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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Regeneration und geistige Erhebung der östreichischen Völker, beide Staatszwecke
zugleich sollen nun unter der Herrschaft des fürstlich Windischgrätz'schen Schwertes
erreicht werden. Eine schwere welthistorische Aufgabe! Der Eine Theil derselben
scheint jetzt seiner Lösung nahe zu sein. Der Kaiserstaat wird demnächst in seiner
vollen Gestalt, wie er vor dem Ausbruche der Revolution bestanden, hergestellt
sein. Sollte aber dies doch nur mit neuen Opfern in den italienischen Provinzen
geschehen können, dann muß Oestreich wieder zu gewinnen suchen, was Karl VI.
nach vielen glorreichen Siegen seiner Vorgänger zum Schaden seines Reiches an
der Donau aufgegeben hatte. Der Besitz der südslavischen Länder, der im Bel¬
grader Frieden 1739 verloren ging, ist sür die Integrität und selbstständige Ent>
Wicklung Oestreichs eine politische Nothwendigkeit. Wir werden dies später näher
erörtern. Aber, wie gesagt, der Fortbestand des Kaiserstaates scheint nun sür
jeden Fall gesichert zu sein. Aber der zweite Theil der Aufgabe? Die Regenera¬
tion, die innere freie Entfaltung des Staatslebens, kann auch diese dnrch die Dicta-
tur des Schwerts, dnrch militärische Tagsbefehle vollbracht werden? Mögen die
jetzigen Gewalthaber Oestreichs an das tragische Schicksal Josephs II. denken!
Die aufgeklärte Despotie, die aufgezwungene Befreiung des Geistes und das will¬
kürliche Zumessen von Rechten muß an dem männlichen Stolze, an der angebor-
nen Menschenwürde Jener scheitern, welchen hiedurch das höchste persönliche Gut,
die freie Selbstbestimmung benommen wird. "Der beschränkte Unterthanenverstand"
ist dnrch die Revolution zu sehr aufgerüttelt worden, ja die östreichische Negierung
selbst hat zu oft in sehr bedrängter Lage an denselben appellirt, als daß die Völ¬
ker vergessen sollten, daß nnr durch ihren Willen, durch das Blut ihrer Söhne
der Staat erhalten wurde. Eine volle selbstständige Betheiligung an dem politi¬
schen Verjüngungswerke wird daher von allen Volksstämmen Oestreichs mit Recht be¬
ansprucht. Diese Forderung mit den Absichten der Negierung, einen starken, ein¬
heitlichen Staat zu schaffen, in Einklang zu bringen, ist also der zweite Theil
jener großen Aufgabe, welche in diesem Augenblicke in die Hände der östreichischen
Staatsmänner gelegt ist. Würde unter diesen ein starker schöpferischer Geist sich
finden, der mit der vollen Hingebung für die Freiheit seines Volkes eine weise
und energische Leitung der Stnatsgeschäfte verbände, dann müßte er "sich an die
Spitze der Bewegung stellend," das Hochgefühl einer großen gemeinsamen Nation
wachrufen, welche aus verschiedenartigen aber lebensfähigen, Elementen zusammen¬
gesetzt ist und eben dadurch eine ewige Triebkraft zu neuen nationalen Schöpfungen
in sich berge. -Im Namen dieser freien Nation müßte* er die Vertrauensmänner
derselben in den Rath berufen, die Gesetze verkündigen und die Politik des Landes
dem Auslande gegenüber mit sicherer Hand bezeichnen. Im Namen dieser freien
Nation müßte er den innern Frieden und die Versöhnung der nationalen Parteiun¬
gen herbeiführen, die Rechte des Staates und des einzelnen Bürgers gegen jeden
Eingriffen schützen wissen, Handel und Gewerbe vom nationalen Standpunkte zu


Regeneration und geistige Erhebung der östreichischen Völker, beide Staatszwecke
zugleich sollen nun unter der Herrschaft des fürstlich Windischgrätz'schen Schwertes
erreicht werden. Eine schwere welthistorische Aufgabe! Der Eine Theil derselben
scheint jetzt seiner Lösung nahe zu sein. Der Kaiserstaat wird demnächst in seiner
vollen Gestalt, wie er vor dem Ausbruche der Revolution bestanden, hergestellt
sein. Sollte aber dies doch nur mit neuen Opfern in den italienischen Provinzen
geschehen können, dann muß Oestreich wieder zu gewinnen suchen, was Karl VI.
nach vielen glorreichen Siegen seiner Vorgänger zum Schaden seines Reiches an
der Donau aufgegeben hatte. Der Besitz der südslavischen Länder, der im Bel¬
grader Frieden 1739 verloren ging, ist sür die Integrität und selbstständige Ent>
Wicklung Oestreichs eine politische Nothwendigkeit. Wir werden dies später näher
erörtern. Aber, wie gesagt, der Fortbestand des Kaiserstaates scheint nun sür
jeden Fall gesichert zu sein. Aber der zweite Theil der Aufgabe? Die Regenera¬
tion, die innere freie Entfaltung des Staatslebens, kann auch diese dnrch die Dicta-
tur des Schwerts, dnrch militärische Tagsbefehle vollbracht werden? Mögen die
jetzigen Gewalthaber Oestreichs an das tragische Schicksal Josephs II. denken!
