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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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hat man anderwärts, wo man auf Preußen auch nicht besonders gut zu
sprechen ist, doch neben einer Masse organischer Einrichtungen von der größten
Wichtigkeit im Heerwesen auch mehrere äußerliche Tinge in Kleidung und Bewaff¬
nung herübergenommen, die sich dort erprobt hatten, unter andern, die famosen
Pickelhauben, welche, nebenbei bemerkt, jedenfalls ein charakteristisches Moment
für die Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens sind. In Baiern schleppen
sich die Soldaten noch immer mit der lächerlichsten und unpractischstcn Kopf¬
bedeckung von der Welt, dem sogenannten Casquet. Vor einigen Jahren wagte
ein hochgestellter Militär den Vorschlag, es mit der Pickelhaube zu vertauschen.
Das wurde aber mit großer Entrüstung im Heere aufgenommen und ziemlich
brüsk gegen jene Ausgeburt der preußischen Windbeutelei protestirt; es blieb beim
Alten, und den Baiern das süße nationale Bewußtsein, fünf Pfund mehr auf
dein Kopfe zu tragen, als die Preußen.

König Ludwig, der bekanntlich ein äußerst genauer Haushalter war, soweit
es nicht der Befriedigung seiner wirklich nobeln Passionen galt, wofür er denn
auch keine Ausgabe scheute, sparte an der Armee, wo und wie er konnte. Die
für Kanonen und Neuville bestimmten Summen verwandelten sich mehr als ein¬
mal in Marmorsäulen und Erzstatuen und es ging so weit, daß er im Herbste
1840 bei den damaligen kriegerischen Aussichten von Bundes wegen dringend an
die Erfüllung seiner Verpflichtungen gemahnt werden mußte. Seitdem geschah
dies und jenes für die Completirung des Heers, aber seine wahre Reorganisation
datirt sich erst von dem Regierungsantritt des jetzigen Königs. Im Augenblick
mag es ungefähr die doppelte Stärke seines früheren Bestandes erreicht haben
und binnen kurzem vielleicht die dreifache - d. h. nahe an 100,000 Mann. --
Für die Größe der Bevölkerung ist das nicht verhältnißmäßig viel, wenn man
bedenkt, daß Baiern fast eben so viele Einwohner als die sardinischen Staaten
zählt, etwa 4 l-Millionen. Aber die plötzliche Vermehrung, namentlich unter dem
Drucke der jetzigen Lage dürfte doch die Kräfte des Landes übersteigen. - Na¬
türlich ist das Selbstgefühl der Armee mit jedem neu errichteten Bataillone gewach¬
sen, und die glänzenden Erinnerungen aus der Rheinbundszcit, die noch vor we¬
nig Jahren ein beschämender Contrast mit dem gegenwärtigen Zustand waren, tre¬
ten wieder mit der alten bairischen Selbstgenügsamkeit in den Vordergrund, und
mit ihnen eine trotzige Feindseligkeit gegen Deutschland, namentlich gegen Preußen,
welche durch die seit 1814 vermeintlich erlittene Erniedrigung der bairischen Wassen-
ehre an Bitterkeit nnr zugenommen hat. -- Man lasse sich nicht durch einzelne
patriotische Aeußerungen täuschen, wie sie in -dem letzten Sommer hie und da im
bairischen Heere laut wurden. Und ohnedem sind diese jetzt schon wieder verstummt.
Das alte abstracte Lanzknechtthum und die particuläre Wasseuehre, die Beide uach
ihren Tendenzen gleich entschieden gegen jede concrete Durchführung der Einheit
Protestiren müssen und eS bis zum Ende der Tage nicht anders thun werden, ste--


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hat man anderwärts, wo man auf Preußen auch nicht besonders gut zu
sprechen ist, doch neben einer Masse organischer Einrichtungen von der größten
Wichtigkeit im Heerwesen auch mehrere äußerliche Tinge in Kleidung und Bewaff¬
nung herübergenommen, die sich dort erprobt hatten, unter andern, die famosen
Pickelhauben, welche, nebenbei bemerkt, jedenfalls ein charakteristisches Moment
für die Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens sind. In Baiern schleppen
sich die Soldaten noch immer mit der lächerlichsten und unpractischstcn Kopf¬
bedeckung von der Welt, dem sogenannten Casquet. Vor einigen Jahren wagte
ein hochgestellter Militär den Vorschlag, es mit der Pickelhaube zu vertauschen.
Das wurde aber mit großer Entrüstung im Heere aufgenommen und ziemlich
brüsk gegen jene Ausgeburt der preußischen Windbeutelei protestirt; es blieb beim
Alten, und den Baiern das süße nationale Bewußtsein, fünf Pfund mehr auf
dein Kopfe zu tragen, als die Preußen.

König Ludwig, der bekanntlich ein äußerst genauer Haushalter war, soweit
es nicht der Befriedigung seiner wirklich nobeln Passionen galt, wofür er denn
auch keine Ausgabe scheute, sparte an der Armee, wo und wie er konnte. Die
für Kanonen und Neuville bestimmten Summen verwandelten sich mehr als ein¬
mal in Marmorsäulen und Erzstatuen und es ging so weit, daß er im Herbste
1840 bei den damaligen kriegerischen Aussichten von Bundes wegen dringend an
die Erfüllung seiner Verpflichtungen gemahnt werden mußte. Seitdem geschah
dies und jenes für die Completirung des Heers, aber seine wahre Reorganisation
datirt sich erst von dem Regierungsantritt des jetzigen Königs. Im Augenblick
mag es ungefähr die doppelte Stärke seines früheren Bestandes erreicht haben
und binnen kurzem vielleicht die dreifache - d. h. nahe an 100,000 Mann. —
Für die Größe der Bevölkerung ist das nicht verhältnißmäßig viel, wenn man
bedenkt, daß Baiern fast eben so viele Einwohner als die sardinischen Staaten
zählt, etwa 4 l-Millionen. Aber die plötzliche Vermehrung, namentlich unter dem
Drucke der jetzigen Lage dürfte doch die Kräfte des Landes übersteigen. - Na¬
türlich ist das Selbstgefühl der Armee mit jedem neu errichteten Bataillone gewach¬
sen, und die glänzenden Erinnerungen aus der Rheinbundszcit, die noch vor we¬
nig Jahren ein beschämender Contrast mit dem gegenwärtigen Zustand waren, tre¬
ten wieder mit der alten bairischen Selbstgenügsamkeit in den Vordergrund, und
mit ihnen eine trotzige Feindseligkeit gegen Deutschland, namentlich gegen Preußen,
welche durch die seit 1814 vermeintlich erlittene Erniedrigung der bairischen Wassen-
ehre an Bitterkeit nnr zugenommen hat. — Man lasse sich nicht durch einzelne
patriotische Aeußerungen täuschen, wie sie in -dem letzten Sommer hie und da im
bairischen Heere laut wurden. Und ohnedem sind diese jetzt schon wieder verstummt.
Das alte abstracte Lanzknechtthum und die particuläre Wasseuehre, die Beide uach
ihren Tendenzen gleich entschieden gegen jede concrete Durchführung der Einheit
Protestiren müssen und eS bis zum Ende der Tage nicht anders thun werden, ste--


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/267>, abgerufen am 23.12.2024.