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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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reits im Nachtgewande und antwortete in offenbarem Mißtrauen gegen die Frie¬
denspolitik seiner neuen Minister: "Bugeaud ist meine Waffe." Darauf gingen
Thiers und Remusat zu Odilon Barrot und Duvergier de Hauranne, weckten diese
auf, hielten bei ersterem eine Art Conferenz und begaben sich gegen 7 Uhr Mor¬
gens ins Schloß. Der König bewilligte die Auflösung der Kammer. Da stellten
ihm die Minister ferner vor, daß die Anwesenheit der Truppen an der Aufrich¬
tigkeit der Absichten des Reform-Ministeriums zweifeln machte und drangen auf
den Rückzug der Armee. Der ermüdete Greis willigte endlich auch hier ein.
Sein Schicksal wurde in dieser ersten Conferenz entschieden: er gab seine Waffen
und erhielt dafür Versprechungen. Thiers und Odilon Barrot über-
brachten dem Marschall Bugeaud selbst die Ordre zum Rückzug
der Truppen. Es ist durchaus unwahr, daß die Armee dem Könige untren
wurde, durch seinen eigenen Befehl wurde sie gelähmt.

Dieser Rückzug verwandelte die Revolte in eine Revolution, die Einwilligung
des Königs war der erste Akt seiner Abdankung. Die Armee und das Volk, beide
erkannten augenblicklich, daß die Krone sich selbst aufgegeben hatte.

Ein seltsames Geschick ist aber, daß Thiers, dessen politische Rolle stets ge¬
wesen war, der böse Genius von Louis Philipps Hauspolitik zu sein, auch die
letzten entscheidenden Schritte lenken mußte, durch welche das Haus Orleans ge¬
stürzt wurde.

Er hat sicher nicht den Wunsch, an die Existenz der verhängnißvollen Ordre
zu erinnern, aber Marschall Bugeaud hat nicht dasselbe Interesse mit einem Be¬
weis zurückzuhalten, welcher ihn und seine Armee von allerlei Vorwürfen befreien
kann. --

So siel Louis Philipp nicht durch die Barrikaden, sondern durch denselben Egois¬
mus und den Mangel an Charakter, an dein er selbst und das ganze parlamen¬
tarische Frankreich von 1880 -- 1848 gekränkt hatte. Seine Fehler, die Mißgriffe
und Schwächen seiner Freunde haben den Kampf entschieden, nicht die Blousen-
Männer der Februarnächte. Unsere Wühler aber und Barrikadenmänner werden
gut thun, zu bedenken, daß die Kraft des Volks unwiderstehlich wirkt, so oft
sie in den Ufern des Gesetzes vorwärts drängt, daß aber da, wo brutale Gewalt
gegen Gewalt kämpft, der Sieg den undisciplinirten Volksmassen nur dann kom¬
men kann, wenn ihre Gegner sich überraschen und betäuben lassen. Von jetzt ab
wird das schwerlich möglich sein. -- Schon im Februar 48 zu Paris wäre die
Materielle Gewalt der Massen trotz den unpraktischen Agriffscolonnen Bugeaud's
einer disciplinirten Armee unterlegen, wenn diese regiert wurde durch festen Willen
und sichere Kraft.




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reits im Nachtgewande und antwortete in offenbarem Mißtrauen gegen die Frie¬
denspolitik seiner neuen Minister: „Bugeaud ist meine Waffe." Darauf gingen
Thiers und Remusat zu Odilon Barrot und Duvergier de Hauranne, weckten diese
auf, hielten bei ersterem eine Art Conferenz und begaben sich gegen 7 Uhr Mor¬
gens ins Schloß. Der König bewilligte die Auflösung der Kammer. Da stellten
ihm die Minister ferner vor, daß die Anwesenheit der Truppen an der Aufrich¬
tigkeit der Absichten des Reform-Ministeriums zweifeln machte und drangen auf
den Rückzug der Armee. Der ermüdete Greis willigte endlich auch hier ein.
Sein Schicksal wurde in dieser ersten Conferenz entschieden: er gab seine Waffen
und erhielt dafür Versprechungen. Thiers und Odilon Barrot über-
brachten dem Marschall Bugeaud selbst die Ordre zum Rückzug
der Truppen. Es ist durchaus unwahr, daß die Armee dem Könige untren
wurde, durch seinen eigenen Befehl wurde sie gelähmt.

Dieser Rückzug verwandelte die Revolte in eine Revolution, die Einwilligung
des Königs war der erste Akt seiner Abdankung. Die Armee und das Volk, beide
erkannten augenblicklich, daß die Krone sich selbst aufgegeben hatte.

Ein seltsames Geschick ist aber, daß Thiers, dessen politische Rolle stets ge¬
wesen war, der böse Genius von Louis Philipps Hauspolitik zu sein, auch die
letzten entscheidenden Schritte lenken mußte, durch welche das Haus Orleans ge¬
stürzt wurde.

Er hat sicher nicht den Wunsch, an die Existenz der verhängnißvollen Ordre
zu erinnern, aber Marschall Bugeaud hat nicht dasselbe Interesse mit einem Be¬
weis zurückzuhalten, welcher ihn und seine Armee von allerlei Vorwürfen befreien
kann. —

So siel Louis Philipp nicht durch die Barrikaden, sondern durch denselben Egois¬
mus und den Mangel an Charakter, an dein er selbst und das ganze parlamen¬
tarische Frankreich von 1880 — 1848 gekränkt hatte. Seine Fehler, die Mißgriffe
und Schwächen seiner Freunde haben den Kampf entschieden, nicht die Blousen-
Männer der Februarnächte. Unsere Wühler aber und Barrikadenmänner werden
gut thun, zu bedenken, daß die Kraft des Volks unwiderstehlich wirkt, so oft
sie in den Ufern des Gesetzes vorwärts drängt, daß aber da, wo brutale Gewalt
gegen Gewalt kämpft, der Sieg den undisciplinirten Volksmassen nur dann kom¬
men kann, wenn ihre Gegner sich überraschen und betäuben lassen. Von jetzt ab
wird das schwerlich möglich sein. — Schon im Februar 48 zu Paris wäre die
Materielle Gewalt der Massen trotz den unpraktischen Agriffscolonnen Bugeaud's
einer disciplinirten Armee unterlegen, wenn diese regiert wurde durch festen Willen
und sichere Kraft.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/345>, abgerufen am 23.07.2024.