Zeit verknöchern und als veraltet zur Seite gestoßen
werden. Unseren älteren Künstlern, welche Richtung und Ruhm einer frühern Zeit
verdanken, droht dieses Verhängniß.

So wirkt unsere politische Katastrophe zunächst störend auf die Seelen der
Künstler. Nicht anders auf die Kunst selbst. Hatte doch unsre ganze Kunst auch
bis jetzt nur ein halbes Leben; es war ein mühsames Schaffen, ein spitzfindiges
Grübeln und eine geistreiche Armseligkeit, an der wir litten. Der rasche Fluß,
die kräftige Bewegung, welche unserm Völkerleben fehlte, fehlte anch den Künsten.
Unsere Maler zeichneten die Menschenbilder stehend oder sitzend, wo die Leiden¬
schaft den Arm heben, eine Gruppe zusammenwerfen sollte, fühlte man aus dem
Bilde die Gliedermänner und den studirten Schwung der Hauptlinien nur zu oft
peinlich heraus. Unsre Dichter empfanden nur Situationen oder sie declamirten
in Phrasen, Charaktere hatte ihnen das Leben nur selten vor Augen geführt,
große Thaten und Leidenschaften waren nicht häufig in unserer gesetzten Nation;
was Wunder, daß sie monotone und unbewegliche Figuren schufen, welche dem
Publikum beredt und selbstgefällig auseinandersetzten, wie bedeutend sie wären, und
sich unbedeutend benahmen, wenn der Verlauf der Dichtung nöthig machte, daß
sie etwas thaten, was für sie und andere Folgen hatte. So war es im Roman
und irr Drama. Und weil das thatenlose Leben der Nation ein encyclopädisches
Wissen, ein launenhaftes Cokettiren mit fremden Formen und jeder Art von aus¬
ländischer Bildung über uus gebracht hatte, so waren auch die Stoffe, welche
der Künstler verarbeitete, buntscheckig, seltsam und nach zufälliger Richtung des
Einzelnen oder seiner Schule aus fremden Welten oder irgend einer Vergangen¬
heit herausgesucht. Das beförderte Unwahrheit und trieb in die Manier. Wenn
sich die Düsseldorfer Schule in mittelalterliche Balladenstvffe, die Münchner From¬
men in alte Kirchenheilige, neue Dichter in die Bilder und Töne des Orients
mit Vorliebe versenkten, so konnten sie eine gewisse Originalität und virtuose
Fertigkeit wohl erwerben, aber die Säönheit, welche eine Frucht unseres idealen
Lebens gewesen wäre, erreichten sie nicht. Und weil die Stagnation des deutschen


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[0422] des Kampfes, in dem er eine mächtige Wirklichkeit besiegt, wird grade der höchste Gewinn für seine Kunst hervorgehn; aber den Schwächern, das gute Ta¬ lent, den tüchtigen Mittelschlag wird derselbe Kampf tödten. — Die andere Par¬ tei unsrer Künstler aber, welche sich unzufrieden von der Gegenwart abwendet, wird zwar diese Kampfe vermeiden, und ihre Schöpfungskraft wird nicht getödtet werden, aber sie wird verkümmern. Dem Unzufriedenen und Gekränkten schlägt die Wärme des Enthusiasmus, mit welchem der Künstler seine Stoffe erfassen muß, nie zur belebenden Flamme auf; reine und schöne Eindrücke kann ihm die verworrene Gegenwart nicht bieten, und da er sich ihr entfremdet hat, fehlt ihm auch die Empfänglichkeit für die neuen Stoffe, welche sie etwa bietet; er muß von altem Vorrat!) zehren, wird schon Geschaffenes nicht glücklich variiren, und in Opposition gegen eine neue Zeit verknöchern und als veraltet zur Seite gestoßen werden. Unseren älteren Künstlern, welche Richtung und Ruhm einer frühern Zeit verdanken, droht dieses Verhängniß. So wirkt unsere politische Katastrophe zunächst störend auf die Seelen der Künstler. Nicht anders auf die Kunst selbst. Hatte doch unsre ganze Kunst auch bis jetzt nur ein halbes Leben; es war ein mühsames Schaffen, ein spitzfindiges Grübeln und eine geistreiche Armseligkeit, an der wir litten. Der rasche Fluß, die kräftige Bewegung, welche unserm Völkerleben fehlte, fehlte anch den Künsten. Unsere Maler zeichneten die Menschenbilder stehend oder sitzend, wo die Leiden¬ schaft den Arm heben, eine Gruppe zusammenwerfen sollte, fühlte man aus dem Bilde die Gliedermänner und den studirten Schwung der Hauptlinien nur zu oft peinlich heraus. Unsre Dichter empfanden nur Situationen oder sie declamirten in Phrasen, Charaktere hatte ihnen das Leben nur selten vor Augen geführt, große Thaten und Leidenschaften waren nicht häufig in unserer gesetzten Nation; was Wunder, daß sie monotone und unbewegliche Figuren schufen, welche dem Publikum beredt und selbstgefällig auseinandersetzten, wie bedeutend sie wären, und sich unbedeutend benahmen, wenn der Verlauf der Dichtung nöthig machte, daß sie etwas thaten, was für sie und andere Folgen hatte. So war es im Roman und irr Drama. Und weil das thatenlose Leben der Nation ein encyclopädisches Wissen, ein launenhaftes Cokettiren mit fremden Formen und jeder Art von aus¬ ländischer Bildung über uus gebracht hatte, so waren auch die Stoffe, welche der Künstler verarbeitete, buntscheckig, seltsam und nach zufälliger Richtung des Einzelnen oder seiner Schule aus fremden Welten oder irgend einer Vergangen¬ heit herausgesucht. Das beförderte Unwahrheit und trieb in die Manier. Wenn sich die Düsseldorfer Schule in mittelalterliche Balladenstvffe, die Münchner From¬ men in alte Kirchenheilige, neue Dichter in die Bilder und Töne des Orients mit Vorliebe versenkten, so konnten sie eine gewisse Originalität und virtuose Fertigkeit wohl erwerben, aber die Säönheit, welche eine Frucht unseres idealen Lebens gewesen wäre, erreichten sie nicht. Und weil die Stagnation des deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/422>, abgerufen am 23.07.2024.