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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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lich -- aber Sie wollen dem Herrn Minister nicht vorgreifen, der um ja anch
für Sie schon sorgen wird, da die böse Zeit vorüber ist; Sie können Sich recht
innig erfreuen an dein Anblicke der muntern Rehe und Hirsche -- aber Sie be¬
greisen auch, daß der arme Bauer nur Ungeziefer in ihnen sieht, ja, selbst die
Frankfurter Mörder vom 14. September hassen Sie nicht. Nur die That verab¬
scheuen Sie, nicht die Thäter. Wissen Sie noch? es war einer Ihrer glänzend¬
sten Kanzelvortrage, nnr holten Sie etwas zu weit aus. Sie sagten, es gäbe
Besitzende und Besitzlose -- doch meinten Sie nicht Reichthum oder Armuth an
irdischen, sondern an himmlischen Gütern, an Tugend und Rechtschaffenheit. Dann
kamen Sie in einen herrlichen Erguß, in dem jeder Satz begann: ich weiß
wohl -- worüber der ehrliche Michel Mroß dermaßen erstaunte, daß er verwun¬
dert ausrief: Der weiß aber auch Alles! Der Präsident rief den' unschuldigen
Michel zur Ordnung, allein Sie geriethen gänzlich aus dem Concept. Freilich
traf Ihr liebreiches, duldsames Wesen nicht immer mit gleichfühlender Seelen zu¬
sammen. In der Nachtsitzung vom 12. Juni, 12. November standen wir um
das Büffet des Schützenhauses und schimpften weidlich auf die Soldaten. Da
traten Sie zu uns, in der linken Hand eine Schinkenstolle und mit der rechten
lebhaft gestikulirend, "das ist ja eben das Sündhafte in dem Beginnen jener
Menschen, daß sie diese armen unkundigen Burschen vom Lande, die sich durch
ihren Eid gebunden glauben, mißbrauchen zu solchen unerhörten Thaten." Da
schlug Sie der wilde Rüge auf die Schulter: "wer ist dran Schuld, als Ihr
Pfaffen? wer anders hat den Jungen den Firlefanz beigebracht?" ^- Noch seh
ich Ihr erstauntes Gesicht, Ihr unwilliges Kopfschütteln ob der frivolen Rede --
beinahe wär' Ihnen die Schinkenstolle entfallen und eilig traten Sie aus unserm
Kreise. Vielleicht war der Vorfall die Strafe dafür, daß zum ersten Male in
Ihrem Leben, Haß und Rachsucht Ihr Herz beschlichen gegen den bösen Man-
teuffel. --- Noch ein anderes Scherzhaftes Intermezzo danken wir Ihrer Näch¬
stenliebe. Durch die Hetzereien aus einem Locale in's andere, durch die unaus¬
gesetzten Tag- und Nachtberathungen, die unerträgliche Spannung war die phy¬
sische Kraft der meisten Deputaten' gebrochen, die nervöse Aufregung auf's Höchste
gestiegen. Bei einigen kam noch die aufrichtige Sorge um's Vaterland, die Un¬
gewißheit über ihre Pflicht in diesem Conflicte hinzu. Unter diesen befand sich
Schulze ans Minden, welcher der Krone nicht Recht geben konnte und dem Radica-
lismus nicht zum Siege verhelfen wollte. Mit mehren andern Deputirten saß er
vor einer Sitzung im köuigsstädtischen Castro, in sich zusammengesunken, absor-
birt von seinen Gedanken. Plötzlich tönt es in sein Ohr: "Schulze! Sie sind
gewiß hungrig -- kommen Sie, wir wollen theilen." Verstört blickt der Ange¬
redete auf, vor ihm steht Uhlich mit einem großen Butterschnitte! --

