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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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hen dort in üppigster Blüthe, und ich fürchte sehr, ihre giftigen Früchte werden
uns nicht erspart werden.

Es ist jammervoll genug, daß so schöne und brauchbare Kräfte vor der Hand
noch so ganz im Dienste feindseliger Mächte stehen. Denn abgesehn von der im¬
posanten Zahl, ist das Heer auch seiner innern Tüchtigkeit nach zu den besten
Truppen der Welt zu zählen. So ist wenigstens das einstimmige Urtheil der
Männer vom Fache außerhalb Baiern. Gewiß gibt es in Deutschland kaum eine
bessere Waffe, als die bairische Artillerie; an Zähigkeit und Ausdauer übertrifft
die Infanterie wahrscheinlich die preußische und die Kavallerie dürfte nur der öst¬
reichischen nachstehn. Die Offiziere sind meist schlichte, verständige Leute und dem
Gamaschendienst selbst im Frieden lange nicht so ergeben gewesen, wie anderswo.
Ihre wissenschaftliche Ausbildung mag wohl manchmal etwas zu wünschen übrig
lassen, doch glaube ich uicht, daß ihrer Brauchbarkeit, da wo es gilt, dadurch
Eintrag geschieht. Der gemeine Mann ist bei ausgezeichneter physischer Befä¬
higung für den Kriegsdienst -- dies gilt namentlich von den eigentlichen Alt-
baiern, die darin fast alle übrigen deutschen Stämme übertreffen -- geistig ganz
und gar von dem Officier abhängig, zu dem er meist in einem leidlichen Ver¬
hältniß steht. Eine gewisse derbe Behandlung ist seinem Naturell angemessen, und
wirkt keineswegs so störend, wie sie bei einer anderen Armee wirken würde. Kurz
die Worte König Ludwigs bei der Einweihung der Kolossaldenkmäler der bairischen
Soldatenideale Tilly und Wrede: "Meine Baiern werden unter allen Umständen
tapfer fechten gegen Jedermann" sind noch heute der vollkommen richtige Aus¬
druck der Stimmung des Heeres; und das allertraurigste dabei ist, daß "der
Jedermann" gegen welchen sie am liebsten und tapfersten fechten würden,
Deutsche sind.

Man hüte sich also wohl, diesen Verbündeten des Systems zu niedrig zu ta-
xiren, wie es in Norddeutschland zu geschehen pflegt.

Dagegen wird ein anderer desto maßloser überschätzt, dies ist der Ultramon¬
tanismus. An und für sich schon ist ein Bundesgenosse, auf den man sich nicht
unter allen Umständen verlassen kann, nicht viel werth, und daß Combinationen
eintreten können, wo die Interessen der bairischen Politik und die seinigen dia¬
metral auseinanderlaufen müssen, ist wohl jedem einleuchtend. Auch ohne daß es
uns die Herrn Philipps und Döllinger mit ausdrücklichen Worten zu versichern
nöthig gehabt hätten, haben wir alle gewußt, daß die katholische Kirche mit jedem
politischen System nur einstweilige Verbindungen einzugehn gewohnt ist, d. h. so
lange bis ihr von anders woher vortheilhaftere Erbietnngen gemacht wurden. Und
selbst so lange die Verbindung dauert, ist an eine unbedingte Hingabe der Kräfte,
die der Partei zu Gebote stehn, niemals zu denken. Darüber hat König Ludwig
sehr eindringliche Erfahrungen gemacht, und sein unbegreiflicher Irrthum in die¬
sem Punkte war die eigentliche Triebfeder der fatalen tzatastrophe, die ihm den


hen dort in üppigster Blüthe, und ich fürchte sehr, ihre giftigen Früchte werden
uns nicht erspart werden.

Es ist jammervoll genug, daß so schöne und brauchbare Kräfte vor der Hand
noch so ganz im Dienste feindseliger Mächte stehen. Denn abgesehn von der im¬
posanten Zahl, ist das Heer auch seiner innern Tüchtigkeit nach zu den besten
Truppen der Welt zu zählen. So ist wenigstens das einstimmige Urtheil der
Männer vom Fache außerhalb Baiern. Gewiß gibt es in Deutschland kaum eine
bessere Waffe, als die bairische Artillerie; an Zähigkeit und Ausdauer übertrifft
die Infanterie wahrscheinlich die preußische und die Kavallerie dürfte nur der öst¬
reichischen nachstehn. Die Offiziere sind meist schlichte, verständige Leute und dem
Gamaschendienst selbst im Frieden lange nicht so ergeben gewesen, wie anderswo.
Ihre wissenschaftliche Ausbildung mag wohl manchmal etwas zu wünschen übrig
lassen, doch glaube ich uicht, daß ihrer Brauchbarkeit, da wo es gilt, dadurch
Eintrag geschieht. Der gemeine Mann ist bei ausgezeichneter physischer Befä¬
higung für den Kriegsdienst — dies gilt namentlich von den eigentlichen Alt-
baiern, die darin fast alle übrigen deutschen Stämme übertreffen — geistig ganz
und gar von dem Officier abhängig, zu dem er meist in einem leidlichen Ver¬
hältniß steht. Eine gewisse derbe Behandlung ist seinem Naturell angemessen, und
wirkt keineswegs so störend, wie sie bei einer anderen Armee wirken würde. Kurz
die Worte König Ludwigs bei der Einweihung der Kolossaldenkmäler der bairischen
Soldatenideale Tilly und Wrede: „Meine Baiern werden unter allen Umständen
tapfer fechten gegen Jedermann" sind noch heute der vollkommen richtige Aus¬
druck der Stimmung des Heeres; und das allertraurigste dabei ist, daß „der
Jedermann" gegen welchen sie am liebsten und tapfersten fechten würden,
Deutsche sind.

Man hüte sich also wohl, diesen Verbündeten des Systems zu niedrig zu ta-
xiren, wie es in Norddeutschland zu geschehen pflegt.

Dagegen wird ein anderer desto maßloser überschätzt, dies ist der Ultramon¬
tanismus. An und für sich schon ist ein Bundesgenosse, auf den man sich nicht
unter allen Umständen verlassen kann, nicht viel werth, und daß Combinationen
eintreten können, wo die Interessen der bairischen Politik und die seinigen dia¬
metral auseinanderlaufen müssen, ist wohl jedem einleuchtend. Auch ohne daß es
uns die Herrn Philipps und Döllinger mit ausdrücklichen Worten zu versichern
nöthig gehabt hätten, haben wir alle gewußt, daß die katholische Kirche mit jedem
politischen System nur einstweilige Verbindungen einzugehn gewohnt ist, d. h. so
lange bis ihr von anders woher vortheilhaftere Erbietnngen gemacht wurden. Und
selbst so lange die Verbindung dauert, ist an eine unbedingte Hingabe der Kräfte,
die der Partei zu Gebote stehn, niemals zu denken. Darüber hat König Ludwig
sehr eindringliche Erfahrungen gemacht, und sein unbegreiflicher Irrthum in die¬
sem Punkte war die eigentliche Triebfeder der fatalen tzatastrophe, die ihm den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/268>, abgerufen am 23.07.2024.