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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Kammern muthmaßlich eine zweite verschlechterte Anfluge der Berliner Constituante
sein würden. Es ist schlimmer gekommen, als die schlimmste Ahnung es sich vor¬
stellen konnte. Unter den preußischen Radicalen war doch immer eine gute Zahl
politisch gebildeter Männer, die schon ihrer Stellung nach einen freien Blick in
die allgemeinen Verhältnisse hatten. Hier finden wir dagegen dasselbe zerfahrene
Wesen, dieselbe Rohheit der Debatten und dabei einen so vollständigen Mangel
an Bildung und Talent, daß die Reden eines Schaffrath wie leuchtende Meteore
gegen die der übrigen Volksvertreter abstechen. In dieser Versammlung befrem¬
det es nicht erheblich, wenn der Präsident sich mit Beifalls- und Mißfallbrzen"
gnügen in die Debatte mischt, wenn er den Gegnern -- die ohnehin in keiner
Weise geeignet scheinen, der Majorität zu imponiren -- ohne Weiteres das Wort
abschneidet, wenn er ihre Eingaben mit dem Prädicat "Schandschriften" u. tgi.
abfertigt. Die erste Kammer kann mit der zweiten zwar nicht an Ungebührlichkeit
des Betragens wetteifern, aber an - - was für ein Prädicat soll ich gebrauchen,
um "souveränen Unverstand" zu umschreiben? -- kurz an dieser Eigenschaft, die
mehr fühlen als begreifen läßt, läuft sie ihr den Rang ab.

Die conservative Partei ist nun uicht übel geneigt, im Bewußtsein ihres bes¬
sern Wissens und Wollens dem lockenden Beispiel der preußischen Regierung zu '
folgen, und das Reich des aufgeklärten Despotismus durch eine Kammerauflösuug
zu beginnen, durch "Reichstruppen" zu beschließen. Jenes Beispiel ist gefährlich,
wenn man es oberflächlich ansieht, lehrreich, wenn man es genauer ins Ange faßt.

Einmal war die Situation der preußischen Regierung im November vorigen
Jahres eine ganz andere. Ihr stand unter dem unbestimmten Namen "Constituante"
eine Versammlung gegenüber, deren nächster Beruf zu sein schien, einen Verfas-
sungsentwurf auszuarbeiten, die sich statt dessen aber bemühte, durch unausgesetzte
Eingriffe in die Verwaltung eine jede Ncgiening unmöglich zu macheu. Sie war
unter dem Einfluß einer revolutionären Stimmung gewählt und mau konnte hoffen,
daß sich seitdem die Ansichten im Volk wesentlich geändert, daß der Einfluß der
Vernunft und des Gesetzes sich wesentlich gestärkt haben sollte. Es kommt uoch
ein zweiter, sehr wichtiger Umstand hinzu. Woraus entsprang denn jene leidenschaft-
liche Opposition, die zuletzt über alle Schranken des gesunden Menschenverstandes
hinausging? Es waren doch nickt lauter Anarchisten, nicht lauter politische Aveu-
turiers, die -t tout >lux nach Stellen oder nach einem Einfluß irgend welcher Art
jagten, oder die des bloßen Vergnügens wegen sich in ein wildes Hazardspiel einließen.
Es war vielmehr die unheimliche Saat des Mißtrauens, die, einmal aufgegan¬
gen, mit einer Schnelligkeit wuchert, daß jede gesunde Pflanze zu Grunde geht;
der Rausch des Mißtrauens, ohne einen bestimmten Gegenstand, ins Blaue bin.
Hat der Argwohn einmal Wurzel gefaßt, so hilft keine Vernunft. Daher ist es
gut, ihm mit einem entscheidenden Schlage zu begegnen. Der Plan der Regie¬
rung war daher ganz richtig angelegt. Der Anarchie mußte aus irgend eine Weise


Kammern muthmaßlich eine zweite verschlechterte Anfluge der Berliner Constituante
sein würden. Es ist schlimmer gekommen, als die schlimmste Ahnung es sich vor¬
stellen konnte. Unter den preußischen Radicalen war doch immer eine gute Zahl
politisch gebildeter Männer, die schon ihrer Stellung nach einen freien Blick in
die allgemeinen Verhältnisse hatten. Hier finden wir dagegen dasselbe zerfahrene
Wesen, dieselbe Rohheit der Debatten und dabei einen so vollständigen Mangel
an Bildung und Talent, daß die Reden eines Schaffrath wie leuchtende Meteore
gegen die der übrigen Volksvertreter abstechen. In dieser Versammlung befrem¬
det es nicht erheblich, wenn der Präsident sich mit Beifalls- und Mißfallbrzen»
gnügen in die Debatte mischt, wenn er den Gegnern — die ohnehin in keiner
Weise geeignet scheinen, der Majorität zu imponiren — ohne Weiteres das Wort
abschneidet, wenn er ihre Eingaben mit dem Prädicat „Schandschriften" u. tgi.
abfertigt. Die erste Kammer kann mit der zweiten zwar nicht an Ungebührlichkeit
des Betragens wetteifern, aber an - - was für ein Prädicat soll ich gebrauchen,
um „souveränen Unverstand" zu umschreiben? — kurz an dieser Eigenschaft, die
mehr fühlen als begreifen läßt, läuft sie ihr den Rang ab.

Die conservative Partei ist nun uicht übel geneigt, im Bewußtsein ihres bes¬
sern Wissens und Wollens dem lockenden Beispiel der preußischen Regierung zu '
folgen, und das Reich des aufgeklärten Despotismus durch eine Kammerauflösuug
zu beginnen, durch „Reichstruppen" zu beschließen. Jenes Beispiel ist gefährlich,
wenn man es oberflächlich ansieht, lehrreich, wenn man es genauer ins Ange faßt.

