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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ganz verschwunden waren, stehen und gehen wieder überall, so Schmuck und mar¬
tialisch wie je zuvor, und lachen über die finstern Zornblicke, die ihnen da und
dort ein Ouvrier zuschlendert. Die Blouse wagt sich nicht mehr in geschlossenen,
Arm in Arm gehängten Colonnen ans die Quais, sie wandelt einsam hier und da,
als suche sie verlorene Freunde, und zieht es vor, im Marais und vor den Bar¬
rieren zu bleiben, wenn nicht die berühmte Asfichcumauer vor dem Hotel des aus¬
wärtigen Ministeriums sie lockt. Die Elegants, welche eine Zeit lang ganz ver¬
schwunden waren, schwimmen wieder in ihrem alten Element. Auf sie hat der
Umschwung der Dinge aber ebenfalls seinen Einfluß geübt, eine merkwürdige,
extravagante Kühnheit hat sich dieses glänzenden Geschlechtes bemächtigt, sie spre¬
chen allen Regeln der Mode und des Salons Hohn und tragen -- breitkrempige
Hüte mit lang wallenden, schwarzen Federn. Ihr Tänzeln und Flattern bildet
einen merkwürdigen Gegensatz zu dem besorgten Ernst der Nationalgardisten, die
entweder in Patrouillen vorüberziehn oder da und dort in düsterem Gespräch bei
einander stehen." Sie haben am meisten gelitten und geduldet -- ich hatte einen
Bekannten, Mr. Avenel, Flügelmann bei der zehnten, der aus Verdruß darüber,
daß die imposante penn ki'all'8 dem Fortschritt geopfert wurde, nach Texas aus¬
gewandert ist -- die Nationalgarde, d. h. der alte Stamm derselben, ist nämlich
die Macht der tous boni-Aeoi".

Das Wort Bourgeois und sein Begriff haben in der Neuzeit eine Bedeu¬
tung erhalten, die sie früher nie zu beanspruchen wagten. In ganz Europa
haben die Vernünftigen ängstlich ihr Auge auf die Bourgeoisie geheftet, als der
vierte Stand die rothe phrygische Mütze aufsetzte; jene ist in Paris und in Frank-
reich jetzt der Pfeiler der Legitimität, der Ordnung, ja, sagen wir es gerade
heraus, der aus ihrer tiefen Ohnmacht allmälig wieder erwachenden Monarchie
geworden. Keinen bessern Prototyp des Pariser Bourgeois kenne ich, als meinen
wackeren Hauswirth Lefevbre, den ich im Frascati finde, wo er mit finstrer Miene
fein petit Verre trinkt und eine Cigarre für drei Sons dazu raucht. Er ist ein
wohlhabender Rentier, früher Kaufmann gewesen, jetzt Oberst der Nationalgarde,
stolz auf den gewaltigen graumelirten Schnurrbart, der die Hälfte seines Gesichts
verbirgt und auf sein rüstiges Junggesellenthum. Aber wie finde ich ihn verän¬
dert! tiefe Furchen haben sich in seine sonst so glatten Wangen gezogen, der
Schnurrbart ist fast ganz grau geworden und sein Embonpoint nicht mehr das
alte -- armer Levfebre! Er liest in meinen Blicken eine Frage und sagt zu mir:
"Sehen Sie, mein junger Freund, dahin hat mich die Republik gebracht. Binnen
drei Monaten habe ich mein ganzes Vermögen, das, wie Sie wissen, "uf Jsle
de France angelegt war, verloren. Gram und Kummer haben meine Gesundheit
zerrüttet, meine besten Freunde sind in den Junikämpfcn gefallen -- ich freue
mich recht sehr, daß Sie wieder hier sind. Sie werden noch in diesem Jahre
Vieles erleben, ich sage es Ihnen voraus, es wird Anders werden, aber das


ganz verschwunden waren, stehen und gehen wieder überall, so Schmuck und mar¬
tialisch wie je zuvor, und lachen über die finstern Zornblicke, die ihnen da und
dort ein Ouvrier zuschlendert. Die Blouse wagt sich nicht mehr in geschlossenen,
Arm in Arm gehängten Colonnen ans die Quais, sie wandelt einsam hier und da,
als suche sie verlorene Freunde, und zieht es vor, im Marais und vor den Bar¬
rieren zu bleiben, wenn nicht die berühmte Asfichcumauer vor dem Hotel des aus¬
wärtigen Ministeriums sie lockt. Die Elegants, welche eine Zeit lang ganz ver¬
schwunden waren, schwimmen wieder in ihrem alten Element. Auf sie hat der
Umschwung der Dinge aber ebenfalls seinen Einfluß geübt, eine merkwürdige,
extravagante Kühnheit hat sich dieses glänzenden Geschlechtes bemächtigt, sie spre¬
chen allen Regeln der Mode und des Salons Hohn und tragen — breitkrempige
Hüte mit lang wallenden, schwarzen Federn. Ihr Tänzeln und Flattern bildet
einen merkwürdigen Gegensatz zu dem besorgten Ernst der Nationalgardisten, die
entweder in Patrouillen vorüberziehn oder da und dort in düsterem Gespräch bei
einander stehen.» Sie haben am meisten gelitten und geduldet — ich hatte einen
Bekannten, Mr. Avenel, Flügelmann bei der zehnten, der aus Verdruß darüber,
daß die imposante penn ki'all'8 dem Fortschritt geopfert wurde, nach Texas aus¬
gewandert ist — die Nationalgarde, d. h. der alte Stamm derselben, ist nämlich
die Macht der tous boni-Aeoi«.

Das Wort Bourgeois und sein Begriff haben in der Neuzeit eine Bedeu¬
tung erhalten, die sie früher nie zu beanspruchen wagten. In ganz Europa
haben die Vernünftigen ängstlich ihr Auge auf die Bourgeoisie geheftet, als der
vierte Stand die rothe phrygische Mütze aufsetzte; jene ist in Paris und in Frank-
reich jetzt der Pfeiler der Legitimität, der Ordnung, ja, sagen wir es gerade
heraus, der aus ihrer tiefen Ohnmacht allmälig wieder erwachenden Monarchie
geworden. Keinen bessern Prototyp des Pariser Bourgeois kenne ich, als meinen
wackeren Hauswirth Lefevbre, den ich im Frascati finde, wo er mit finstrer Miene
fein petit Verre trinkt und eine Cigarre für drei Sons dazu raucht. Er ist ein
wohlhabender Rentier, früher Kaufmann gewesen, jetzt Oberst der Nationalgarde,
stolz auf den gewaltigen graumelirten Schnurrbart, der die Hälfte seines Gesichts
verbirgt und auf sein rüstiges Junggesellenthum. Aber wie finde ich ihn verän¬
dert! tiefe Furchen haben sich in seine sonst so glatten Wangen gezogen, der
Schnurrbart ist fast ganz grau geworden und sein Embonpoint nicht mehr das
alte — armer Levfebre! Er liest in meinen Blicken eine Frage und sagt zu mir:
„Sehen Sie, mein junger Freund, dahin hat mich die Republik gebracht. Binnen
drei Monaten habe ich mein ganzes Vermögen, das, wie Sie wissen, «uf Jsle
de France angelegt war, verloren. Gram und Kummer haben meine Gesundheit
zerrüttet, meine besten Freunde sind in den Junikämpfcn gefallen — ich freue
mich recht sehr, daß Sie wieder hier sind. Sie werden noch in diesem Jahre
Vieles erleben, ich sage es Ihnen voraus, es wird Anders werden, aber das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/184>, abgerufen am 23.12.2024.