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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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keine Proklamation anfertigen!" "Aber, Herr Thiers," sagte der Marschall Bu-
geaud, "Sie kommen eben vom Könige, Sie haben das Ministerium angenommen."
"Nein! Nein! Nein!" wiederholte Thiers abermals, "ich kann noch keine Prokla¬
mation machen!" Da Paris barrikadirt war, gab man ihm einen Adjutanten
mit und Thiers entfernte sich, um seine College" zu holen.

Der Marschall Bugeand war bei Nacht und Nebel geholt worden, und kannte
die Lage nicht, in der sich Paris in diesem Augenblicke befand. Hätte ihn eine gute
Polizei unterrichtet, daß Paris bereits überall barrikadirt war, so würde er sich
auf die Defensive beschränkt, alle Truppen um das Schloß nud die umliegenden
Plätze vereinigt, Barrikaden gemacht und die Emeute mit Feuerschlund und Ba-
jonnctt erwartet haben. Statt dessen bildete er zwei große Angriffs-Colonnen,
wovon die eine für den Boulevard, die andere für das Rathhaus bestimmt war.
Die erstere übergab er dem General Bedeau, die letztere dem, vom Oberkom¬
mando eben herabgestiegenen General Sebastiani, der um den gefährlichsten
Posten gebeten hatte. Sebastiani sollte mit der Besatzung zusammenstoßen, die
schon vom 23. ab, unter General Tallandier's Befehl, am Stadthause stand;
Bedeau sollte nach dem Boulevard Denis ausrücken und von dort gegen den Ba-
stillenplatz operiren. Von diesem Platze sollte Geueral Duhot, der ebenfalls schon
dort war, sich durch die Rue Se. Antoine mit dem Stadthause in Verbindung
setzen und die Besatzung des Stadthauses sollte mit der des Pantheons, wo Ge¬
neral Regnault kommandirte, gemeinsam wirken. Eine dritte Colonne sollte den er¬
stem beiden nachzügelu, um das Wiederaufrichten der Barrikaden zu verhindern;
eine vierte kleinere endlich dem Pantheon zu Hilfe kommen. Auf dem Concor-
dien-Platze befehligte General Regnault Se. Jean d'Angely die Reiterei und
ans dem Caroussel-Platze General Nullivre die Reserven. Der Plan war mei¬
sterhaft für freie Straßen, und 25,000 Maun ohne Nationalgarde tonnen, wenn
keine Barrikaden vorhanden sind und die National-Garde die Truppen nicht durch
Demonstrationen demoralisirt, so vertheilt, der Empörung einer ganzen Stadt die
Spitze bieten. Aber selbst eine doppelte Anzahl Soldaten kann Nichts ausrichten,
wenn sie durch Barrikaden von einander getrennt ist und die Nationalgarde, anch
nnr in einer Minorität gegen sich hat. Die einzig zweckmäßige Maßregel wäre
daher gewesen, sich um die Tuilerien herum zu verschanzen, die Brücken abzu-
sperren, um Zeit zu Unterhandlungen mit der Nationalgarde zu ge¬
winnen. Daß Bugeand nicht diesen Plan ausgeführt, muß als ein zweites Un¬
glück für die Dynastie Orleans betrachtet werden. Was aber folgt, entschied ihr
Schicksal.

Thiers ließ Remusat zu sich rufen und ging mit diesem zwischen 3 und 4
Uhr Morgens zum zweiten Male zum Könige. Beide Herren waren entschlossen,
ihre neue politische Rolle nicht mit einer Straßenschlacht zu beginnen, und schlugen
dem König deshalb vor, Bugeaud wieder abzusetzen. Ludwig Philipp war be-


keine Proklamation anfertigen!" „Aber, Herr Thiers," sagte der Marschall Bu-
geaud, „Sie kommen eben vom Könige, Sie haben das Ministerium angenommen."
„Nein! Nein! Nein!" wiederholte Thiers abermals, „ich kann noch keine Prokla¬
mation machen!" Da Paris barrikadirt war, gab man ihm einen Adjutanten
mit und Thiers entfernte sich, um seine College« zu holen.

Der Marschall Bugeand war bei Nacht und Nebel geholt worden, und kannte
die Lage nicht, in der sich Paris in diesem Augenblicke befand. Hätte ihn eine gute
Polizei unterrichtet, daß Paris bereits überall barrikadirt war, so würde er sich
auf die Defensive beschränkt, alle Truppen um das Schloß nud die umliegenden
Plätze vereinigt, Barrikaden gemacht und die Emeute mit Feuerschlund und Ba-
jonnctt erwartet haben. Statt dessen bildete er zwei große Angriffs-Colonnen,
wovon die eine für den Boulevard, die andere für das Rathhaus bestimmt war.
Die erstere übergab er dem General Bedeau, die letztere dem, vom Oberkom¬
mando eben herabgestiegenen General Sebastiani, der um den gefährlichsten
Posten gebeten hatte. Sebastiani sollte mit der Besatzung zusammenstoßen, die
schon vom 23. ab, unter General Tallandier's Befehl, am Stadthause stand;
Bedeau sollte nach dem Boulevard Denis ausrücken und von dort gegen den Ba-
stillenplatz operiren. Von diesem Platze sollte Geueral Duhot, der ebenfalls schon
dort war, sich durch die Rue Se. Antoine mit dem Stadthause in Verbindung
setzen und die Besatzung des Stadthauses sollte mit der des Pantheons, wo Ge¬
neral Regnault kommandirte, gemeinsam wirken. Eine dritte Colonne sollte den er¬
stem beiden nachzügelu, um das Wiederaufrichten der Barrikaden zu verhindern;
eine vierte kleinere endlich dem Pantheon zu Hilfe kommen. Auf dem Concor-
dien-Platze befehligte General Regnault Se. Jean d'Angely die Reiterei und
ans dem Caroussel-Platze General Nullivre die Reserven. Der Plan war mei¬
sterhaft für freie Straßen, und 25,000 Maun ohne Nationalgarde tonnen, wenn
keine Barrikaden vorhanden sind und die National-Garde die Truppen nicht durch
Demonstrationen demoralisirt, so vertheilt, der Empörung einer ganzen Stadt die
Spitze bieten. Aber selbst eine doppelte Anzahl Soldaten kann Nichts ausrichten,
wenn sie durch Barrikaden von einander getrennt ist und die Nationalgarde, anch
nnr in einer Minorität gegen sich hat. Die einzig zweckmäßige Maßregel wäre
daher gewesen, sich um die Tuilerien herum zu verschanzen, die Brücken abzu-
sperren, um Zeit zu Unterhandlungen mit der Nationalgarde zu ge¬
winnen. Daß Bugeand nicht diesen Plan ausgeführt, muß als ein zweites Un¬
glück für die Dynastie Orleans betrachtet werden. Was aber folgt, entschied ihr
Schicksal.

Thiers ließ Remusat zu sich rufen und ging mit diesem zwischen 3 und 4
Uhr Morgens zum zweiten Male zum Könige. Beide Herren waren entschlossen,
ihre neue politische Rolle nicht mit einer Straßenschlacht zu beginnen, und schlugen
dem König deshalb vor, Bugeaud wieder abzusetzen. Ludwig Philipp war be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/344>, abgerufen am 23.07.2024.