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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wird mir und Tausenden von Kaufleuten und Gewerbtreibenden, welche mit ihren
Errungenschaften die des Volkes bezahlen mußten, nicht wieder aufhelfen. Einerlei,
das Rad dreht sich, Einer steigt, der Andre fällt. Aber ich wollte -- v.erd-- sei
diese Republik!" -- "Liebster Freund," entgegnete ich dem braven Manne, "Sie sind
durch Zufall allzu unglücklich geworden, als daß ich Ihnen ein gerechtes Urtheil
zugestehen dürfte. Sie malen Grau in Grau, uur weil Ihr eignes Auge ver-
düstert ist." -- "Wirklich, mein Herr? Aber wenn ich Ihnen sage, daß Millionen
so denken und reden wie ich? Ich versichere Sie, daß ich weder zu stark auftrage,
noch aus kleinlicher Eigensucht die Unwahrheit spreche. Ueberall habe ich Gele¬
genheit gehabt, den Willen und die Meinung des Volks über die jetzigen Zu¬
stände kennen zu lernen, in der Nationalgarde, draußen in den Estaminets der
Barrieren, im Foyer der Porte Se. Martin und im Club der Menschenrechte --
Niemand, Niemand ist zufrieden, und Alles, was Sie von diesem Fenster aus
da unter sehen von heiterer Pracht ist hohl und faul. Wir sind keine Republi¬
kaner, sind dazu nicht geboren. Meinen Kopf will ich verlieren, wenn Sie in
ganz Paris 5V00 Menschen aufzufinden vermögen, welche ehrlich und ohne Rück¬
halt für die Republik sind. Die Wahl des Prinzen Louis ist nur eine Mani¬
festation gegen die letztere gewesen, und die sechs Millionen Stimmen, welche auf
ihn gefallen sind, repräsentiren eben so viele Royalisten. Denn nnr in zwei Lager
sind wir gegenwärtig geschieden, Royalisten und Socialisten. Die letzteren wissen
nicht, was sie wollen, oder sie wollen vielmehr Anarchie, um ihr Schäfchen in'S
Trockne zu bringen, und weil sie größtentheils ein verzweifeltes Gesinde! sind, so
hat bis jetzt der bon Iinui^mis noch nicht den Muth gehabt, die ganze Farce
der Republik auszulöschen. Doch nur Geduld, ihrem Ende ist sie nahe. Schon
verhöhnen die Vaudevilles und Possen sie allabendlich, und nicht allein in den
Funambules geschieht das, sondern die Athalie macht im Theater francais jetzt
täglich neuen Succeß, blos weil darin der rechtmäßige König wieder auf seinen
Thron gesetzt wird, und bei den Schlußworten des Joad:


^Iixelen tont !e penplo et inontrons lui son roi,
Qn'Il lui plenus en "es enfin" renvuvoler toi!

bricht das ganze Auditorium in begeisterten Jnbel ans und selbst die Logen¬
schließer und die Contrcmarkenverkäuser auf der Straße schreien mit. Aber kom¬
men Sie!"

Ohne ein Wort zu reden, so sehr hatte mich das, was mir mein alter Freund
mitgetheilt, überrascht und verwirrt, folgte ich ihm. Er führte mich nach dem
Elysee national, der Wohnung des Präsidenten. Es war schon dunkel, die Gas¬
laternen warfen aber grelle Lichter auf den Platz vor dem Gebäude, an dessen
Rampe sich ein kleiner Haufen von Neugierigen aufgestellt hatte, um den Prin-
zen Napoleon, der um halb sieben dinirt, aufsteigen zu sehen. Nicht lange, so
fuhr er vor. Reich galonnirte Bediente hoben ihn aus dein Wagen -- ich er-


Brenzbctm. I. I"4". LZ

wird mir und Tausenden von Kaufleuten und Gewerbtreibenden, welche mit ihren
Errungenschaften die des Volkes bezahlen mußten, nicht wieder aufhelfen. Einerlei,
das Rad dreht sich, Einer steigt, der Andre fällt. Aber ich wollte — v.erd— sei
diese Republik!" — „Liebster Freund," entgegnete ich dem braven Manne, „Sie sind
durch Zufall allzu unglücklich geworden, als daß ich Ihnen ein gerechtes Urtheil
zugestehen dürfte. Sie malen Grau in Grau, uur weil Ihr eignes Auge ver-
düstert ist." — „Wirklich, mein Herr? Aber wenn ich Ihnen sage, daß Millionen
so denken und reden wie ich? Ich versichere Sie, daß ich weder zu stark auftrage,
noch aus kleinlicher Eigensucht die Unwahrheit spreche. Ueberall habe ich Gele¬
genheit gehabt, den Willen und die Meinung des Volks über die jetzigen Zu¬
stände kennen zu lernen, in der Nationalgarde, draußen in den Estaminets der
Barrieren, im Foyer der Porte Se. Martin und im Club der Menschenrechte —
Niemand, Niemand ist zufrieden, und Alles, was Sie von diesem Fenster aus
da unter sehen von heiterer Pracht ist hohl und faul. Wir sind keine Republi¬
kaner, sind dazu nicht geboren. Meinen Kopf will ich verlieren, wenn Sie in
ganz Paris 5V00 Menschen aufzufinden vermögen, welche ehrlich und ohne Rück¬
halt für die Republik sind. Die Wahl des Prinzen Louis ist nur eine Mani¬
festation gegen die letztere gewesen, und die sechs Millionen Stimmen, welche auf
ihn gefallen sind, repräsentiren eben so viele Royalisten. Denn nnr in zwei Lager
sind wir gegenwärtig geschieden, Royalisten und Socialisten. Die letzteren wissen
nicht, was sie wollen, oder sie wollen vielmehr Anarchie, um ihr Schäfchen in'S
Trockne zu bringen, und weil sie größtentheils ein verzweifeltes Gesinde! sind, so
hat bis jetzt der bon Iinui^mis noch nicht den Muth gehabt, die ganze Farce
der Republik auszulöschen. Doch nur Geduld, ihrem Ende ist sie nahe. Schon
verhöhnen die Vaudevilles und Possen sie allabendlich, und nicht allein in den
Funambules geschieht das, sondern die Athalie macht im Theater francais jetzt
täglich neuen Succeß, blos weil darin der rechtmäßige König wieder auf seinen
Thron gesetzt wird, und bei den Schlußworten des Joad:


