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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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das deutsche Verfassungswerk in Frankfurt. Die letztere Entscheidung ist wich¬
tiger für uns und für die europäischen Geschicke.

Wenn es eine Zeitlang schien, als bedeute die Wahl Louis Napoleons die
Allianz politischer Charlatanerie mit allen verdorbenen und wüstphantastischen Ele¬
menten des Landes, so hat sich die Sachlage geändert. Jene Wahl ist in der
That ein Act der monarchischen und conservativen Reaction, und wenn diese Hand¬
lungsweise der conservativen Partei ein Wahnsinn scheint, so kommt darin nnr
der französische Charakter zum Vorschein, der lieber sich dem verrücktesten Experi--
mente Preis gibt, von dem er plötzliche Erlösung hofft, als durch vernünftige
Ausdauer einen haltbaren Zustand gründet. Louis Napoleon wird sich auf die
Partei stützen, die an seiner Erwählung den überwiegenden Antheil hat; die
Häupter der alten dynastischen Linken, die Thiers und Barrot werden die Ersten
in seinem Rathe, sein. Ob es ihnen gelingt, den Weg friedlicher Reform im
Innern mit Erfolg zu betreten, ist unsicher. Auch im günstigsten Falle werden
häufig Momente kommen, wo das alte französische Gelüst hervorbricht, die innere
Ungcnüge, welche sich durch verzweifelte Experimente zu Hause nicht ans einmal
abschütteln läßt, dnrch Ueberfall nud Plünderung des Nachbars zu beseitigen, um
der unbequemen Geduld und Arbeit zu entgehen. Ob Frankreich energisch zurück¬
gehalten wird auf dem Weg der Reform und Läuterung im Innern, das wird
davon abhängen, ob Deutschland so constituirt ist, daß seine Haltung Achtung
einflößen und im Nothfall imponiren und schrecken kann. Darin liegt die größere
Wichtigkeit der deutschen Entwickelung für die europäischen Geschicke, die vorhin
behauptet wurde.

Die Constituirung Deutschlands droht zu scheitern -- an dem Antheil Oest¬
reichs. Nicht an der Unredlichkeit der östreichischen Staatsmänner. Sie haben
offen und ehrlich erklärt: "Erst wenn das verjüngte Oestreich und das verjüngte
Deutschland zu neuen und festen Formen gelangt sind, wird es möglich sein, ihre
gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen und vou einer Geltung deutscher
Gesetze in Oestreich könne nicht die Rede sein, so lange nicht das Verhältniß im
beiderseitigen Einverständniß bleibend geordnet sei." Oestreich dringt sich nicht aus.
Aber man thut Alles, es zu bewegen, seine Hand nicht aus dem Spiel zu lassen.
Und welcher Staatsmann würde einem Einfluß entsagen, der ihm ungesucht von
zahlreichen Parteien angetragen wird?

Fünf Parteien sind in Frankfurt, welche Oestreich in die deutsche Konstitution
verwickeln wollen. 1) Die östreichischen Deputirten. Sie haben sich in Frankfurt
eingelebt, sie hält die süße Gewohnheit des Daseins und Wirkens. 2) Die
Ultramontanen, sie fürchten das Uebergewicht des protestantischen Nordens.
3) Die Linke, platte Bursche, die, weil Deutschland nicht nach ihrer Vorstellung
eine Republik von kindisch roher Construction geworden ist, um ein knabenhaftes
Gelüst zu kühlen, Alles verderben möchten. Diese Partei ist ehrlos genug, der-


das deutsche Verfassungswerk in Frankfurt. Die letztere Entscheidung ist wich¬
tiger für uns und für die europäischen Geschicke.

Wenn es eine Zeitlang schien, als bedeute die Wahl Louis Napoleons die
Allianz politischer Charlatanerie mit allen verdorbenen und wüstphantastischen Ele¬
menten des Landes, so hat sich die Sachlage geändert. Jene Wahl ist in der
That ein Act der monarchischen und conservativen Reaction, und wenn diese Hand¬
lungsweise der conservativen Partei ein Wahnsinn scheint, so kommt darin nnr
der französische Charakter zum Vorschein, der lieber sich dem verrücktesten Experi--
mente Preis gibt, von dem er plötzliche Erlösung hofft, als durch vernünftige
Ausdauer einen haltbaren Zustand gründet. Louis Napoleon wird sich auf die
Partei stützen, die an seiner Erwählung den überwiegenden Antheil hat; die
Häupter der alten dynastischen Linken, die Thiers und Barrot werden die Ersten
in seinem Rathe, sein. Ob es ihnen gelingt, den Weg friedlicher Reform im
Innern mit Erfolg zu betreten, ist unsicher. Auch im günstigsten Falle werden
häufig Momente kommen, wo das alte französische Gelüst hervorbricht, die innere
Ungcnüge, welche sich durch verzweifelte Experimente zu Hause nicht ans einmal
abschütteln läßt, dnrch Ueberfall nud Plünderung des Nachbars zu beseitigen, um
der unbequemen Geduld und Arbeit zu entgehen. Ob Frankreich energisch zurück¬
gehalten wird auf dem Weg der Reform und Läuterung im Innern, das wird
davon abhängen, ob Deutschland so constituirt ist, daß seine Haltung Achtung
einflößen und im Nothfall imponiren und schrecken kann. Darin liegt die größere
Wichtigkeit der deutschen Entwickelung für die europäischen Geschicke, die vorhin
behauptet wurde.

