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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Kriegsmann, dessen Antlitz die afrikanische Sonne gebräunt hat. Der würdigste
Mann zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung, war er doch nicht be¬
rufen, für die Dauer Frankreich ein Haupt zu geben; denn ihm fehlt der Schimmer
des Namens, die Folie des Genius. Jedenfalls nimmt er den Ruhm mit sich,
die wohlgesinnteste und kräftigste Regierung geleitet zu haben, welche Frankreich
seit einem halben Jahrhundert gesehn.

Die seinen Politiker der alten dynastischen Opposition, alle Ehrgeizige und
Schwindler intriguirten gegen ihn, weil sein moralisches Gewicht ihnen drückend
war. Royalisten und Socialisten, die Kriegspartei und die Phalanstericr verbanden
sich, mit ihnen die r"z>in>)Il">no <Ich IionMes Apus zu stürzen; sie setzten einen mit
Goldblech überzogenen Gliedermann, einen gekrönten Hanswurst auf den Präst-
dentenstuhl, um durch eine allgemeine, nichtssagende und in nichts verbindliche
Formel gegen den Fortbestand der republikanischen Ordnung zu Protestiren.

Das Reich des neuen Napoleon wird nicht von langer Dauer sein. Wer
wird siegen? Die rothe Republik wird noch einen Streich versuchen, ein zweiter
strenger Militärdictator wird folgen. Ist es nicht Cavaignac, so ist es Bugeaud
oder Lamoriciere oder wer sonst. Schwerlich wird der Sieger die intensive Kraft
und das Selbstgefühl eines Napoleon haben, schwerlich die Geschmeidigkeit eines
Cromwell, den Ehrgeizigen aus dem Civilstande die Administration aus den Händen
zu winden. Alle Wahrscheinlichkeitsrechnung spricht für eine): zweiten Monk.

Vorher aber wäre ein Versuch leicht denkbar, dem unreifen Strom der Volks-
kraft eine Ableitung über die Grenze zu geben. Seien wir nicht ungerecht gegen
die Franzosen! Sie haben voreilig, flüchtig construirt, aber sie sind fertig ge¬
worden: wenn wir in unsern eitlen, kleinstädtischen Philistertreiben mit der Aus¬
dauer fortfahren, die unsere Revolution charakterisirt, so kann eine solche Idee
für uns verhängnißvoll sein.


Julian Schmidt.


Die deutsche Verfassungsfrage.



Dieses denkwürdige Jahr soll nicht vorübergehen, ohne die neue Geschichte,
welche es begonnen, anch auf lange hinaus zu charakteristreu. Zwei große Ent¬
scheidungen stehen uns an der Grenze dieses Jahres bevor, von denen es zum
guten Theil abhängt, ob der ungeordnete Ausbruch widernatürlich zurückgehaltener
Kräfte in den ruhigen Strom großartig friedlicher Entwickelung einlenken oder
halb Europa in ein Chaos stürzen soll, das aller Wahrscheinlichkeit nach mit 6em
Untergang Deutschlands endigen würde: Die Präsidentenwahl in Frankreich und


Kriegsmann, dessen Antlitz die afrikanische Sonne gebräunt hat. Der würdigste
Mann zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung, war er doch nicht be¬
rufen, für die Dauer Frankreich ein Haupt zu geben; denn ihm fehlt der Schimmer
des Namens, die Folie des Genius. Jedenfalls nimmt er den Ruhm mit sich,
die wohlgesinnteste und kräftigste Regierung geleitet zu haben, welche Frankreich
seit einem halben Jahrhundert gesehn.

Die seinen Politiker der alten dynastischen Opposition, alle Ehrgeizige und
Schwindler intriguirten gegen ihn, weil sein moralisches Gewicht ihnen drückend
war. Royalisten und Socialisten, die Kriegspartei und die Phalanstericr verbanden
sich, mit ihnen die r«z>in>)Il«>no <Ich IionMes Apus zu stürzen; sie setzten einen mit
Goldblech überzogenen Gliedermann, einen gekrönten Hanswurst auf den Präst-
dentenstuhl, um durch eine allgemeine, nichtssagende und in nichts verbindliche
Formel gegen den Fortbestand der republikanischen Ordnung zu Protestiren.

Das Reich des neuen Napoleon wird nicht von langer Dauer sein. Wer
wird siegen? Die rothe Republik wird noch einen Streich versuchen, ein zweiter
strenger Militärdictator wird folgen. Ist es nicht Cavaignac, so ist es Bugeaud
oder Lamoriciere oder wer sonst. Schwerlich wird der Sieger die intensive Kraft
und das Selbstgefühl eines Napoleon haben, schwerlich die Geschmeidigkeit eines
Cromwell, den Ehrgeizigen aus dem Civilstande die Administration aus den Händen
zu winden. Alle Wahrscheinlichkeitsrechnung spricht für eine): zweiten Monk.

Vorher aber wäre ein Versuch leicht denkbar, dem unreifen Strom der Volks-
kraft eine Ableitung über die Grenze zu geben. Seien wir nicht ungerecht gegen
die Franzosen! Sie haben voreilig, flüchtig construirt, aber sie sind fertig ge¬
worden: wenn wir in unsern eitlen, kleinstädtischen Philistertreiben mit der Aus¬
dauer fortfahren, die unsere Revolution charakterisirt, so kann eine solche Idee
für uns verhängnißvoll sein.


Julian Schmidt.


Die deutsche Verfassungsfrage.



Dieses denkwürdige Jahr soll nicht vorübergehen, ohne die neue Geschichte,
welche es begonnen, anch auf lange hinaus zu charakteristreu. Zwei große Ent¬
scheidungen stehen uns an der Grenze dieses Jahres bevor, von denen es zum
guten Theil abhängt, ob der ungeordnete Ausbruch widernatürlich zurückgehaltener
Kräfte in den ruhigen Strom großartig friedlicher Entwickelung einlenken oder
halb Europa in ein Chaos stürzen soll, das aller Wahrscheinlichkeit nach mit 6em
Untergang Deutschlands endigen würde: Die Präsidentenwahl in Frankreich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/30>, abgerufen am 23.07.2024.