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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Kampf zwischen asiatischer und europäischer Weltherrschaft zur Entscheidung
bringen. --

Die östreichische Nation, als eine freie, in sich selbst begrenzte Staatsgesell¬
schaft von gleichberechtigten Bürgern, wie ich sie auffasse, ist also in diesem Augen¬
blicke noch ein Ideal, dessen Realisirung eben so sehr von der verschiedenartigen
Bildungsstufe der östreichischen Provinzen als dem herrschenden System Altöst¬
reichs gehemmt wird. Aber gerade jetzt, wo es sich darum handelt, dem alten
zerrütteten Staate neues Leben einzuhauchen, und den verschiedenen, in ihren
Sympathieen verletzten, durch Waffengewalt zusammengehaltenen Bewohnern Oest¬
reichs ein gemeinsames Ziel für ihre Freiheitsbestrebungen vorzustecken, jetzt scheint
es an der Zeit zu sein, die Begeisterung für ein einheitliches Zusammenleben als
politische Körperschaft anzufachen. Der östreichische Patriotismus erfordert vom
Deutschen eine edle Selbstüberwindung, ein Herabstimmen seiner geistigen Ansprüche
und ideellen Freiheitswünsche, während die übrigen Nationalitäten aus mittelalter¬
licher und moderner Romantik, aus der rohen oder sentimentalen Beschränktheit
ihrer speciellen Patriotismen heraustreten müssen. Dann würden alle Sonderin-
tercssen und kleinlichen Nationalitätsprärogative durch die höhere Idee eines östrei¬
chischen Bundesstaates paralisirt, in welchem die einzelnen Völker nicht als histo¬
risch oder geographisch eigenthümlich gefärbte Individuen, sondern als staatsbürger¬
lich gleichberechtigte Glieder der freien östreichischen Nation der Welt gegenüber
repräsentirt sind. Die vor- und nachmärzlichen Staatsprinzipe "von der ange¬
stammten Treue und tiefen Ergebenheit für das Haus Oestreich" so wie "von der
Gleichberechtigung der Nationalitäten" müssen endlich der höheren Idee des allge¬
meinen freien Staatsbürgerthums weichen. Jene konnten nur der Schwäche und
den kindlichen Illusionen eines "Unterthanen" oder "Volksstammes" schmeicheln,
um das morsche Haus äußerlich zusammenzuhalten. Aber durch die selbststän¬
dige Entwicklung des freien Bürgers nach allen Richtungen des gemeinsamen
Staatslebens erhebt sich das Selbstgefühl und die materielle und politische Macht
einer großen Nation. Nordamerika und die Schweiz wurden für Oestreich schon
oft und mit Recht als Vorbilder für dessen staatliche Gestaltung genannt.

Die Geschichte der östreichischen Nation beginnt erst in diesen Tagen; was
vorher, durch Jahrhunderte und in neuster Zeit vom östreichischen Kaiserstaate er¬
zählt wird, enthält nnr einen Bericht über die Heirathsacte und Geburtswehen,
unter welchen das freie Oestreich zu Tag gefördert wurde. Karl VI., Joseph II.
und -- Fürst WindischgräA sind die eigentlichen Schöpfer und Erhalter deö öst¬
reichischen Staates, der Erste als kluger Hausvater, der Zweite als centralistren-
der, belebender Geist, der Dritte als blindes Werkzeug der Geschichte und euro¬
päischen Kultur. Was Karl VI. und seiner Tochter nur mit vielen Opfern ge-
lungen: die Aufrechthaltung der Integrität des Kaiserstaates, was Joseph II. mit
Bekämpfung alter Vorurtheile und Privilegien versucht hatte; eine durchgreifende
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Kampf zwischen asiatischer und europäischer Weltherrschaft zur Entscheidung
bringen. —

Die östreichische Nation, als eine freie, in sich selbst begrenzte Staatsgesell¬
schaft von gleichberechtigten Bürgern, wie ich sie auffasse, ist also in diesem Augen¬
blicke noch ein Ideal, dessen Realisirung eben so sehr von der verschiedenartigen
Bildungsstufe der östreichischen Provinzen als dem herrschenden System Altöst¬
reichs gehemmt wird. Aber gerade jetzt, wo es sich darum handelt, dem alten
zerrütteten Staate neues Leben einzuhauchen, und den verschiedenen, in ihren
Sympathieen verletzten, durch Waffengewalt zusammengehaltenen Bewohnern Oest¬
reichs ein gemeinsames Ziel für ihre Freiheitsbestrebungen vorzustecken, jetzt scheint
es an der Zeit zu sein, die Begeisterung für ein einheitliches Zusammenleben als
politische Körperschaft anzufachen. Der östreichische Patriotismus erfordert vom
Deutschen eine edle Selbstüberwindung, ein Herabstimmen seiner geistigen Ansprüche
und ideellen Freiheitswünsche, während die übrigen Nationalitäten aus mittelalter¬
licher und moderner Romantik, aus der rohen oder sentimentalen Beschränktheit
ihrer speciellen Patriotismen heraustreten müssen. Dann würden alle Sonderin-
tercssen und kleinlichen Nationalitätsprärogative durch die höhere Idee eines östrei¬
chischen Bundesstaates paralisirt, in welchem die einzelnen Völker nicht als histo¬
risch oder geographisch eigenthümlich gefärbte Individuen, sondern als staatsbürger¬
lich gleichberechtigte Glieder der freien östreichischen Nation der Welt gegenüber
repräsentirt sind. Die vor- und nachmärzlichen Staatsprinzipe „von der ange¬
stammten Treue und tiefen Ergebenheit für das Haus Oestreich" so wie „von der
Gleichberechtigung der Nationalitäten" müssen endlich der höheren Idee des allge¬
meinen freien Staatsbürgerthums weichen. Jene konnten nur der Schwäche und
den kindlichen Illusionen eines „Unterthanen" oder „Volksstammes" schmeicheln,
um das morsche Haus äußerlich zusammenzuhalten. Aber durch die selbststän¬
dige Entwicklung des freien Bürgers nach allen Richtungen des gemeinsamen
Staatslebens erhebt sich das Selbstgefühl und die materielle und politische Macht
einer großen Nation. Nordamerika und die Schweiz wurden für Oestreich schon
oft und mit Recht als Vorbilder für dessen staatliche Gestaltung genannt.