Einmal war die Situation der preußischen Regierung im November vorigen
Jahres eine ganz andere. Ihr stand unter dem unbestimmten Namen „Constituante"
eine Versammlung gegenüber, deren nächster Beruf zu sein schien, einen Verfas-
sungsentwurf auszuarbeiten, die sich statt dessen aber bemühte, durch unausgesetzte
Eingriffe in die Verwaltung eine jede Ncgiening unmöglich zu macheu. Sie war
unter dem Einfluß einer revolutionären Stimmung gewählt und mau konnte hoffen,
daß sich seitdem die Ansichten im Volk wesentlich geändert, daß der Einfluß der
Vernunft und des Gesetzes sich wesentlich gestärkt haben sollte. Es kommt uoch
ein zweiter, sehr wichtiger Umstand hinzu. Woraus entsprang denn jene leidenschaft-
liche Opposition, die zuletzt über alle Schranken des gesunden Menschenverstandes
hinausging? Es waren doch nickt lauter Anarchisten, nicht lauter politische Aveu-
turiers, die -t tout >lux nach Stellen oder nach einem Einfluß irgend welcher Art
jagten, oder die des bloßen Vergnügens wegen sich in ein wildes Hazardspiel einließen.
Es war vielmehr die unheimliche Saat des Mißtrauens, die, einmal aufgegan¬
gen, mit einer Schnelligkeit wuchert, daß jede gesunde Pflanze zu Grunde geht;
der Rausch des Mißtrauens, ohne einen bestimmten Gegenstand, ins Blaue bin.
Hat der Argwohn einmal Wurzel gefaßt, so hilft keine Vernunft. Daher ist es
gut, ihm mit einem entscheidenden Schlage zu begegnen. Der Plan der Regie¬
rung war daher ganz richtig angelegt. Der Anarchie mußte aus irgend eine Weise


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[0213] Kammern muthmaßlich eine zweite verschlechterte Anfluge der Berliner Constituante sein würden. Es ist schlimmer gekommen, als die schlimmste Ahnung es sich vor¬ stellen konnte. Unter den preußischen Radicalen war doch immer eine gute Zahl politisch gebildeter Männer, die schon ihrer Stellung nach einen freien Blick in die allgemeinen Verhältnisse hatten. Hier finden wir dagegen dasselbe zerfahrene Wesen, dieselbe Rohheit der Debatten und dabei einen so vollständigen Mangel an Bildung und Talent, daß die Reden eines Schaffrath wie leuchtende Meteore gegen die der übrigen Volksvertreter abstechen. In dieser Versammlung befrem¬ det es nicht erheblich, wenn der Präsident sich mit Beifalls- und Mißfallbrzen» gnügen in die Debatte mischt, wenn er den Gegnern — die ohnehin in keiner Weise geeignet scheinen, der Majorität zu imponiren — ohne Weiteres das Wort abschneidet, wenn er ihre Eingaben mit dem Prädicat „Schandschriften" u. tgi. abfertigt. Die erste Kammer kann mit der zweiten zwar nicht an Ungebührlichkeit des Betragens wetteifern, aber an - - was für ein Prädicat soll ich gebrauchen, um „souveränen Unverstand" zu umschreiben? — kurz an dieser Eigenschaft, die mehr fühlen als begreifen läßt, läuft sie ihr den Rang ab. Die conservative Partei ist nun uicht übel geneigt, im Bewußtsein ihres bes¬ sern Wissens und Wollens dem lockenden Beispiel der preußischen Regierung zu ' folgen, und das Reich des aufgeklärten Despotismus durch eine Kammerauflösuug zu beginnen, durch „Reichstruppen" zu beschließen. Jenes Beispiel ist gefährlich, wenn man es oberflächlich ansieht, lehrreich, wenn man es genauer ins Ange faßt. Einmal war die Situation der preußischen Regierung im November vorigen Jahres eine ganz andere. Ihr stand unter dem unbestimmten Namen „Constituante" eine Versammlung gegenüber, deren nächster Beruf zu sein schien, einen Verfas- sungsentwurf auszuarbeiten, die sich statt dessen aber bemühte, durch unausgesetzte Eingriffe in die Verwaltung eine jede Ncgiening unmöglich zu macheu. Sie war unter dem Einfluß einer revolutionären Stimmung gewählt und mau konnte hoffen, daß sich seitdem die Ansichten im Volk wesentlich geändert, daß der Einfluß der Vernunft und des Gesetzes sich wesentlich gestärkt haben sollte. Es kommt uoch ein zweiter, sehr wichtiger Umstand hinzu. Woraus entsprang denn jene leidenschaft- liche Opposition, die zuletzt über alle Schranken des gesunden Menschenverstandes hinausging? Es waren doch nickt lauter Anarchisten, nicht lauter politische Aveu- turiers, die -t tout >lux nach Stellen oder nach einem Einfluß irgend welcher Art jagten, oder die des bloßen Vergnügens wegen sich in ein wildes Hazardspiel einließen. Es war vielmehr die unheimliche Saat des Mißtrauens, die, einmal aufgegan¬ gen, mit einer Schnelligkeit wuchert, daß jede gesunde Pflanze zu Grunde geht; der Rausch des Mißtrauens, ohne einen bestimmten Gegenstand, ins Blaue bin. Hat der Argwohn einmal Wurzel gefaßt, so hilft keine Vernunft. Daher ist es gut, ihm mit einem entscheidenden Schlage zu begegnen. Der Plan der Regie¬ rung war daher ganz richtig angelegt. Der Anarchie mußte aus irgend eine Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/213>, abgerufen am 23.12.2024.