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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ständiges zu sein, ihre Interessen haben mit Baiern wenig gemein, Franken und
die schwäbischen Theile hängen an allen Richtungen Deutschlands eben so sehr,
als an München, und es bedarf nur eines leisen Druckes, sie abzulösen von den
Fäden, die zwischen ihnen und dem frommen Bairischen Hochlande gesponnen sind.
Baiern besteht aus Provinzen, es ist allerdings ein Staat, aber auch sein Leben
ist uur scheinbar, es fehlt ihm die Seele, welche die verschiedenartigen Glieder
verbindet, eine Idee und Aufgabe, welche sich über den gesonderten Interessen der
einzelnen Theile erhebt und diese adelt. Baiern ist nichts, als ein zufälliges
Conglomerat von Landestrümmern. Daraus könnte wohl ein starkes Volk, ein
wirklicher Staat hervorgehen, wenn seine Lage so wäre, daß es frei die Arme
regen könnte; wie es aber liegt zwischen Oestreich und deutschen Vereinsländern,
kann es ohne Anschluß nicht bestehen, und seine Wahl ist nur, ob es mit Auf¬
opferung von Rheinbaiern sich an Oestreich legen will, -- dann wird es wie
Portugal! bald als eine ausgequetschte Citrone unter dem Fuß seiner Bundesge-
nossen liegen, und wird sich auflösen in Altbaiern, welches zu Oestreich stehen
wird, und in den größten nördlichen Theil, welcher den Verband mit dem Pro¬
testantismus und den freieren Staatsformen des Bundes nicht aufgeben kann, -
oder ob es sich mit der neuen Bildung und Preußen ehrlich und schnell befreun¬
den will. Noch hat es die Wahl, wenn aber Baiern durch seine abweichende
Politik eine Vereinigung der deutschen Stämme vorläufig verhindern sollte, wenn
erst Altbaiern östreichisch geworden ist, dann wird Franken preußisch, von selbst, ohne
Soldaten, nicht weil es uns besonders liebt, sondern weil es muß. Das wissen
wir in Berlin, man ahnt etwas Aehnliches in München, und deshalb ist an der
Opposition der gutmüthigen bairischen Deputieren in Frankfurt wenig gelegen.
Wir wissen, auch Baiern ist als Staat eine Lüge, etwas werden kann es nur in
Verbindung mit den Nachbarn.

Und Preußen selbst? Ist denn sein Staatsbäu stark und kräftig, Abrundung
in seinem Gebiet, Einheit in den höchsten Interessen seiner Landestheile? Ist
Pr.'nßcn selbst ein Staat, der, wie er jetzt ist, Dauer und eine Zukunft verspricht?
Es gehört kein großer Witz dazu, diese Frage mit " nein" zu beantworten, aber
es ist doch ein kleiner Unterschied zwischen der Bedeutung Preußens und dem
übrigen Gebiete Deutschlands. Preußen ist trotz seiner zerrissenen Grenzen, sei¬
ner unvollständigen Arrondirung in Wirklichkeit ein Staat, mit einer Vergangen¬
heit, einem nationalen Bewußtsein, einer leitenden Idee. Sein Mangel aber ist
gerade der, daß seine Idee größer ist, als sein gegenwärtiges Gebiet, -- so groß
als Deutschland. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir unsere Vergangenheit, viele
unserer Gewöhnungen, unser trotziges Selbstgefühl opfern sollten, um das Ideal
eines freien Deutschlands, welches in allen Gauen als Traumgebilde lebt, an des¬
sen Realisirung wir aber bereits gearbeitet haben, in die Wirklichkeit umzusetzen.
Wir wollen das Opfer bringen , weil es eine Nothwendigkeit ist für Alle, guch


ständiges zu sein, ihre Interessen haben mit Baiern wenig gemein, Franken und
die schwäbischen Theile hängen an allen Richtungen Deutschlands eben so sehr,
als an München, und es bedarf nur eines leisen Druckes, sie abzulösen von den
Fäden, die zwischen ihnen und dem frommen Bairischen Hochlande gesponnen sind.
Baiern besteht aus Provinzen, es ist allerdings ein Staat, aber auch sein Leben
ist uur scheinbar, es fehlt ihm die Seele, welche die verschiedenartigen Glieder
verbindet, eine Idee und Aufgabe, welche sich über den gesonderten Interessen der
einzelnen Theile erhebt und diese adelt. Baiern ist nichts, als ein zufälliges
Conglomerat von Landestrümmern. Daraus könnte wohl ein starkes Volk, ein
wirklicher Staat hervorgehen, wenn seine Lage so wäre, daß es frei die Arme
regen könnte; wie es aber liegt zwischen Oestreich und deutschen Vereinsländern,
kann es ohne Anschluß nicht bestehen, und seine Wahl ist nur, ob es mit Auf¬
opferung von Rheinbaiern sich an Oestreich legen will, — dann wird es wie
Portugal! bald als eine ausgequetschte Citrone unter dem Fuß seiner Bundesge-
nossen liegen, und wird sich auflösen in Altbaiern, welches zu Oestreich stehen
wird, und in den größten nördlichen Theil, welcher den Verband mit dem Pro¬
testantismus und den freieren Staatsformen des Bundes nicht aufgeben kann, -
oder ob es sich mit der neuen Bildung und Preußen ehrlich und schnell befreun¬
den will. Noch hat es die Wahl, wenn aber Baiern durch seine abweichende
Politik eine Vereinigung der deutschen Stämme vorläufig verhindern sollte, wenn
erst Altbaiern östreichisch geworden ist, dann wird Franken preußisch, von selbst, ohne
Soldaten, nicht weil es uns besonders liebt, sondern weil es muß. Das wissen
wir in Berlin, man ahnt etwas Aehnliches in München, und deshalb ist an der
Opposition der gutmüthigen bairischen Deputieren in Frankfurt wenig gelegen.
Wir wissen, auch Baiern ist als Staat eine Lüge, etwas werden kann es nur in
Verbindung mit den Nachbarn.

Und Preußen selbst? Ist denn sein Staatsbäu stark und kräftig, Abrundung
in seinem Gebiet, Einheit in den höchsten Interessen seiner Landestheile? Ist
Pr.'nßcn selbst ein Staat, der, wie er jetzt ist, Dauer und eine Zukunft verspricht?
Es gehört kein großer Witz dazu, diese Frage mit „ nein" zu beantworten, aber
es ist doch ein kleiner Unterschied zwischen der Bedeutung Preußens und dem
übrigen Gebiete Deutschlands. Preußen ist trotz seiner zerrissenen Grenzen, sei¬
ner unvollständigen Arrondirung in Wirklichkeit ein Staat, mit einer Vergangen¬
heit, einem nationalen Bewußtsein, einer leitenden Idee. Sein Mangel aber ist
gerade der, daß seine Idee größer ist, als sein gegenwärtiges Gebiet, — so groß
als Deutschland. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir unsere Vergangenheit, viele
unserer Gewöhnungen, unser trotziges Selbstgefühl opfern sollten, um das Ideal
eines freien Deutschlands, welches in allen Gauen als Traumgebilde lebt, an des¬
sen Realisirung wir aber bereits gearbeitet haben, in die Wirklichkeit umzusetzen.
Wir wollen das Opfer bringen , weil es eine Nothwendigkeit ist für Alle, guch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/220>, abgerufen am 29.06.2024.