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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ein Ende gemacht werden; die Entwaffnung der Bürgergarde und die Auflösung
einer auf einem falschen Weg unaufhaltsam forteilenden Versammlung waren dazu
die unumgänglichen Mittel. Es ließ sich erwarten, daß diese Anwendung von Ge¬
walt die höchste Erbitterung hervorrufen und zugleich den schwärzesten Befürch¬
tungen Raum geben würde: Inquisition, Folter, Militärdespotismus, Jesuiten¬
herrschaft u. s. w. war das Geringste, was man erwartete. Wenn nun die Re¬
gierung mit einer gewissen dramatischen Großherzigkeit dem besiegten Aufstand eine
vollkommen freisinnige Verfassung, eine unbedingte Amnestie und zugleich die Per¬
spektive auf eine gedeihliche Entwicklung der öffentlichen Wohlfahrt entgegenstellte,
so war ein plötzlicher und gewaltiger Rückschlag der öffentlichen Meinung mit
Bestimmtheit vorherzusehn. Er erfolgte auch in der That, und wenn nicht in dem
Umfang, den man zu erwarten berechtigt war, so trug die Negierung einen
großen Theil der Schuld. Sie war nicht kühn genug gewesen, sie hatte nicht
gewagt, die Verfassung als vollendet durch einen feierlichen Eid zur Basis der
künftigen Entwickelung zu machen, und damit durch einen Streich dem abstracten
Radicalismus den Stoff abzuschneiden, und andererseits war sie kleinlich in der
Verfolgung ihrer Gegner. In beidem verräth sich eine Schwäche, die den Feinden
neuen Muth gibt.

Was aber in Preußen mit Aussicht auf glücklichen Erfolg unternommen wer¬
den konnte, hat in Sachsen gar keinen Sinn. Die gegenwärtigen Kammern haben
eine vollkommen gesetzliche Begründung, sie sind rechtlich der einzig legitime Aus¬
druck der öffentlichen Meinung, und -- sie sind es auch factisch. Was hilft es,
sich über Thatsachen täuschen zu wollen?

Freilich ist gar keine innere Nothwendigkeit vorhanden, daß das sächsische
Volk sich durch lauter Radikale vertreten läßt. ES hilft auch nichts, die Schuld
aus das Wahlgesetz zu schieben und dessen allznbreite Grundlage, denn die erste
Kammer, die von den Grundbesitzern gewählt ist, gleicht der zweiten wie ein El
dem andern. Die Konservativen, d. h. diejenigen Männer, welche etwas zu ver¬
lieren, und Verstand genug haben, es einzusehen, haben die meiste Schuld. Sie
brachten es als Partei zu keiner geordneten Organisation, und als Einzelne waren
sie zu vornehm, die unwissende Menge aufzuklären. Ihre Gegner hatten darin
freilich den großen Vorsprung, daß die Agitation ihr einziges Geschäft ist und
daß die Menge gemeine Schmeicheleien lieber hört, als Vernunft; allein die
Schwierigkeit der Aufgabe hebt die Verpflichtung nicht auf, und es ist höchst über¬
eilt, weil die freie Verfassung unbequem wird, sofort eine leidende Miene zu
machen und "heulend" in den Schooß des absoluten Polizeistaats zu flüchten.

Beiläufig will ich bemerken, daß in der Bildung der Parteien selbst viel
Willkür obwaltet. Wer will denn radical und liberal mit Genauigkeit unter-
scheiden? Und wie viele sind es, die von vornherein sich klar machen können, auf
welche Seite sie sich zu stellen haben. Wer die Leipziger Verhältnisse kennt, wird


ein Ende gemacht werden; die Entwaffnung der Bürgergarde und die Auflösung
einer auf einem falschen Weg unaufhaltsam forteilenden Versammlung waren dazu
die unumgänglichen Mittel. Es ließ sich erwarten, daß diese Anwendung von Ge¬
walt die höchste Erbitterung hervorrufen und zugleich den schwärzesten Befürch¬
tungen Raum geben würde: Inquisition, Folter, Militärdespotismus, Jesuiten¬
herrschaft u. s. w. war das Geringste, was man erwartete. Wenn nun die Re¬
gierung mit einer gewissen dramatischen Großherzigkeit dem besiegten Aufstand eine
vollkommen freisinnige Verfassung, eine unbedingte Amnestie und zugleich die Per¬
spektive auf eine gedeihliche Entwicklung der öffentlichen Wohlfahrt entgegenstellte,
so war ein plötzlicher und gewaltiger Rückschlag der öffentlichen Meinung mit
Bestimmtheit vorherzusehn. Er erfolgte auch in der That, und wenn nicht in dem
Umfang, den man zu erwarten berechtigt war, so trug die Negierung einen
großen Theil der Schuld. Sie war nicht kühn genug gewesen, sie hatte nicht
gewagt, die Verfassung als vollendet durch einen feierlichen Eid zur Basis der
künftigen Entwickelung zu machen, und damit durch einen Streich dem abstracten
Radicalismus den Stoff abzuschneiden, und andererseits war sie kleinlich in der
Verfolgung ihrer Gegner. In beidem verräth sich eine Schwäche, die den Feinden
neuen Muth gibt.