Die Geschichte der östreichischen Nation beginnt erst in diesen Tagen; was
vorher, durch Jahrhunderte und in neuster Zeit vom östreichischen Kaiserstaate er¬
zählt wird, enthält nnr einen Bericht über die Heirathsacte und Geburtswehen,
unter welchen das freie Oestreich zu Tag gefördert wurde. Karl VI., Joseph II.
und — Fürst WindischgräA sind die eigentlichen Schöpfer und Erhalter deö öst¬
reichischen Staates, der Erste als kluger Hausvater, der Zweite als centralistren-
der, belebender Geist, der Dritte als blindes Werkzeug der Geschichte und euro¬
päischen Kultur. Was Karl VI. und seiner Tochter nur mit vielen Opfern ge-
lungen: die Aufrechthaltung der Integrität des Kaiserstaates, was Joseph II. mit
Bekämpfung alter Vorurtheile und Privilegien versucht hatte; eine durchgreifende
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[0307] Kampf zwischen asiatischer und europäischer Weltherrschaft zur Entscheidung bringen. — Die östreichische Nation, als eine freie, in sich selbst begrenzte Staatsgesell¬ schaft von gleichberechtigten Bürgern, wie ich sie auffasse, ist also in diesem Augen¬ blicke noch ein Ideal, dessen Realisirung eben so sehr von der verschiedenartigen Bildungsstufe der östreichischen Provinzen als dem herrschenden System Altöst¬ reichs gehemmt wird. Aber gerade jetzt, wo es sich darum handelt, dem alten zerrütteten Staate neues Leben einzuhauchen, und den verschiedenen, in ihren Sympathieen verletzten, durch Waffengewalt zusammengehaltenen Bewohnern Oest¬ reichs ein gemeinsames Ziel für ihre Freiheitsbestrebungen vorzustecken, jetzt scheint es an der Zeit zu sein, die Begeisterung für ein einheitliches Zusammenleben als politische Körperschaft anzufachen. Der östreichische Patriotismus erfordert vom Deutschen eine edle Selbstüberwindung, ein Herabstimmen seiner geistigen Ansprüche und ideellen Freiheitswünsche, während die übrigen Nationalitäten aus mittelalter¬ licher und moderner Romantik, aus der rohen oder sentimentalen Beschränktheit ihrer speciellen Patriotismen heraustreten müssen. Dann würden alle Sonderin- tercssen und kleinlichen Nationalitätsprärogative durch die höhere Idee eines östrei¬ chischen Bundesstaates paralisirt, in welchem die einzelnen Völker nicht als histo¬ risch oder geographisch eigenthümlich gefärbte Individuen, sondern als staatsbürger¬ lich gleichberechtigte Glieder der freien östreichischen Nation der Welt gegenüber repräsentirt sind. Die vor- und nachmärzlichen Staatsprinzipe „von der ange¬ stammten Treue und tiefen Ergebenheit für das Haus Oestreich" so wie „von der Gleichberechtigung der Nationalitäten" müssen endlich der höheren Idee des allge¬ meinen freien Staatsbürgerthums weichen. Jene konnten nur der Schwäche und den kindlichen Illusionen eines „Unterthanen" oder „Volksstammes" schmeicheln, um das morsche Haus äußerlich zusammenzuhalten. Aber durch die selbststän¬ dige Entwicklung des freien Bürgers nach allen Richtungen des gemeinsamen Staatslebens erhebt sich das Selbstgefühl und die materielle und politische Macht einer großen Nation. Nordamerika und die Schweiz wurden für Oestreich schon oft und mit Recht als Vorbilder für dessen staatliche Gestaltung genannt. Die Geschichte der östreichischen Nation beginnt erst in diesen Tagen; was vorher, durch Jahrhunderte und in neuster Zeit vom östreichischen Kaiserstaate er¬ zählt wird, enthält nnr einen Bericht über die Heirathsacte und Geburtswehen, unter welchen das freie Oestreich zu Tag gefördert wurde. Karl VI., Joseph II. und — Fürst WindischgräA sind die eigentlichen Schöpfer und Erhalter deö öst¬ reichischen Staates, der Erste als kluger Hausvater, der Zweite als centralistren- der, belebender Geist, der Dritte als blindes Werkzeug der Geschichte und euro¬ päischen Kultur. Was Karl VI. und seiner Tochter nur mit vielen Opfern ge- lungen: die Aufrechthaltung der Integrität des Kaiserstaates, was Joseph II. mit Bekämpfung alter Vorurtheile und Privilegien versucht hatte; eine durchgreifende ' 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/307>, abgerufen am 23.07.2024.