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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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das Herz bricht mir -- aber diese köstliche Hypothese ist unhaltbar." -- Eben
diese Naivetät begleitete ihn in die selige Constituante, wo sie sich besonders in
der Art kund gab, wie er seine Freude oder sein Mißfallen auszudrücken pflegte.
Wenn ihm die Aeußerung eines Parteigenossen so recht nach dem Herzen war,
konnte er sich gar uicht wieder beruhigen, daß ganze Männlein war dann aus
einmal wie aus lauter Quecksilber. Als Schmidt in plumper Weise, ohne das
geringste Zeugniß, der Linke" ein Bündniß mit dem Pöbel vorwarf, sprang
Walter, wie ein kartesianisches Teufelchen, mit einem Satze in die Mitte des
Saales, klatschte in die Händchen, strampelte mit den Füßchen, rief Bravo!
Bravo! so laut er vor Kichern konnte, bis das schallende Gelächter aller Par¬
teien ihn auf seine komische Situation aufmerksam machte. Nicht weniger kindlich
waren die Ausbrüche seines Aergers; an der heftigen Bewegung des ganzen Kör¬
pers sah man dann die schwere Arbeit der Füße. Ja, wie Schramm sich sür einen
Republikaner erklärte, da drehte Walter sich mit großer Fingerfertigkeit aus sämmt¬
lichen Amendements und Tagesordnungen, die er bei sich hatte, ein Trompetchen
zusammen und blies darauf in die Linke herein, so lange die schwache Lunge nur
vorhielt. -- Am 9. November gehörte er zwar uicht zu denjenigen, die nach Ver¬
lesung der königliche" Botschaft den Hut "ahmen und den Saal verließen mit
einem devoter "dank' Ihnen, Herr Minister!" -- er war glücklicher Weise gerade
verreist, wohl aber zeigte er dem "Negiernngsrathe von Unruh" sogleich schriftlich an,
er fühle sich, uach reiflicher Erwägung aller Gründe, nicht bewogen, den Sitzungen
"der Fractionen" noch ferner beizuwohnen. Dann kam er eilig uach Berlin
zurück und gehörte hier mit zu denen, durch die der Bränucck'sche Club sür
Brandenburg zu werden suchte. Man hatte ihn zu diese", Geschäfte wahrscheinlich
ebeu wegen seines kindlichen Wesens ausersehen; doch scheint es, daß dessen Wir¬
kungen nicht immer die vortheilbasiesten waren. So wollte er den Notar Euler
ans Düsseldorf (Referenten im Bürgerwehrgesetz und Mitstifter des linken Centrums)
für seine Ansichten stimme", indem er an die Pietät des ehemaligen Schülers
appellirte. "Bester Euler! folgen Sie doch Ihrem alten Lehrer! er weiß wahr¬
haftig besser was Ihnen gut ist." Der Angeredete lachte. "Hören Sie Euler!" --
schloß der glänzende Uebcrrednngsversuch -- "wetten wir eine Flasche Champagner!
was gilt's, Sie sind zum 27. in Brandenburg?" -- Der würdige Professor hatte
im Eifer der ungewohnten Beschäftigung wahrscheinlich vergessen, daß dies neue
Motiv -- die Aussicht ans den Verlust eines Park'S --- eben acht das geeignetste
Mittel war, seinem Zögling lvyalcrcre Grundsätze einzuflößen. --

Doch so komisch die Aeußerungen bichir Naivetät mitunter waren, sie hatte
ihre Quelle in einem warme", für die Leide" seiner Mitmensche" empfänglichen
Herzens. So ward "sein Auge alß bei der Schilderung des Elends in Schlesien
und Ostpreußen" -- denke" Sie Sich, eine Thräne, geweint von einem deutschen


das Herz bricht mir — aber diese köstliche Hypothese ist unhaltbar." — Eben
diese Naivetät begleitete ihn in die selige Constituante, wo sie sich besonders in
der Art kund gab, wie er seine Freude oder sein Mißfallen auszudrücken pflegte.
Wenn ihm die Aeußerung eines Parteigenossen so recht nach dem Herzen war,
konnte er sich gar uicht wieder beruhigen, daß ganze Männlein war dann aus
einmal wie aus lauter Quecksilber. Als Schmidt in plumper Weise, ohne das
geringste Zeugniß, der Linke» ein Bündniß mit dem Pöbel vorwarf, sprang
Walter, wie ein kartesianisches Teufelchen, mit einem Satze in die Mitte des
Saales, klatschte in die Händchen, strampelte mit den Füßchen, rief Bravo!
Bravo! so laut er vor Kichern konnte, bis das schallende Gelächter aller Par¬
teien ihn auf seine komische Situation aufmerksam machte. Nicht weniger kindlich
waren die Ausbrüche seines Aergers; an der heftigen Bewegung des ganzen Kör¬
pers sah man dann die schwere Arbeit der Füße. Ja, wie Schramm sich sür einen
Republikaner erklärte, da drehte Walter sich mit großer Fingerfertigkeit aus sämmt¬
lichen Amendements und Tagesordnungen, die er bei sich hatte, ein Trompetchen
zusammen und blies darauf in die Linke herein, so lange die schwache Lunge nur
vorhielt. — Am 9. November gehörte er zwar uicht zu denjenigen, die nach Ver¬
lesung der königliche» Botschaft den Hut »ahmen und den Saal verließen mit
einem devoter „dank' Ihnen, Herr Minister!" — er war glücklicher Weise gerade
verreist, wohl aber zeigte er dem „Negiernngsrathe von Unruh" sogleich schriftlich an,
er fühle sich, uach reiflicher Erwägung aller Gründe, nicht bewogen, den Sitzungen
„der Fractionen" noch ferner beizuwohnen. Dann kam er eilig uach Berlin
zurück und gehörte hier mit zu denen, durch die der Bränucck'sche Club sür
Brandenburg zu werden suchte. Man hatte ihn zu diese», Geschäfte wahrscheinlich
ebeu wegen seines kindlichen Wesens ausersehen; doch scheint es, daß dessen Wir¬
kungen nicht immer die vortheilbasiesten waren. So wollte er den Notar Euler
ans Düsseldorf (Referenten im Bürgerwehrgesetz und Mitstifter des linken Centrums)
für seine Ansichten stimme», indem er an die Pietät des ehemaligen Schülers
appellirte. „Bester Euler! folgen Sie doch Ihrem alten Lehrer! er weiß wahr¬
haftig besser was Ihnen gut ist." Der Angeredete lachte. „Hören Sie Euler!" —
schloß der glänzende Uebcrrednngsversuch — „wetten wir eine Flasche Champagner!
was gilt's, Sie sind zum 27. in Brandenburg?" — Der würdige Professor hatte
im Eifer der ungewohnten Beschäftigung wahrscheinlich vergessen, daß dies neue
Motiv — die Aussicht ans den Verlust eines Park'S —- eben acht das geeignetste
Mittel war, seinem Zögling lvyalcrcre Grundsätze einzuflößen. —

Doch so komisch die Aeußerungen bichir Naivetät mitunter waren, sie hatte
ihre Quelle in einem warme», für die Leide» seiner Mitmensche» empfänglichen
Herzens. So ward „sein Auge alß bei der Schilderung des Elends in Schlesien
und Ostpreußen" — denke» Sie Sich, eine Thräne, geweint von einem deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/358>, abgerufen am 03.07.2024.