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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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durchgerungen und die Linke von Tage zu Tage mächtiger ward, ergab er sich
in sein Schicksal und ward mit unauflöslichen Banden an die Ultras gefesselt,
seitdem ihm diese Opposition dnrch die Ungeschicklichkeit des Ministeriums Auers-
wald zu einer besseren Stelle verhelfen, ohne seine Neuwahl zu verhindern. Nun
lief er mit der Linken durch dick und dünn, beim Jakobyschen Antrag wie beim
Bürgerwehrgesetz. An Redseligkeit und Amendementsjägerei stand er Papa Weich¬
sel würdig zur Seite; man erinnert sich wohl noch, wie er die Nationalgarde zur
"staatlichen" statt zur "gesetzlichen" Ordnung verwandt wissen wollte. Mit Fug
wunderte sich die Rechte, daß einem Jünger der Themis der Ausdruck "gesetzlich"
nicht mehr genügte. Seiner eignen Partei war er verhaßt durch seine Langath-
migkeit, seine trockne juridische Quisquilienkrämerei, und oft genug zog ihn der
lebhafte Elsner am Nockschooße zurück, wenn er die Versammlung eben wieder
mit einer .Erinnerung zum Protokolle oder ähnlichen wichtigen Dingen zu beglücken
gedachte. Für die Tribüne war er eine wahre Qual durch Langweiligkeit und
Weitschweifigkeit: "ach, Herr Temme, wenn Sie erst wieder in Münster wären!"
-- seufzte einst ein niedlich Mädchen neben mir. Ein Unglück war eS jedenfalls,
daß die Berathungen über Abschaffung der Todesstrafe gerade in seine Abwesen¬
heit fielen, sonst wäre dies Gesetz vor lauter Verbesscrungsanträgen niemals zu
Stande gekommen und ein Zankapfel weniger da gewesen zwischen Krone und
Constituante. --

Dabei war jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen Weichsel und Temme.
Der erste war ein gutmüthiger Poltrer voll Eigendünkel, dem Reden und Schrei¬
ben nun einmal Bedürfniß ist; bei Temme dagegen guckte überall durch die Maske
des gravitätischen Patrioten der nackte, verbissene Egoist hindurch, der sich selber
einziger Zweck war und sich uicht genng beachtet glaubte. Was er durch geniale
Gedanken nicht zu erreichen vermochte, das wollt' er dnrch Aufdringlichkeit, Af-
fektirtheit und allerlei Sonderlichkeiten bewirken, auch der beharrlichen Trivialität
wohnt eine gewisse Macht inne und sie sollt' ihm ersetzen den Mangel an geistiger
Kraft. Das ist die eigentliche Bedeutung seines ganzen Benehmens; dieselbe
grämliche Eitelkeit in jedem Zuge, vom gezierten Hinken und Hüsteln bis zu den
längsten Reden und Zänkereien über die Fragestellung.^ Davon nur ein Beispiel.
Als Gredel seinen plumpen Antrag stellte auf Ausschließung Ancrswalds, Hanse-
mannS, Gierkes, weil sie von Ministern zu andern Posten befördert seien:
da erklärte Temme, uicht anstimmen zu wolle", indem ihn dies Cabinet wider
seinen Willen versetzt, und verließ mit vielem Geräusch die Versammlung, obgleich
Jedermann wußte, daß kaum die äußerste Linke den Vorschlag unterstützen würde.
Ueber den ehrlichen Weichsel mußte man bei allem Gähnen doch manchmal lachen:
Temme war widerlich -- am widerlichsten, wenn er Feuer und Begeisterung heu¬
chelte, die der trockenen Pcmdektenseele so völlig fremd sind. Bei diesen Versu¬
chen kamen dem armen Mann stets noch äußere Zufälligkeiten in die Quere, es


durchgerungen und die Linke von Tage zu Tage mächtiger ward, ergab er sich
in sein Schicksal und ward mit unauflöslichen Banden an die Ultras gefesselt,
seitdem ihm diese Opposition dnrch die Ungeschicklichkeit des Ministeriums Auers-
wald zu einer besseren Stelle verhelfen, ohne seine Neuwahl zu verhindern. Nun
lief er mit der Linken durch dick und dünn, beim Jakobyschen Antrag wie beim
Bürgerwehrgesetz. An Redseligkeit und Amendementsjägerei stand er Papa Weich¬
sel würdig zur Seite; man erinnert sich wohl noch, wie er die Nationalgarde zur
„staatlichen" statt zur „gesetzlichen" Ordnung verwandt wissen wollte. Mit Fug
wunderte sich die Rechte, daß einem Jünger der Themis der Ausdruck „gesetzlich"
nicht mehr genügte. Seiner eignen Partei war er verhaßt durch seine Langath-
migkeit, seine trockne juridische Quisquilienkrämerei, und oft genug zog ihn der
lebhafte Elsner am Nockschooße zurück, wenn er die Versammlung eben wieder
mit einer .Erinnerung zum Protokolle oder ähnlichen wichtigen Dingen zu beglücken
gedachte. Für die Tribüne war er eine wahre Qual durch Langweiligkeit und
Weitschweifigkeit: „ach, Herr Temme, wenn Sie erst wieder in Münster wären!"
— seufzte einst ein niedlich Mädchen neben mir. Ein Unglück war eS jedenfalls,
daß die Berathungen über Abschaffung der Todesstrafe gerade in seine Abwesen¬
heit fielen, sonst wäre dies Gesetz vor lauter Verbesscrungsanträgen niemals zu
Stande gekommen und ein Zankapfel weniger da gewesen zwischen Krone und
Constituante. —