^Iixelen tont !e penplo et inontrons lui son roi,
Qn'Il lui plenus en »es enfin» renvuvoler toi!

bricht das ganze Auditorium in begeisterten Jnbel ans und selbst die Logen¬
schließer und die Contrcmarkenverkäuser auf der Straße schreien mit. Aber kom¬
men Sie!"

Ohne ein Wort zu reden, so sehr hatte mich das, was mir mein alter Freund
mitgetheilt, überrascht und verwirrt, folgte ich ihm. Er führte mich nach dem
Elysee national, der Wohnung des Präsidenten. Es war schon dunkel, die Gas¬
laternen warfen aber grelle Lichter auf den Platz vor dem Gebäude, an dessen
Rampe sich ein kleiner Haufen von Neugierigen aufgestellt hatte, um den Prin-
zen Napoleon, der um halb sieben dinirt, aufsteigen zu sehen. Nicht lange, so
fuhr er vor. Reich galonnirte Bediente hoben ihn aus dein Wagen — ich er-


Brenzbctm. I. I»4». LZ
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[0185] wird mir und Tausenden von Kaufleuten und Gewerbtreibenden, welche mit ihren Errungenschaften die des Volkes bezahlen mußten, nicht wieder aufhelfen. Einerlei, das Rad dreht sich, Einer steigt, der Andre fällt. Aber ich wollte — v.erd— sei diese Republik!" — „Liebster Freund," entgegnete ich dem braven Manne, „Sie sind durch Zufall allzu unglücklich geworden, als daß ich Ihnen ein gerechtes Urtheil zugestehen dürfte. Sie malen Grau in Grau, uur weil Ihr eignes Auge ver- düstert ist." — „Wirklich, mein Herr? Aber wenn ich Ihnen sage, daß Millionen so denken und reden wie ich? Ich versichere Sie, daß ich weder zu stark auftrage, noch aus kleinlicher Eigensucht die Unwahrheit spreche. Ueberall habe ich Gele¬ genheit gehabt, den Willen und die Meinung des Volks über die jetzigen Zu¬ stände kennen zu lernen, in der Nationalgarde, draußen in den Estaminets der Barrieren, im Foyer der Porte Se. Martin und im Club der Menschenrechte — Niemand, Niemand ist zufrieden, und Alles, was Sie von diesem Fenster aus da unter sehen von heiterer Pracht ist hohl und faul. Wir sind keine Republi¬ kaner, sind dazu nicht geboren. Meinen Kopf will ich verlieren, wenn Sie in ganz Paris 5V00 Menschen aufzufinden vermögen, welche ehrlich und ohne Rück¬ halt für die Republik sind. Die Wahl des Prinzen Louis ist nur eine Mani¬ festation gegen die letztere gewesen, und die sechs Millionen Stimmen, welche auf ihn gefallen sind, repräsentiren eben so viele Royalisten. Denn nnr in zwei Lager sind wir gegenwärtig geschieden, Royalisten und Socialisten. Die letzteren wissen nicht, was sie wollen, oder sie wollen vielmehr Anarchie, um ihr Schäfchen in'S Trockne zu bringen, und weil sie größtentheils ein verzweifeltes Gesinde! sind, so hat bis jetzt der bon Iinui^mis noch nicht den Muth gehabt, die ganze Farce der Republik auszulöschen. Doch nur Geduld, ihrem Ende ist sie nahe. Schon verhöhnen die Vaudevilles und Possen sie allabendlich, und nicht allein in den Funambules geschieht das, sondern die Athalie macht im Theater francais jetzt täglich neuen Succeß, blos weil darin der rechtmäßige König wieder auf seinen Thron gesetzt wird, und bei den Schlußworten des Joad: ^Iixelen tont !e penplo et inontrons lui son roi, Qn'Il lui plenus en »es enfin» renvuvoler toi! bricht das ganze Auditorium in begeisterten Jnbel ans und selbst die Logen¬ schließer und die Contrcmarkenverkäuser auf der Straße schreien mit. Aber kom¬ men Sie!" Ohne ein Wort zu reden, so sehr hatte mich das, was mir mein alter Freund mitgetheilt, überrascht und verwirrt, folgte ich ihm. Er führte mich nach dem Elysee national, der Wohnung des Präsidenten. Es war schon dunkel, die Gas¬ laternen warfen aber grelle Lichter auf den Platz vor dem Gebäude, an dessen Rampe sich ein kleiner Haufen von Neugierigen aufgestellt hatte, um den Prin- zen Napoleon, der um halb sieben dinirt, aufsteigen zu sehen. Nicht lange, so fuhr er vor. Reich galonnirte Bediente hoben ihn aus dein Wagen — ich er- Brenzbctm. I. I»4». LZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/185>, abgerufen am 23.12.2024.