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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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derben, hausbackenen Witz empörte es gegen den gleißenden Firniß der hohen-
staufenschen Convenienz.

Nach dem Interregnum hörte die Kaiserwürde auf, die alte Bedeutung zu
bewahren. Man mißbrauchte sie, dem eignen Hause vom deutschen Ländergebiet
soviel als möglich zu erbeuten. Alle diese Fürsten, die Kaiser mit eingeschlossen,
arbeiteten darauf hin, das Gebiet des Reichs zu berauben: mit einander in fort¬
währender Fehde schlössen sie doch Bündnisse gegen die einzigen Organe des selbst¬
ständigen deutschen Lebens, die Städte. Am thätigsten war das Haus Oestreich;
es sammelte um sich die Blüthe der Ritterschaft, es bewahrte in seiner Politik
jene "Erbweisheit," die das eine Ziel, die Vergrößerung des Hauses, fest im
Auge behielt. An deu Bauern auf den Hochalpen scheiterte seine Ritterlichkeit;
dafür wußte es, im Vereine mit deu süddeutsche" Fürsten, den Bund der rhei¬
nischen Städte zu bezwingen, während sich die nordische Hansa, den kaiserlichen
Fehden entrückt, in immer größerer Freiheit und Machtfülle entfaltete. Als dem
Haus Oestreich von Neuem die Krone Karls des Großen zufiel, hatte sich der
Glaube an das Glück des Hauses schon so festgesetzt, daß Friedrich IV., der ohn¬
mächtigste aller römischen Kaiser, wenigstens in mystischen Spielereien diesen Glau¬
ben bethätigte. ^ubtlülo Lst Immer-ne Ordi IHnivorso. Die Entwickelung die¬
ser werdenden Weltherrschaft geschah äußerlich, ohne geschichtliche Nothwendigkeit.
Lett-i Avrnnt nul, tu l'eux ^ustri-t nube! Durch massenweise Heirathen flocht
"der letzte Ritter" -- den mau sonderbarer Weise den Begründer des Reichsfrie¬
dens nennt, während von seiner Seite gerade der hartnäckigste Widerstand aus¬
ging -- jenes Netz über Europa, in dem sein mächtiger Enkel jene gewaltige
Monarchie einfing, in welcher die Sonne nicht untergehen sollte.

Karl V. war der Wiederhersteller des römischen Reichs in größerm Umfang,
Erbe der spanischen und burgundischen Fürsten wie des Hauses Oestreich, setzte
er durch seine Söldnerheere die alte ghibellinische Politik in Italien, die alte
Verbindung mit dem römischen Stuhle fort. Im Protestantismus consolidirte
sich das alte germanische Streben, vom Römerthum frei zu werden. Sein reli¬
giöser Inhalt geht uns hier nichts an; aber er brachte die Tiefe des deutscheu
Gemüths zum Recht gegen die phantastischen Abstractionen des römischen Glau¬
bens, die deutsche Nationalität zum Recht gegen die Abhängigkeit von Rom. Man
hat es dem Kaiser zum Vorwurf gemacht, daß er sich nicht an die Spitze der Be¬
wegung gestellt. Als ob er das konnte! Er war ja nicht der deutsche König,
sondern der römische Kaiser, der Träger einer Krone, welche einst der Statthal¬
ter Gottes Karl dem Großen aufs Haupt gesetzt. Seitdem dominirt die romanische
Politikim Hause Oestreich; mit Spanien eng verbündet, in die italienischen und
burgundischen Händel verstrickt, zieht es das Reich in jenen unglückseligen, Gene¬
rationen hindurch währenden Krieg mit Frankreich, der nicht um des Reichs wil¬
len, sondern um römisch-dynastische Interessen geführt wird, und in welchem das


derben, hausbackenen Witz empörte es gegen den gleißenden Firniß der hohen-
staufenschen Convenienz.

Nach dem Interregnum hörte die Kaiserwürde auf, die alte Bedeutung zu
bewahren. Man mißbrauchte sie, dem eignen Hause vom deutschen Ländergebiet
soviel als möglich zu erbeuten. Alle diese Fürsten, die Kaiser mit eingeschlossen,
arbeiteten darauf hin, das Gebiet des Reichs zu berauben: mit einander in fort¬
währender Fehde schlössen sie doch Bündnisse gegen die einzigen Organe des selbst¬
ständigen deutschen Lebens, die Städte. Am thätigsten war das Haus Oestreich;
es sammelte um sich die Blüthe der Ritterschaft, es bewahrte in seiner Politik
jene „Erbweisheit," die das eine Ziel, die Vergrößerung des Hauses, fest im
Auge behielt. An deu Bauern auf den Hochalpen scheiterte seine Ritterlichkeit;
dafür wußte es, im Vereine mit deu süddeutsche» Fürsten, den Bund der rhei¬
nischen Städte zu bezwingen, während sich die nordische Hansa, den kaiserlichen
Fehden entrückt, in immer größerer Freiheit und Machtfülle entfaltete. Als dem
Haus Oestreich von Neuem die Krone Karls des Großen zufiel, hatte sich der
Glaube an das Glück des Hauses schon so festgesetzt, daß Friedrich IV., der ohn¬
mächtigste aller römischen Kaiser, wenigstens in mystischen Spielereien diesen Glau¬
ben bethätigte. ^ubtlülo Lst Immer-ne Ordi IHnivorso. Die Entwickelung die¬
ser werdenden Weltherrschaft geschah äußerlich, ohne geschichtliche Nothwendigkeit.
Lett-i Avrnnt nul, tu l'eux ^ustri-t nube! Durch massenweise Heirathen flocht
„der letzte Ritter" — den mau sonderbarer Weise den Begründer des Reichsfrie¬
dens nennt, während von seiner Seite gerade der hartnäckigste Widerstand aus¬
ging — jenes Netz über Europa, in dem sein mächtiger Enkel jene gewaltige
Monarchie einfing, in welcher die Sonne nicht untergehen sollte.

Karl V. war der Wiederhersteller des römischen Reichs in größerm Umfang,
Erbe der spanischen und burgundischen Fürsten wie des Hauses Oestreich, setzte
er durch seine Söldnerheere die alte ghibellinische Politik in Italien, die alte
Verbindung mit dem römischen Stuhle fort. Im Protestantismus consolidirte
sich das alte germanische Streben, vom Römerthum frei zu werden. Sein reli¬
giöser Inhalt geht uns hier nichts an; aber er brachte die Tiefe des deutscheu
Gemüths zum Recht gegen die phantastischen Abstractionen des römischen Glau¬
bens, die deutsche Nationalität zum Recht gegen die Abhängigkeit von Rom. Man
hat es dem Kaiser zum Vorwurf gemacht, daß er sich nicht an die Spitze der Be¬
wegung gestellt. Als ob er das konnte! Er war ja nicht der deutsche König,
sondern der römische Kaiser, der Träger einer Krone, welche einst der Statthal¬
ter Gottes Karl dem Großen aufs Haupt gesetzt. Seitdem dominirt die romanische
Politikim Hause Oestreich; mit Spanien eng verbündet, in die italienischen und
burgundischen Händel verstrickt, zieht es das Reich in jenen unglückseligen, Gene¬
rationen hindurch währenden Krieg mit Frankreich, der nicht um des Reichs wil¬
len, sondern um römisch-dynastische Interessen geführt wird, und in welchem das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/173>, abgerufen am 23.07.2024.