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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Begeisterung," Gedanken und Worte verschwenden?! Wo ist die östreichische Na¬
tion, deren selbstständige, staatliche Entwicklung nach innen und außen ich in dei-
sen Zeilen bezeichnen möchte? Wer hat sie bis jetzt nennen gehört, in welchen
Aktenstücken ist ihre Existenz anerkannt, was werden die auswärtigen Kabinette,
unsere eigenen Diplomaten sagen, wenn ihnen etwas von der Politik der östreichi¬
schen Nation zu Ohren kommt? Und fragt die Oestreicher selbst, welcher Nation
sie angehören; Czechen, Slavenen, Magyaren, Serben, Deutsche, Wallachen
werde" auf ihre Ahnen und verbrieften Rechte hinweisen und antworten: Wir
gehören zu Oestreich, aber nur als Theile der slavischen, sächsischen, serbischen,
magyarischen Nation! Also auch die Völker selbst wollen nnr als "Einwohner
des Hauses Oestreichs" angesehen werden? Was ist also ein östreichischer Patriot?
Kann er sich als freier Mann für den Gesammtstaat begeistern, wenn dieser Staat
nichts als ein dynastisches Territorium und die östreichische Nation, als das Lebens-
element desselben, nur eine formelle Fiktion ist? Der Deutsche in Oestreich, dessen
Bildung ihn am frühesten über die romantische Beschränktheit einer specifischen
Nationalität hinausträgt und auf den reellen Boden einer durch Geschicke und
materielle Interessen verbündeten Staatsgesellschaft feststellt, ist eigentlich am
schlimmsten daran mit seinen östreichischen Patriotismus. Denn die einzige berech¬
tigte Sympathie, welche ihn zu einem "großen deutschen Vaterlande" hinzieht,
eben seine geistige Verwandschaft und höhere Knlturstellnng macht es ihm um so
schwerer, den östreichischen "Brüdern" unter den Cchokazen, Syrmiern und den
modernen Vandalen unter den Szeklern und Wallachen die Hand zu reiche", um
mit ihnen gemeinschaftlich einen freien civilisirten Staat aufzubauen. Der öst¬
reichische Deutsche fühlt zwar den Beruf, als versöhueudes geistiges Element, als
Träger europäischer Cultur unter den slavischen und den andern halbbarbari¬
schen Stämmen Oestreichs aufzutreten. Aber so lange diese auf ihre junge Natio¬
nalität eifersüchtigen Stämme das deutsche Element nur in der centralisirenden
Bureaukratie zu erkennen glauben, so lange werden auch ihre historischen Erinne¬
rungen aus den Josephinischen und Metternichschen Zeiten und ihre ehrgeizigen
Vorkämpfer eine solche "Bevormundung" von deutscher Seite zurückweisen. Die
Regierung selbst hat in ihrer Bedrängniß den rohen Geist der Nationalität her¬
aufbeschworen und es dürfte ihr jetzt schwer werden, denselben für ihre centralisi-
rende Politik und zu Gunsten ihrer ehrgeizigen deutschen Kaiserpläne wieder zu
bändigen. Nur die Lethargie, in welche diese Völkerschaften nach den jetzigen
Vertilgungskämpfen zurückfallen werden und die verhältnißmäßig geringe Anzahl
von eigentlichen Nationalpatrioten, welche bisher die Flammen der ersten Begei¬
sterung für ihre Parteizwecke zu schüren wußten, also das Gefühl der eigenen
Ohnmacht wird in nächster Zeit die uncivilisirten Stämme im Osten -und Süden
der Herrschaft der rohen Gewalt oder des überlegenen Geistes der Freiheit über¬
liefern. Die russische Knute oder deutsche Sitte und Bildung werden dort den


Begeisterung," Gedanken und Worte verschwenden?! Wo ist die östreichische Na¬
tion, deren selbstständige, staatliche Entwicklung nach innen und außen ich in dei-
sen Zeilen bezeichnen möchte? Wer hat sie bis jetzt nennen gehört, in welchen
Aktenstücken ist ihre Existenz anerkannt, was werden die auswärtigen Kabinette,
unsere eigenen Diplomaten sagen, wenn ihnen etwas von der Politik der östreichi¬
schen Nation zu Ohren kommt? Und fragt die Oestreicher selbst, welcher Nation
sie angehören; Czechen, Slavenen, Magyaren, Serben, Deutsche, Wallachen
werde» auf ihre Ahnen und verbrieften Rechte hinweisen und antworten: Wir
gehören zu Oestreich, aber nur als Theile der slavischen, sächsischen, serbischen,
magyarischen Nation! Also auch die Völker selbst wollen nnr als „Einwohner
des Hauses Oestreichs" angesehen werden? Was ist also ein östreichischer Patriot?
Kann er sich als freier Mann für den Gesammtstaat begeistern, wenn dieser Staat
nichts als ein dynastisches Territorium und die östreichische Nation, als das Lebens-
element desselben, nur eine formelle Fiktion ist? Der Deutsche in Oestreich, dessen
Bildung ihn am frühesten über die romantische Beschränktheit einer specifischen
Nationalität hinausträgt und auf den reellen Boden einer durch Geschicke und
materielle Interessen verbündeten Staatsgesellschaft feststellt, ist eigentlich am
schlimmsten daran mit seinen östreichischen Patriotismus. Denn die einzige berech¬
tigte Sympathie, welche ihn zu einem „großen deutschen Vaterlande" hinzieht,
eben seine geistige Verwandschaft und höhere Knlturstellnng macht es ihm um so
schwerer, den östreichischen „Brüdern" unter den Cchokazen, Syrmiern und den
modernen Vandalen unter den Szeklern und Wallachen die Hand zu reiche», um
mit ihnen gemeinschaftlich einen freien civilisirten Staat aufzubauen. Der öst¬
reichische Deutsche fühlt zwar den Beruf, als versöhueudes geistiges Element, als
Träger europäischer Cultur unter den slavischen und den andern halbbarbari¬
schen Stämmen Oestreichs aufzutreten. Aber so lange diese auf ihre junge Natio¬
nalität eifersüchtigen Stämme das deutsche Element nur in der centralisirenden
Bureaukratie zu erkennen glauben, so lange werden auch ihre historischen Erinne¬
rungen aus den Josephinischen und Metternichschen Zeiten und ihre ehrgeizigen
Vorkämpfer eine solche „Bevormundung" von deutscher Seite zurückweisen. Die
Regierung selbst hat in ihrer Bedrängniß den rohen Geist der Nationalität her¬
aufbeschworen und es dürfte ihr jetzt schwer werden, denselben für ihre centralisi-
rende Politik und zu Gunsten ihrer ehrgeizigen deutschen Kaiserpläne wieder zu
bändigen. Nur die Lethargie, in welche diese Völkerschaften nach den jetzigen
Vertilgungskämpfen zurückfallen werden und die verhältnißmäßig geringe Anzahl
von eigentlichen Nationalpatrioten, welche bisher die Flammen der ersten Begei¬
sterung für ihre Parteizwecke zu schüren wußten, also das Gefühl der eigenen
Ohnmacht wird in nächster Zeit die uncivilisirten Stämme im Osten -und Süden
der Herrschaft der rohen Gewalt oder des überlegenen Geistes der Freiheit über¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/306>, abgerufen am 23.07.2024.