Was aber in Preußen mit Aussicht auf glücklichen Erfolg unternommen wer¬
den konnte, hat in Sachsen gar keinen Sinn. Die gegenwärtigen Kammern haben
eine vollkommen gesetzliche Begründung, sie sind rechtlich der einzig legitime Aus¬
druck der öffentlichen Meinung, und — sie sind es auch factisch. Was hilft es,
sich über Thatsachen täuschen zu wollen?

Freilich ist gar keine innere Nothwendigkeit vorhanden, daß das sächsische
Volk sich durch lauter Radikale vertreten läßt. ES hilft auch nichts, die Schuld
aus das Wahlgesetz zu schieben und dessen allznbreite Grundlage, denn die erste
Kammer, die von den Grundbesitzern gewählt ist, gleicht der zweiten wie ein El
dem andern. Die Konservativen, d. h. diejenigen Männer, welche etwas zu ver¬
lieren, und Verstand genug haben, es einzusehen, haben die meiste Schuld. Sie
brachten es als Partei zu keiner geordneten Organisation, und als Einzelne waren
sie zu vornehm, die unwissende Menge aufzuklären. Ihre Gegner hatten darin
freilich den großen Vorsprung, daß die Agitation ihr einziges Geschäft ist und
daß die Menge gemeine Schmeicheleien lieber hört, als Vernunft; allein die
Schwierigkeit der Aufgabe hebt die Verpflichtung nicht auf, und es ist höchst über¬
eilt, weil die freie Verfassung unbequem wird, sofort eine leidende Miene zu
machen und „heulend" in den Schooß des absoluten Polizeistaats zu flüchten.

Beiläufig will ich bemerken, daß in der Bildung der Parteien selbst viel
Willkür obwaltet. Wer will denn radical und liberal mit Genauigkeit unter-
scheiden? Und wie viele sind es, die von vornherein sich klar machen können, auf
welche Seite sie sich zu stellen haben. Wer die Leipziger Verhältnisse kennt, wird


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[0214] ein Ende gemacht werden; die Entwaffnung der Bürgergarde und die Auflösung einer auf einem falschen Weg unaufhaltsam forteilenden Versammlung waren dazu die unumgänglichen Mittel. Es ließ sich erwarten, daß diese Anwendung von Ge¬ walt die höchste Erbitterung hervorrufen und zugleich den schwärzesten Befürch¬ tungen Raum geben würde: Inquisition, Folter, Militärdespotismus, Jesuiten¬ herrschaft u. s. w. war das Geringste, was man erwartete. Wenn nun die Re¬ gierung mit einer gewissen dramatischen Großherzigkeit dem besiegten Aufstand eine vollkommen freisinnige Verfassung, eine unbedingte Amnestie und zugleich die Per¬ spektive auf eine gedeihliche Entwicklung der öffentlichen Wohlfahrt entgegenstellte, so war ein plötzlicher und gewaltiger Rückschlag der öffentlichen Meinung mit Bestimmtheit vorherzusehn. Er erfolgte auch in der That, und wenn nicht in dem Umfang, den man zu erwarten berechtigt war, so trug die Negierung einen großen Theil der Schuld. Sie war nicht kühn genug gewesen, sie hatte nicht gewagt, die Verfassung als vollendet durch einen feierlichen Eid zur Basis der künftigen Entwickelung zu machen, und damit durch einen Streich dem abstracten Radicalismus den Stoff abzuschneiden, und andererseits war sie kleinlich in der Verfolgung ihrer Gegner. In beidem verräth sich eine Schwäche, die den Feinden neuen Muth gibt. Was aber in Preußen mit Aussicht auf glücklichen Erfolg unternommen wer¬ den konnte, hat in Sachsen gar keinen Sinn. Die gegenwärtigen Kammern haben eine vollkommen gesetzliche Begründung, sie sind rechtlich der einzig legitime Aus¬ druck der öffentlichen Meinung, und — sie sind es auch factisch. Was hilft es, sich über Thatsachen täuschen zu wollen? Freilich ist gar keine innere Nothwendigkeit vorhanden, daß das sächsische Volk sich durch lauter Radikale vertreten läßt. ES hilft auch nichts, die Schuld aus das Wahlgesetz zu schieben und dessen allznbreite Grundlage, denn die erste Kammer, die von den Grundbesitzern gewählt ist, gleicht der zweiten wie ein El dem andern. Die Konservativen, d. h. diejenigen Männer, welche etwas zu ver¬ lieren, und Verstand genug haben, es einzusehen, haben die meiste Schuld. Sie brachten es als Partei zu keiner geordneten Organisation, und als Einzelne waren sie zu vornehm, die unwissende Menge aufzuklären. Ihre Gegner hatten darin freilich den großen Vorsprung, daß die Agitation ihr einziges Geschäft ist und daß die Menge gemeine Schmeicheleien lieber hört, als Vernunft; allein die Schwierigkeit der Aufgabe hebt die Verpflichtung nicht auf, und es ist höchst über¬ eilt, weil die freie Verfassung unbequem wird, sofort eine leidende Miene zu machen und „heulend" in den Schooß des absoluten Polizeistaats zu flüchten. Beiläufig will ich bemerken, daß in der Bildung der Parteien selbst viel Willkür obwaltet. Wer will denn radical und liberal mit Genauigkeit unter- scheiden? Und wie viele sind es, die von vornherein sich klar machen können, auf welche Seite sie sich zu stellen haben. Wer die Leipziger Verhältnisse kennt, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/214>, abgerufen am 23.12.2024.