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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Das alte Rom schickte Deutschland seine Cohorten; das neue seine Apostel.
Die Deutschen dankten ihm damit, daß sie das Schwert ergriffen, welches den
verweichlichten Händen entfiel. Dafür wurden sie in die Netze seiner Cultur ver¬
strickt. Die Germanen in Frankreich, in Spanien nahmen die Sprache des Be¬
siegten an, aber sie machten sich ihre neue Heimath zurecht und gründeten unab¬
hängige Staaten. Anders war es in Deutschland. Seitdem der Sachse Otto
sich verleiten ließ, das verderbliche Erbtheil Karls des Großen zu ergreifen und
den unheimlichen Bund mit der Kirche zu erneuen, verzehrte sich Deutschland in
einem krankhaften Scheinleben. Sein Herz war nicht in ihm, es schwelgte in dem
goldnen Italien, seine Edlen bluteten auf fruchtlosen Schlachtfeldern, seine Dichter
ergingen sich in unheimischen, mystisch verzerrten Vorstellungen, seine Bildung fiel
dem unsittlichen Gewebe der römischen Pfaffenherrschaft in die Hände.

Ob die römischen Kaiser sich unter dem Fuß des Papstes krümmten, oder ob
sie ihn in seiner Engelsburg belagerten, die Sache blieb dieselbe, sie waren immer
die Knechte seiner Politik, die halbunfreiwilligen Werkzeuge italienischer Intriguen.
Unter den Hohenstaufen stellte sich dies Verhältniß am deutlichsten heraus. Ihre
Politik wurde durch ihre italienischen Anhänger bestimmt, die Ghibellinen, die
hochmüthigen adligen Dynasten, die den Kaisernamen anriefen, um mit diesem
Rechtstitel die Freiheit der Städte zu unterdrücken. Es'war nicht blos das zu¬
fällige Spiel einer augenblicklichen Laune, als zu Chiavenna Heinrich der Löwe
seine weitere Mitwirkung zum lombardischen Städtekriege versagte. Denn Nord¬
deutschland hatte damals, wenn auch nicht der Form nach, seine Emancipation
vom römischen Reich begonnen: der Gewinn der Nordsee- und Ostseeküsten schwebte
ihm vor. Denn dahin drängt die geographische Lage des Landes, Rhein, Elbe,
Oder, Weichsel weisen ihm seinen natürlichen Brief. Die Donau hat ein zu wei¬
tes Ziel, und über die Alpen hinaus weist uur eine krankhafte Sehnsucht.

Noch siegte das römische Reich; Deutschland wurde von seinen Kaisern ver¬
lassen, und sah aus wie das Nebenland eines italienischen Fürstenhauses. Aber
im Stillen keimte das deutsche Leben, ungepflegt aber auch vorläufig uicht gehin¬
dert. Den Rheinstrom abwärts schloß sich eine Kette freier Städte an einander,
ihren Waaren den Weg frei zu halten nach der Nordsee, den Raubrittern, den
üppigen Ausschößlingen des römischen Reichs, zu widerstehn. Eine zweite Kette zog
sich von den Elbemündungen aus hoch hinauf ans Ostseegestade; sie hatte ihre
Märkte und Factoreien in allen europäischen Hauptstädten, und geachtet von allen
Nationen wehte die hanseatische Flagge ans der See. Deutscher Gewerbfleiß ent¬
riß den Slaven, Finnen und Letten am Abfall der Weichsel, der Dura und des
Riemen einen Fuß breit Landes nach dem andern; nicht die Fürsten, das Volk
im eigentlichen Sinn war der Träger der deutschen Cultur.