Die Constituirung Deutschlands droht zu scheitern — an dem Antheil Oest¬
reichs. Nicht an der Unredlichkeit der östreichischen Staatsmänner. Sie haben
offen und ehrlich erklärt: „Erst wenn das verjüngte Oestreich und das verjüngte
Deutschland zu neuen und festen Formen gelangt sind, wird es möglich sein, ihre
gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen und vou einer Geltung deutscher
Gesetze in Oestreich könne nicht die Rede sein, so lange nicht das Verhältniß im
beiderseitigen Einverständniß bleibend geordnet sei." Oestreich dringt sich nicht aus.
Aber man thut Alles, es zu bewegen, seine Hand nicht aus dem Spiel zu lassen.
Und welcher Staatsmann würde einem Einfluß entsagen, der ihm ungesucht von
zahlreichen Parteien angetragen wird?

Fünf Parteien sind in Frankfurt, welche Oestreich in die deutsche Konstitution
verwickeln wollen. 1) Die östreichischen Deputirten. Sie haben sich in Frankfurt
eingelebt, sie hält die süße Gewohnheit des Daseins und Wirkens. 2) Die
Ultramontanen, sie fürchten das Uebergewicht des protestantischen Nordens.
3) Die Linke, platte Bursche, die, weil Deutschland nicht nach ihrer Vorstellung
eine Republik von kindisch roher Construction geworden ist, um ein knabenhaftes
Gelüst zu kühlen, Alles verderben möchten. Diese Partei ist ehrlos genug, der-


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[0031] das deutsche Verfassungswerk in Frankfurt. Die letztere Entscheidung ist wich¬ tiger für uns und für die europäischen Geschicke. Wenn es eine Zeitlang schien, als bedeute die Wahl Louis Napoleons die Allianz politischer Charlatanerie mit allen verdorbenen und wüstphantastischen Ele¬ menten des Landes, so hat sich die Sachlage geändert. Jene Wahl ist in der That ein Act der monarchischen und conservativen Reaction, und wenn diese Hand¬ lungsweise der conservativen Partei ein Wahnsinn scheint, so kommt darin nnr der französische Charakter zum Vorschein, der lieber sich dem verrücktesten Experi-- mente Preis gibt, von dem er plötzliche Erlösung hofft, als durch vernünftige Ausdauer einen haltbaren Zustand gründet. Louis Napoleon wird sich auf die Partei stützen, die an seiner Erwählung den überwiegenden Antheil hat; die Häupter der alten dynastischen Linken, die Thiers und Barrot werden die Ersten in seinem Rathe, sein. Ob es ihnen gelingt, den Weg friedlicher Reform im Innern mit Erfolg zu betreten, ist unsicher. Auch im günstigsten Falle werden häufig Momente kommen, wo das alte französische Gelüst hervorbricht, die innere Ungcnüge, welche sich durch verzweifelte Experimente zu Hause nicht ans einmal abschütteln läßt, dnrch Ueberfall nud Plünderung des Nachbars zu beseitigen, um der unbequemen Geduld und Arbeit zu entgehen. Ob Frankreich energisch zurück¬ gehalten wird auf dem Weg der Reform und Läuterung im Innern, das wird davon abhängen, ob Deutschland so constituirt ist, daß seine Haltung Achtung einflößen und im Nothfall imponiren und schrecken kann. Darin liegt die größere Wichtigkeit der deutschen Entwickelung für die europäischen Geschicke, die vorhin behauptet wurde. Die Constituirung Deutschlands droht zu scheitern — an dem Antheil Oest¬ reichs. Nicht an der Unredlichkeit der östreichischen Staatsmänner. Sie haben offen und ehrlich erklärt: „Erst wenn das verjüngte Oestreich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festen Formen gelangt sind, wird es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen und vou einer Geltung deutscher Gesetze in Oestreich könne nicht die Rede sein, so lange nicht das Verhältniß im beiderseitigen Einverständniß bleibend geordnet sei." Oestreich dringt sich nicht aus. Aber man thut Alles, es zu bewegen, seine Hand nicht aus dem Spiel zu lassen. Und welcher Staatsmann würde einem Einfluß entsagen, der ihm ungesucht von zahlreichen Parteien angetragen wird? Fünf Parteien sind in Frankfurt, welche Oestreich in die deutsche Konstitution verwickeln wollen. 1) Die östreichischen Deputirten. Sie haben sich in Frankfurt eingelebt, sie hält die süße Gewohnheit des Daseins und Wirkens. 2) Die Ultramontanen, sie fürchten das Uebergewicht des protestantischen Nordens. 3) Die Linke, platte Bursche, die, weil Deutschland nicht nach ihrer Vorstellung eine Republik von kindisch roher Construction geworden ist, um ein knabenhaftes Gelüst zu kühlen, Alles verderben möchten. Diese Partei ist ehrlos genug, der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/31>, abgerufen am 22.12.2024.