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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gebracht haben, obgleich wir doch längst unter Einem Hut stehen, und der Ban,
Wojwode, Palatin, sächsische Graf, Vicekönig längst ihre Hoheit vergessen haben.

Dagegen will der Czeche vom Anschlusse an Deutschland nichts wissen und
zwar nicht aus Antipathie, sondern sogar aus einer Regung von Theilnahme, um
den deutschen Bau nicht zu stören; er ist mit der Größe Oestreichs zufrieden und
findet, daß die Krone auf dem Verbände der östreichischen Nationen gut steht.
Was wollen Sie mehr? Scherz bei Seite -- man kann dem czechischen Haupte,
dessen Jnterpellation ich mit angehört habe, nicht Unrecht geben; er hat wirklich
recht; wer zufrieden ist, kann unmöglich für einen Unzufriedenen angesehen wer¬
den! Und diese Stimmen, wie ich sie Ihnen hier neben einander gestellt habe,
existiren heut zu Tag in Oestreich als Volksstimmen -- die Stimmen einzelner
Klassen habe ich nicht erwähnt. Wir fühlen Alle, daß die Dynastie jetzt auch
eine Stimme habe und sind nicht mehr so im Unklaren, wohin sie sich neigen werde;
der Ausschlag wird ihr folgen, wenigstens zunächst!

Daß noch neue Stimmen neben jenen aufgezählten sich erheben werden, habe
ich aber vor Allein nachzuweisen gesucht. Ich kann daher unmöglich glauben, daß
wir am Ende großer Ereignisse stehen. Die einzige tröstliche Ansicht gewinnt
man aber dabei, daß wir durch die Ereignisse mehr als durch die Volksstimmen
an Deutschland genähert werden und wir sollen uns also noch keine neue Karte
von Deutschland anfertigen -- ein Trost, der wenigstens jedem Gebildeten un¬
endlich wohlthut, wenn sich sein Blick von der Konfusion abkehrt, in denen alle
Begriffe hier schweben und von den Greuelthaten, welche im Namen dieses und
Ä. M. jenes Begriffes unser Herz ermüden!




Der Belagerungszustand von Wien.

Der Frühling kommt, er freut uns nicht. Man hat in Deutschland keinen
Begriff von der Stimmung, welche in Wien herrscht. Es ist ein Gemisch von
Schmerz, knabenhaften Trotz und hündischen Schweifwedeln, das den ehrlichen
Patrioten täglich zur Verzweiflung bringt. Der Belagerungszustand demoralisirt
Wien weit ärger, als es die Demagogie im vorigen Herbste that, und der geistige
und politische Bankerott der Hauptstadt wirkt lähmend und erschlaffend auf alle
deutschen Landestheile.

Als die Truppen in der aufsätzigen Stadt eingerückt waren, wurde eine ex¬
ceptionelle Negierung der Stadt, die wir sehr unpassend Belagerungszustand nen¬
nen, allerdings nothwendig. Es war von dem Parteiübermuth, welcher damals
Stadt und die Seelen der Wiener beherrschte, schwer gegen den bestehenden


Grenzbotin. I. isiv. 5?

gebracht haben, obgleich wir doch längst unter Einem Hut stehen, und der Ban,
Wojwode, Palatin, sächsische Graf, Vicekönig längst ihre Hoheit vergessen haben.

Dagegen will der Czeche vom Anschlusse an Deutschland nichts wissen und
zwar nicht aus Antipathie, sondern sogar aus einer Regung von Theilnahme, um
den deutschen Bau nicht zu stören; er ist mit der Größe Oestreichs zufrieden und
findet, daß die Krone auf dem Verbände der östreichischen Nationen gut steht.
Was wollen Sie mehr? Scherz bei Seite — man kann dem czechischen Haupte,
dessen Jnterpellation ich mit angehört habe, nicht Unrecht geben; er hat wirklich
recht; wer zufrieden ist, kann unmöglich für einen Unzufriedenen angesehen wer¬
den! Und diese Stimmen, wie ich sie Ihnen hier neben einander gestellt habe,
existiren heut zu Tag in Oestreich als Volksstimmen — die Stimmen einzelner
Klassen habe ich nicht erwähnt. Wir fühlen Alle, daß die Dynastie jetzt auch
eine Stimme habe und sind nicht mehr so im Unklaren, wohin sie sich neigen werde;
der Ausschlag wird ihr folgen, wenigstens zunächst!

