Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.Zeit!" Nun, Ihnen wie mir zur freundlichen Erinnerung, haben wir sie noch 2) Temme. "Der Temme ist wieder frei und geht aus dem Zuchthause Lebhaft steht sie mir vor Augen, diese echte Mohrengestalt! Das wollige Temme gehörte mit Leib und Seele zur äußersten Linken -- am Anfang frei¬ 35*
Zeit!" Nun, Ihnen wie mir zur freundlichen Erinnerung, haben wir sie noch 2) Temme. „Der Temme ist wieder frei und geht aus dem Zuchthause Lebhaft steht sie mir vor Augen, diese echte Mohrengestalt! Das wollige Temme gehörte mit Leib und Seele zur äußersten Linken -- am Anfang frei¬ 35*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278271"/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> Zeit!" Nun, Ihnen wie mir zur freundlichen Erinnerung, haben wir sie noch<lb/> einmal mitsammen durchlaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173"> 2) Temme. „Der Temme ist wieder frei und geht aus dem Zuchthause<lb/> nach der Paulskirche!" — so hallt es in Jubeltvnen durch unsre radicale Presse<lb/> von einem Ende des einigen Deutschlands zum andern. I'und mieux! so ist auch<lb/> die Feder wieder frei! Ein Ultramiuisterium möcht' ich nicht unterstützen bei sei¬<lb/> nen Bestrcbvugc», uns die ganze äußerste Linke der Constituante noch einmal über<lb/> den Hals zu bringen dnrch eben so ungerechte als unpolitische Verfolgungen. Ein<lb/> vortrefflicher Wahlagitator, der Manteuffel! selbst dem Nodbertns hat er glücklich<lb/> aufs Neue einen Sitz in der Kammer verschafft! Wer dachte noch an Rodbertus<lb/> mit seinen germanischen Anträgen? diesen Schlingen, die er im Auftrage des lin¬<lb/> ken Centrums legte, um die Minister wegzufangen und Platz zu machen? Aber<lb/> Manteuffel wollte nun einmal absolut den Rodbertus wieder haben — darum<lb/> wies er ihn aus und flehe! nach diesem einfachen Manöver ist seine Wahl hier<lb/> als gesichert anzusehen! — -</p><lb/> <p xml:id="ID_1174"> Lebhaft steht sie mir vor Augen, diese echte Mohrengestalt! Das wollige<lb/> Haar, die eingedrückte Nase, der lauernde hämische Blick — zum Ueberfluß noch<lb/> die Ohrringe! Und dabei war doch etwas Sanftes, Mildes, fast Vaterländisches<lb/> in Ton und Haltung, während der Mann die revolutionärsten Dinge, die hef¬<lb/> tigsten Anträge vorbrachte! Wer zu ferne saß, um die Worte zu verstehen, mußte<lb/> glauben, er schmeichle dem Ministerium vor ihm und riethe allenthalben zur Sühne -<lb/> und zur Mäßigung. Ich weiß wohl, dieser äußere Schein hatte seinen Grund<lb/> einzig und allein in Temme's körperlicher Constitution und eben nicht mehr zu<lb/> bedeuten, als wenn Waldeck sich „einen ernsten, besonnenen Mann" zu nennen<lb/> beliebte. Herr Temme hat uns selbst in einer Nachtsitznng versichert, er sei nur<lb/> „ein kranker, schwacher Manu": sein ganzes Auftreten bewies es. Mit einem<lb/> leichten Hinken, das ihm im gewöhnlichen Leben nicht eigen war, den Ausdruck<lb/> Physischer Leiden auf dem Gesichte, naht er der Tribüne — langsam steigt er die<lb/> Stufen hinan — ans der obersten strauchelt er, blickt herunter und scharrt einige<lb/> Sandkörner aus dem Wege — dann tritt er vor, gebückt, die Hand aus der<lb/> Brust — nun noch ein leises Hüsteln und dann! es ist wunderbar, wie ein so<lb/> schwaches Wesen so gewaltige Reden halten kann. Unwillkürlich mußte ich immer<lb/> an Couthon gedenken, <M u'it «zue Jo couur ot Ili, töte «les viviwts, in-us ,jul<lb/> leg a Iiiülimts <lo ^»all iotismo!</p><lb/> <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> Temme gehörte mit Leib und Seele zur äußersten Linken -- am Anfang frei¬<lb/> lich nicht so ganz, da er gegen Valdenaire'S Freilassung sprach und, nach der<lb/> empörenden Mißhandlung Sydvw's, am nächsten Sitzungstage gleich ein großes<lb/> Strafdecret, hübsch in Paragraphen eingetheilt, in der Tasche hatte zum Schutze<lb/> der Nationalversammlung. Doch das waren die ersten und letzten Regungen des<lb/> alten Adam, des Juristen, in dem neugeborenen Politiker, nachdem er hier nicht</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 35*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
Zeit!" Nun, Ihnen wie mir zur freundlichen Erinnerung, haben wir sie noch
einmal mitsammen durchlaufen.
