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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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einen Stammes ihn verführt, schnell und ohne Prüfung sich Neuem hinzugeben,
und gegen das alte Gesetzliche anzustürmen, wird ein anderer Zweig der Nation
die kältere Ueberlegung, conservative Neigungen haben müssen; und wenn die
Einen in ihrer Sprache singen, wird es für die gesunde Bildung des Volkes gar
nicht schaden, wenn.andere Dialekte schnarren und brummen; wenn die Einen die
Neigung haben, sich in breiten rhetorischen Phrasen zu ergehen, wird es nöthig
sein, daß Andere in kurzer Energie ihre Gedanken zusammenfassen; wenn die Volks¬
tracht einer Gegend in langen, steifen Röcken besteht, wird es dem Staat recht
sehr nützen, wenn eine andere Provinz es vorzieht, hemdsärmlich zu gehen; Ge¬
birge und Meere, Holz und Steinkohlen, Reiter und Fußgänger, Hopfen und
Wein, alle Gegensätze, welche einander nicht zerstören , sondern sich gegenseitig
stützen und heraustreiben, soll ein Staat zu entwickeln sähig sein, erst dadurch
bekommt er Kraft, Dauer, eine Geschichte. Keiner von den deutschen Staaten,
außer Preußen, hat die Möglichkeit dazu. Das Königreich Sachsen ist so klein,
daß der Geist Robert BlumS durch daS ganze Gebiet spuken kann, und seine
Vaterlcindsvercine, welche in diesem Augenblick eine vernünftige Regierung zur
Desparatiou bringen, reichen gerade so weit, als der sächsische Scepter. DaS ist
kein Staat, wo es dagegen kein Gegengewicht gibt. Und Hannover, das dünn¬
bevölkerte, wo Ernst August und der wohlfeile französische Rheinwein so lange
den Anschluß an den Zollverein verhindern konnten, wo jetzt die Publikation der
deutschen Grundrechte deshalb aufgehalten wird, weil die Bauern fürchten, die
Freizügigkeit werde "cuc Kolonisten in's Land führen und die Weide der H.ut--
schmucken beengen; oder Würtemberg, wo die Kammer in diesen Wochen gründ¬
liche Untersuchungen über die Euter und den Milchreichthnm einiger Kühe anstellt,
welche bis jetzt auf Staatskosten fraßen, und wo tagelang darüber debattirt wird,
ob der Staat zwei Stück Rindvieh mehr oder weniger halten solle. Bon den
übrigen Ländern ganz zu schweigen, welche bereits im vorigen Jahre die Hilfe
der Bundestruppen in Anspruch nehmen mußten, um sich gegen die politische
Trunkenheit der eigenen Angehörigen zu schützen. Die größeren aber dieser Ge¬
biete haben höchstens die Ausdehnung, die Interessen und die Bildungsverhältnisse
einer Provinz, sie sind ein Theil, kein staatliches Ganze; aus den Sprüngen
ihrer Lottericloose und Staatspapiere am Geldmarkt, aus der Einseitig¬
keit ihrer industriellen und Handels - Interessen, aus der Hilflosigkeit bei jedem
Anprall von innen und außen schließen wir auf die Verkehrtheit und Kläglichkeit
eines solchen politischen Lebens. Alle Gebiete Deutschlands trifft dieser Vorwurf,
auch Baien,, das größte und am meisten gegliederte Land leidet daran. Zwar
besteht es ans drei bis vier nüancirten Theilen, die zusammengewebt ein ansehn¬
liches Ganze bilden würden, aber Baiern, Pfälzer, Schwaben und Flanken sind
unter der Krone Baiern zusammengebunden, ohne zusammen zu gehören. Die
getrennte ramsche Pfalz heißt bairisch, weil sie zu klein ist, irgend etwas selbst-


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einen Stammes ihn verführt, schnell und ohne Prüfung sich Neuem hinzugeben,
und gegen das alte Gesetzliche anzustürmen, wird ein anderer Zweig der Nation
die kältere Ueberlegung, conservative Neigungen haben müssen; und wenn die
Einen in ihrer Sprache singen, wird es für die gesunde Bildung des Volkes gar
nicht schaden, wenn.andere Dialekte schnarren und brummen; wenn die Einen die
Neigung haben, sich in breiten rhetorischen Phrasen zu ergehen, wird es nöthig
sein, daß Andere in kurzer Energie ihre Gedanken zusammenfassen; wenn die Volks¬
tracht einer Gegend in langen, steifen Röcken besteht, wird es dem Staat recht
sehr nützen, wenn eine andere Provinz es vorzieht, hemdsärmlich zu gehen; Ge¬
birge und Meere, Holz und Steinkohlen, Reiter und Fußgänger, Hopfen und
Wein, alle Gegensätze, welche einander nicht zerstören , sondern sich gegenseitig
stützen und heraustreiben, soll ein Staat zu entwickeln sähig sein, erst dadurch
bekommt er Kraft, Dauer, eine Geschichte. Keiner von den deutschen Staaten,
außer Preußen, hat die Möglichkeit dazu. Das Königreich Sachsen ist so klein,
daß der Geist Robert BlumS durch daS ganze Gebiet spuken kann, und seine
Vaterlcindsvercine, welche in diesem Augenblick eine vernünftige Regierung zur
Desparatiou bringen, reichen gerade so weit, als der sächsische Scepter. DaS ist
kein Staat, wo es dagegen kein Gegengewicht gibt. Und Hannover, das dünn¬
bevölkerte, wo Ernst August und der wohlfeile französische Rheinwein so lange
den Anschluß an den Zollverein verhindern konnten, wo jetzt die Publikation der
deutschen Grundrechte deshalb aufgehalten wird, weil die Bauern fürchten, die
Freizügigkeit werde «cuc Kolonisten in's Land führen und die Weide der H.ut--
schmucken beengen; oder Würtemberg, wo die Kammer in diesen Wochen gründ¬
liche Untersuchungen über die Euter und den Milchreichthnm einiger Kühe anstellt,
welche bis jetzt auf Staatskosten fraßen, und wo tagelang darüber debattirt wird,
ob der Staat zwei Stück Rindvieh mehr oder weniger halten solle. Bon den
übrigen Ländern ganz zu schweigen, welche bereits im vorigen Jahre die Hilfe
der Bundestruppen in Anspruch nehmen mußten, um sich gegen die politische
Trunkenheit der eigenen Angehörigen zu schützen. Die größeren aber dieser Ge¬
biete haben höchstens die Ausdehnung, die Interessen und die Bildungsverhältnisse
einer Provinz, sie sind ein Theil, kein staatliches Ganze; aus den Sprüngen
ihrer Lottericloose und Staatspapiere am Geldmarkt, aus der Einseitig¬
keit ihrer industriellen und Handels - Interessen, aus der Hilflosigkeit bei jedem
Anprall von innen und außen schließen wir auf die Verkehrtheit und Kläglichkeit
eines solchen politischen Lebens. Alle Gebiete Deutschlands trifft dieser Vorwurf,
auch Baien,, das größte und am meisten gegliederte Land leidet daran. Zwar
besteht es ans drei bis vier nüancirten Theilen, die zusammengewebt ein ansehn¬
liches Ganze bilden würden, aber Baiern, Pfälzer, Schwaben und Flanken sind
unter der Krone Baiern zusammengebunden, ohne zusammen zu gehören. Die
getrennte ramsche Pfalz heißt bairisch, weil sie zu klein ist, irgend etwas selbst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/219>, abgerufen am 26.06.2024.