Daß noch neue Stimmen neben jenen aufgezählten sich erheben werden, habe
ich aber vor Allein nachzuweisen gesucht. Ich kann daher unmöglich glauben, daß
wir am Ende großer Ereignisse stehen. Die einzige tröstliche Ansicht gewinnt
man aber dabei, daß wir durch die Ereignisse mehr als durch die Volksstimmen
an Deutschland genähert werden und wir sollen uns also noch keine neue Karte
von Deutschland anfertigen — ein Trost, der wenigstens jedem Gebildeten un¬
endlich wohlthut, wenn sich sein Blick von der Konfusion abkehrt, in denen alle
Begriffe hier schweben und von den Greuelthaten, welche im Namen dieses und
Ä. M. jenes Begriffes unser Herz ermüden!




Der Belagerungszustand von Wien.

Der Frühling kommt, er freut uns nicht. Man hat in Deutschland keinen
Begriff von der Stimmung, welche in Wien herrscht. Es ist ein Gemisch von
Schmerz, knabenhaften Trotz und hündischen Schweifwedeln, das den ehrlichen
Patrioten täglich zur Verzweiflung bringt. Der Belagerungszustand demoralisirt
Wien weit ärger, als es die Demagogie im vorigen Herbste that, und der geistige
und politische Bankerott der Hauptstadt wirkt lähmend und erschlaffend auf alle
deutschen Landestheile.

Als die Truppen in der aufsätzigen Stadt eingerückt waren, wurde eine ex¬
ceptionelle Negierung der Stadt, die wir sehr unpassend Belagerungszustand nen¬
nen, allerdings nothwendig. Es war von dem Parteiübermuth, welcher damals
Stadt und die Seelen der Wiener beherrschte, schwer gegen den bestehenden


Grenzbotin. I. isiv. 5?
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[0417] gebracht haben, obgleich wir doch längst unter Einem Hut stehen, und der Ban, Wojwode, Palatin, sächsische Graf, Vicekönig längst ihre Hoheit vergessen haben. Dagegen will der Czeche vom Anschlusse an Deutschland nichts wissen und zwar nicht aus Antipathie, sondern sogar aus einer Regung von Theilnahme, um den deutschen Bau nicht zu stören; er ist mit der Größe Oestreichs zufrieden und findet, daß die Krone auf dem Verbände der östreichischen Nationen gut steht. Was wollen Sie mehr? Scherz bei Seite — man kann dem czechischen Haupte, dessen Jnterpellation ich mit angehört habe, nicht Unrecht geben; er hat wirklich recht; wer zufrieden ist, kann unmöglich für einen Unzufriedenen angesehen wer¬ den! Und diese Stimmen, wie ich sie Ihnen hier neben einander gestellt habe, existiren heut zu Tag in Oestreich als Volksstimmen — die Stimmen einzelner Klassen habe ich nicht erwähnt. Wir fühlen Alle, daß die Dynastie jetzt auch eine Stimme habe und sind nicht mehr so im Unklaren, wohin sie sich neigen werde; der Ausschlag wird ihr folgen, wenigstens zunächst! Daß noch neue Stimmen neben jenen aufgezählten sich erheben werden, habe ich aber vor Allein nachzuweisen gesucht. Ich kann daher unmöglich glauben, daß wir am Ende großer Ereignisse stehen. Die einzige tröstliche Ansicht gewinnt man aber dabei, daß wir durch die Ereignisse mehr als durch die Volksstimmen an Deutschland genähert werden und wir sollen uns also noch keine neue Karte von Deutschland anfertigen — ein Trost, der wenigstens jedem Gebildeten un¬ endlich wohlthut, wenn sich sein Blick von der Konfusion abkehrt, in denen alle Begriffe hier schweben und von den Greuelthaten, welche im Namen dieses und Ä. M. jenes Begriffes unser Herz ermüden! Der Belagerungszustand von Wien. Der Frühling kommt, er freut uns nicht. Man hat in Deutschland keinen Begriff von der Stimmung, welche in Wien herrscht. Es ist ein Gemisch von Schmerz, knabenhaften Trotz und hündischen Schweifwedeln, das den ehrlichen Patrioten täglich zur Verzweiflung bringt. Der Belagerungszustand demoralisirt Wien weit ärger, als es die Demagogie im vorigen Herbste that, und der geistige und politische Bankerott der Hauptstadt wirkt lähmend und erschlaffend auf alle deutschen Landestheile. Als die Truppen in der aufsätzigen Stadt eingerückt waren, wurde eine ex¬ ceptionelle Negierung der Stadt, die wir sehr unpassend Belagerungszustand nen¬ nen, allerdings nothwendig. Es war von dem Parteiübermuth, welcher damals Stadt und die Seelen der Wiener beherrschte, schwer gegen den bestehenden Grenzbotin. I. isiv. 5?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/417>, abgerufen am 23.07.2024.