2) Temme. „Der Temme ist wieder frei und geht aus dem Zuchthause
nach der Paulskirche!" — so hallt es in Jubeltvnen durch unsre radicale Presse
von einem Ende des einigen Deutschlands zum andern. I'und mieux! so ist auch
die Feder wieder frei! Ein Ultramiuisterium möcht' ich nicht unterstützen bei sei¬
nen Bestrcbvugc», uns die ganze äußerste Linke der Constituante noch einmal über
den Hals zu bringen dnrch eben so ungerechte als unpolitische Verfolgungen. Ein
vortrefflicher Wahlagitator, der Manteuffel! selbst dem Nodbertns hat er glücklich
aufs Neue einen Sitz in der Kammer verschafft! Wer dachte noch an Rodbertus
mit seinen germanischen Anträgen? diesen Schlingen, die er im Auftrage des lin¬
ken Centrums legte, um die Minister wegzufangen und Platz zu machen? Aber
Manteuffel wollte nun einmal absolut den Rodbertus wieder haben — darum
wies er ihn aus und flehe! nach diesem einfachen Manöver ist seine Wahl hier
als gesichert anzusehen! — -
Lebhaft steht sie mir vor Augen, diese echte Mohrengestalt! Das wollige
Haar, die eingedrückte Nase, der lauernde hämische Blick — zum Ueberfluß noch
die Ohrringe! Und dabei war doch etwas Sanftes, Mildes, fast Vaterländisches
in Ton und Haltung, während der Mann die revolutionärsten Dinge, die hef¬
tigsten Anträge vorbrachte! Wer zu ferne saß, um die Worte zu verstehen, mußte
glauben, er schmeichle dem Ministerium vor ihm und riethe allenthalben zur Sühne -
und zur Mäßigung. Ich weiß wohl, dieser äußere Schein hatte seinen Grund
einzig und allein in Temme's körperlicher Constitution und eben nicht mehr zu
bedeuten, als wenn Waldeck sich „einen ernsten, besonnenen Mann" zu nennen
beliebte. Herr Temme hat uns selbst in einer Nachtsitznng versichert, er sei nur
„ein kranker, schwacher Manu": sein ganzes Auftreten bewies es. Mit einem
leichten Hinken, das ihm im gewöhnlichen Leben nicht eigen war, den Ausdruck
Physischer Leiden auf dem Gesichte, naht er der Tribüne — langsam steigt er die
Stufen hinan — ans der obersten strauchelt er, blickt herunter und scharrt einige
Sandkörner aus dem Wege — dann tritt er vor, gebückt, die Hand aus der
Brust — nun noch ein leises Hüsteln und dann! es ist wunderbar, wie ein so
schwaches Wesen so gewaltige Reden halten kann. Unwillkürlich mußte ich immer
an Couthon gedenken, <M u'it «zue Jo couur ot Ili, töte «les viviwts, in-us ,jul
leg a Iiiülimts <lo ^»all iotismo!
Temme gehörte mit Leib und Seele zur äußersten Linken -- am Anfang frei¬
lich nicht so ganz, da er gegen Valdenaire'S Freilassung sprach und, nach der
empörenden Mißhandlung Sydvw's, am nächsten Sitzungstage gleich ein großes
Strafdecret, hübsch in Paragraphen eingetheilt, in der Tasche hatte zum Schutze
der Nationalversammlung. Doch das waren die ersten und letzten Regungen des
alten Adam, des Juristen, in dem neugeborenen Politiker, nachdem er hier nicht
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