Die aufgeklärte Despotie, die aufgezwungene Befreiung des Geistes und das will¬
kürliche Zumessen von Rechten muß an dem männlichen Stolze, an der angebor-
nen Menschenwürde Jener scheitern, welchen hiedurch das höchste persönliche Gut,
die freie Selbstbestimmung benommen wird. „Der beschränkte Unterthanenverstand"
ist dnrch die Revolution zu sehr aufgerüttelt worden, ja die östreichische Negierung
selbst hat zu oft in sehr bedrängter Lage an denselben appellirt, als daß die Völ¬
ker vergessen sollten, daß nnr durch ihren Willen, durch das Blut ihrer Söhne
der Staat erhalten wurde. Eine volle selbstständige Betheiligung an dem politi¬
schen Verjüngungswerke wird daher von allen Volksstämmen Oestreichs mit Recht be¬
ansprucht. Diese Forderung mit den Absichten der Negierung, einen starken, ein¬
heitlichen Staat zu schaffen, in Einklang zu bringen, ist also der zweite Theil
jener großen Aufgabe, welche in diesem Augenblicke in die Hände der östreichischen
Staatsmänner gelegt ist. Würde unter diesen ein starker schöpferischer Geist sich
finden, der mit der vollen Hingebung für die Freiheit seines Volkes eine weise
und energische Leitung der Stnatsgeschäfte verbände, dann müßte er „sich an die
Spitze der Bewegung stellend," das Hochgefühl einer großen gemeinsamen Nation
wachrufen, welche aus verschiedenartigen aber lebensfähigen, Elementen zusammen¬
gesetzt ist und eben dadurch eine ewige Triebkraft zu neuen nationalen Schöpfungen
in sich berge. -Im Namen dieser freien Nation müßte* er die Vertrauensmänner
derselben in den Rath berufen, die Gesetze verkündigen und die Politik des Landes
dem Auslande gegenüber mit sicherer Hand bezeichnen. Im Namen dieser freien
Nation müßte er den innern Frieden und die Versöhnung der nationalen Parteiun¬
gen herbeiführen, die Rechte des Staates und des einzelnen Bürgers gegen jeden
Eingriffen schützen wissen, Handel und Gewerbe vom nationalen Standpunkte zu


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[0308] Regeneration und geistige Erhebung der östreichischen Völker, beide Staatszwecke zugleich sollen nun unter der Herrschaft des fürstlich Windischgrätz'schen Schwertes erreicht werden. Eine schwere welthistorische Aufgabe! Der Eine Theil derselben scheint jetzt seiner Lösung nahe zu sein. Der Kaiserstaat wird demnächst in seiner vollen Gestalt, wie er vor dem Ausbruche der Revolution bestanden, hergestellt sein. Sollte aber dies doch nur mit neuen Opfern in den italienischen Provinzen geschehen können, dann muß Oestreich wieder zu gewinnen suchen, was Karl VI. nach vielen glorreichen Siegen seiner Vorgänger zum Schaden seines Reiches an der Donau aufgegeben hatte. Der Besitz der südslavischen Länder, der im Bel¬ grader Frieden 1739 verloren ging, ist sür die Integrität und selbstständige Ent> Wicklung Oestreichs eine politische Nothwendigkeit. Wir werden dies später näher erörtern. Aber, wie gesagt, der Fortbestand des Kaiserstaates scheint nun sür jeden Fall gesichert zu sein. Aber der zweite Theil der Aufgabe? Die Regenera¬ tion, die innere freie Entfaltung des Staatslebens, kann auch diese dnrch die Dicta- tur des Schwerts, dnrch militärische Tagsbefehle vollbracht werden? Mögen die jetzigen Gewalthaber Oestreichs an das tragische Schicksal Josephs II. denken! Die aufgeklärte Despotie, die aufgezwungene Befreiung des Geistes und das will¬ kürliche Zumessen von Rechten muß an dem männlichen Stolze, an der angebor- nen Menschenwürde Jener scheitern, welchen hiedurch das höchste persönliche Gut, die freie Selbstbestimmung benommen wird. „Der beschränkte Unterthanenverstand" ist dnrch die Revolution zu sehr aufgerüttelt worden, ja die östreichische Negierung selbst hat zu oft in sehr bedrängter Lage an denselben appellirt, als daß die Völ¬ ker vergessen sollten, daß nnr durch ihren Willen, durch das Blut ihrer Söhne der Staat erhalten wurde. Eine volle selbstständige Betheiligung an dem politi¬ schen Verjüngungswerke wird daher von allen Volksstämmen Oestreichs mit Recht be¬ ansprucht. Diese Forderung mit den Absichten der Negierung, einen starken, ein¬ heitlichen Staat zu schaffen, in Einklang zu bringen, ist also der zweite Theil jener großen Aufgabe, welche in diesem Augenblicke in die Hände der östreichischen Staatsmänner gelegt ist. Würde unter diesen ein starker schöpferischer Geist sich finden, der mit der vollen Hingebung für die Freiheit seines Volkes eine weise und energische Leitung der Stnatsgeschäfte verbände, dann müßte er „sich an die Spitze der Bewegung stellend," das Hochgefühl einer großen gemeinsamen Nation wachrufen, welche aus verschiedenartigen aber lebensfähigen, Elementen zusammen¬ gesetzt ist und eben dadurch eine ewige Triebkraft zu neuen nationalen Schöpfungen in sich berge. -Im Namen dieser freien Nation müßte* er die Vertrauensmänner derselben in den Rath berufen, die Gesetze verkündigen und die Politik des Landes dem Auslande gegenüber mit sicherer Hand bezeichnen. Im Namen dieser freien Nation müßte er den innern Frieden und die Versöhnung der nationalen Parteiun¬ gen herbeiführen, die Rechte des Staates und des einzelnen Bürgers gegen jeden Eingriffen schützen wissen, Handel und Gewerbe vom nationalen Standpunkte zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/308>, abgerufen am 23.07.2024.