Dabei war jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen Weichsel und Temme.
Der erste war ein gutmüthiger Poltrer voll Eigendünkel, dem Reden und Schrei¬
ben nun einmal Bedürfniß ist; bei Temme dagegen guckte überall durch die Maske
des gravitätischen Patrioten der nackte, verbissene Egoist hindurch, der sich selber
einziger Zweck war und sich uicht genng beachtet glaubte. Was er durch geniale
Gedanken nicht zu erreichen vermochte, das wollt' er dnrch Aufdringlichkeit, Af-
fektirtheit und allerlei Sonderlichkeiten bewirken, auch der beharrlichen Trivialität
wohnt eine gewisse Macht inne und sie sollt' ihm ersetzen den Mangel an geistiger
Kraft. Das ist die eigentliche Bedeutung seines ganzen Benehmens; dieselbe
grämliche Eitelkeit in jedem Zuge, vom gezierten Hinken und Hüsteln bis zu den
längsten Reden und Zänkereien über die Fragestellung.^ Davon nur ein Beispiel.
Als Gredel seinen plumpen Antrag stellte auf Ausschließung Ancrswalds, Hanse-
mannS, Gierkes, weil sie von Ministern zu andern Posten befördert seien:
da erklärte Temme, uicht anstimmen zu wolle», indem ihn dies Cabinet wider
seinen Willen versetzt, und verließ mit vielem Geräusch die Versammlung, obgleich
Jedermann wußte, daß kaum die äußerste Linke den Vorschlag unterstützen würde.
Ueber den ehrlichen Weichsel mußte man bei allem Gähnen doch manchmal lachen:
Temme war widerlich — am widerlichsten, wenn er Feuer und Begeisterung heu¬
chelte, die der trockenen Pcmdektenseele so völlig fremd sind. Bei diesen Versu¬
chen kamen dem armen Mann stets noch äußere Zufälligkeiten in die Quere, es


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[0284] durchgerungen und die Linke von Tage zu Tage mächtiger ward, ergab er sich in sein Schicksal und ward mit unauflöslichen Banden an die Ultras gefesselt, seitdem ihm diese Opposition dnrch die Ungeschicklichkeit des Ministeriums Auers- wald zu einer besseren Stelle verhelfen, ohne seine Neuwahl zu verhindern. Nun lief er mit der Linken durch dick und dünn, beim Jakobyschen Antrag wie beim Bürgerwehrgesetz. An Redseligkeit und Amendementsjägerei stand er Papa Weich¬ sel würdig zur Seite; man erinnert sich wohl noch, wie er die Nationalgarde zur „staatlichen" statt zur „gesetzlichen" Ordnung verwandt wissen wollte. Mit Fug wunderte sich die Rechte, daß einem Jünger der Themis der Ausdruck „gesetzlich" nicht mehr genügte. Seiner eignen Partei war er verhaßt durch seine Langath- migkeit, seine trockne juridische Quisquilienkrämerei, und oft genug zog ihn der lebhafte Elsner am Nockschooße zurück, wenn er die Versammlung eben wieder mit einer .Erinnerung zum Protokolle oder ähnlichen wichtigen Dingen zu beglücken gedachte. Für die Tribüne war er eine wahre Qual durch Langweiligkeit und Weitschweifigkeit: „ach, Herr Temme, wenn Sie erst wieder in Münster wären!" — seufzte einst ein niedlich Mädchen neben mir. Ein Unglück war eS jedenfalls, daß die Berathungen über Abschaffung der Todesstrafe gerade in seine Abwesen¬ heit fielen, sonst wäre dies Gesetz vor lauter Verbesscrungsanträgen niemals zu Stande gekommen und ein Zankapfel weniger da gewesen zwischen Krone und Constituante. — Dabei war jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen Weichsel und Temme. Der erste war ein gutmüthiger Poltrer voll Eigendünkel, dem Reden und Schrei¬ ben nun einmal Bedürfniß ist; bei Temme dagegen guckte überall durch die Maske des gravitätischen Patrioten der nackte, verbissene Egoist hindurch, der sich selber einziger Zweck war und sich uicht genng beachtet glaubte. Was er durch geniale Gedanken nicht zu erreichen vermochte, das wollt' er dnrch Aufdringlichkeit, Af- fektirtheit und allerlei Sonderlichkeiten bewirken, auch der beharrlichen Trivialität wohnt eine gewisse Macht inne und sie sollt' ihm ersetzen den Mangel an geistiger Kraft. Das ist die eigentliche Bedeutung seines ganzen Benehmens; dieselbe grämliche Eitelkeit in jedem Zuge, vom gezierten Hinken und Hüsteln bis zu den längsten Reden und Zänkereien über die Fragestellung.^ Davon nur ein Beispiel. Als Gredel seinen plumpen Antrag stellte auf Ausschließung Ancrswalds, Hanse- mannS, Gierkes, weil sie von Ministern zu andern Posten befördert seien: da erklärte Temme, uicht anstimmen zu wolle», indem ihn dies Cabinet wider seinen Willen versetzt, und verließ mit vielem Geräusch die Versammlung, obgleich Jedermann wußte, daß kaum die äußerste Linke den Vorschlag unterstützen würde. Ueber den ehrlichen Weichsel mußte man bei allem Gähnen doch manchmal lachen: Temme war widerlich — am widerlichsten, wenn er Feuer und Begeisterung heu¬ chelte, die der trockenen Pcmdektenseele so völlig fremd sind. Bei diesen Versu¬ chen kamen dem armen Mann stets noch äußere Zufälligkeiten in die Quere, es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/284>, abgerufen am 26.08.2024.