Ja, ja, Herr Pastor, wir haben hier gute und böse Tage verlebt, und wenn
ich Alles so recht bedenke, ruf ich mit Ihnen aus: "es war doch eine schöne


lich — aber Sie wollen dem Herrn Minister nicht vorgreifen, der um ja anch
für Sie schon sorgen wird, da die böse Zeit vorüber ist; Sie können Sich recht
innig erfreuen an dein Anblicke der muntern Rehe und Hirsche — aber Sie be¬
greisen auch, daß der arme Bauer nur Ungeziefer in ihnen sieht, ja, selbst die
Frankfurter Mörder vom 14. September hassen Sie nicht. Nur die That verab¬
scheuen Sie, nicht die Thäter. Wissen Sie noch? es war einer Ihrer glänzend¬
sten Kanzelvortrage, nnr holten Sie etwas zu weit aus. Sie sagten, es gäbe
Besitzende und Besitzlose — doch meinten Sie nicht Reichthum oder Armuth an
irdischen, sondern an himmlischen Gütern, an Tugend und Rechtschaffenheit. Dann
kamen Sie in einen herrlichen Erguß, in dem jeder Satz begann: ich weiß
wohl — worüber der ehrliche Michel Mroß dermaßen erstaunte, daß er verwun¬
dert ausrief: Der weiß aber auch Alles! Der Präsident rief den' unschuldigen
Michel zur Ordnung, allein Sie geriethen gänzlich aus dem Concept. Freilich
traf Ihr liebreiches, duldsames Wesen nicht immer mit gleichfühlender Seelen zu¬
sammen. In der Nachtsitzung vom 12. Juni, 12. November standen wir um
das Büffet des Schützenhauses und schimpften weidlich auf die Soldaten. Da
traten Sie zu uns, in der linken Hand eine Schinkenstolle und mit der rechten
lebhaft gestikulirend, „das ist ja eben das Sündhafte in dem Beginnen jener
Menschen, daß sie diese armen unkundigen Burschen vom Lande, die sich durch
ihren Eid gebunden glauben, mißbrauchen zu solchen unerhörten Thaten." Da
schlug Sie der wilde Rüge auf die Schulter: „wer ist dran Schuld, als Ihr
Pfaffen? wer anders hat den Jungen den Firlefanz beigebracht?" ^- Noch seh
ich Ihr erstauntes Gesicht, Ihr unwilliges Kopfschütteln ob der frivolen Rede —
beinahe wär' Ihnen die Schinkenstolle entfallen und eilig traten Sie aus unserm
Kreise. Vielleicht war der Vorfall die Strafe dafür, daß zum ersten Male in
Ihrem Leben, Haß und Rachsucht Ihr Herz beschlichen gegen den bösen Man-
teuffel. -— Noch ein anderes Scherzhaftes Intermezzo danken wir Ihrer Näch¬
stenliebe. Durch die Hetzereien aus einem Locale in's andere, durch die unaus¬
gesetzten Tag- und Nachtberathungen, die unerträgliche Spannung war die phy¬
sische Kraft der meisten Deputaten' gebrochen, die nervöse Aufregung auf's Höchste
gestiegen. Bei einigen kam noch die aufrichtige Sorge um's Vaterland, die Un¬
gewißheit über ihre Pflicht in diesem Conflicte hinzu. Unter diesen befand sich
Schulze ans Minden, welcher der Krone nicht Recht geben konnte und dem Radica-
lismus nicht zum Siege verhelfen wollte. Mit mehren andern Deputirten saß er
vor einer Sitzung im köuigsstädtischen Castro, in sich zusammengesunken, absor-
birt von seinen Gedanken. Plötzlich tönt es in sein Ohr: „Schulze! Sie sind
gewiß hungrig — kommen Sie, wir wollen theilen." Verstört blickt der Ange¬
redete auf, vor ihm steht Uhlich mit einem großen Butterschnitte! —

Ja, ja, Herr Pastor, wir haben hier gute und böse Tage verlebt, und wenn
ich Alles so recht bedenke, ruf ich mit Ihnen aus: „es war doch eine schöne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/282>, abgerufen am 23.07.2024.