Auch in der Poesie suchte es sich freizumachen von der höfisch-ritterlichen
Mystik; seine alten, heidnischen Heldensagen, seine Spruchweisheit und seinen


Das alte Rom schickte Deutschland seine Cohorten; das neue seine Apostel.
Die Deutschen dankten ihm damit, daß sie das Schwert ergriffen, welches den
verweichlichten Händen entfiel. Dafür wurden sie in die Netze seiner Cultur ver¬
strickt. Die Germanen in Frankreich, in Spanien nahmen die Sprache des Be¬
siegten an, aber sie machten sich ihre neue Heimath zurecht und gründeten unab¬
hängige Staaten. Anders war es in Deutschland. Seitdem der Sachse Otto
sich verleiten ließ, das verderbliche Erbtheil Karls des Großen zu ergreifen und
den unheimlichen Bund mit der Kirche zu erneuen, verzehrte sich Deutschland in
einem krankhaften Scheinleben. Sein Herz war nicht in ihm, es schwelgte in dem
goldnen Italien, seine Edlen bluteten auf fruchtlosen Schlachtfeldern, seine Dichter
ergingen sich in unheimischen, mystisch verzerrten Vorstellungen, seine Bildung fiel
dem unsittlichen Gewebe der römischen Pfaffenherrschaft in die Hände.

Ob die römischen Kaiser sich unter dem Fuß des Papstes krümmten, oder ob
sie ihn in seiner Engelsburg belagerten, die Sache blieb dieselbe, sie waren immer
die Knechte seiner Politik, die halbunfreiwilligen Werkzeuge italienischer Intriguen.
Unter den Hohenstaufen stellte sich dies Verhältniß am deutlichsten heraus. Ihre
Politik wurde durch ihre italienischen Anhänger bestimmt, die Ghibellinen, die
hochmüthigen adligen Dynasten, die den Kaisernamen anriefen, um mit diesem
Rechtstitel die Freiheit der Städte zu unterdrücken. Es'war nicht blos das zu¬
fällige Spiel einer augenblicklichen Laune, als zu Chiavenna Heinrich der Löwe
seine weitere Mitwirkung zum lombardischen Städtekriege versagte. Denn Nord¬
deutschland hatte damals, wenn auch nicht der Form nach, seine Emancipation
vom römischen Reich begonnen: der Gewinn der Nordsee- und Ostseeküsten schwebte
ihm vor. Denn dahin drängt die geographische Lage des Landes, Rhein, Elbe,
Oder, Weichsel weisen ihm seinen natürlichen Brief. Die Donau hat ein zu wei¬
tes Ziel, und über die Alpen hinaus weist uur eine krankhafte Sehnsucht.

Noch siegte das römische Reich; Deutschland wurde von seinen Kaisern ver¬
lassen, und sah aus wie das Nebenland eines italienischen Fürstenhauses. Aber
im Stillen keimte das deutsche Leben, ungepflegt aber auch vorläufig uicht gehin¬
dert. Den Rheinstrom abwärts schloß sich eine Kette freier Städte an einander,
ihren Waaren den Weg frei zu halten nach der Nordsee, den Raubrittern, den
üppigen Ausschößlingen des römischen Reichs, zu widerstehn. Eine zweite Kette zog
sich von den Elbemündungen aus hoch hinauf ans Ostseegestade; sie hatte ihre
Märkte und Factoreien in allen europäischen Hauptstädten, und geachtet von allen
Nationen wehte die hanseatische Flagge ans der See. Deutscher Gewerbfleiß ent¬
riß den Slaven, Finnen und Letten am Abfall der Weichsel, der Dura und des
Riemen einen Fuß breit Landes nach dem andern; nicht die Fürsten, das Volk
im eigentlichen Sinn war der Träger der deutschen Cultur.

Auch in der Poesie suchte es sich freizumachen von der höfisch-ritterlichen
Mystik; seine alten, heidnischen Heldensagen, seine Spruchweisheit und seinen


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[0172] Das alte Rom schickte Deutschland seine Cohorten; das neue seine Apostel. Die Deutschen dankten ihm damit, daß sie das Schwert ergriffen, welches den verweichlichten Händen entfiel. Dafür wurden sie in die Netze seiner Cultur ver¬ strickt. Die Germanen in Frankreich, in Spanien nahmen die Sprache des Be¬ siegten an, aber sie machten sich ihre neue Heimath zurecht und gründeten unab¬ hängige Staaten. Anders war es in Deutschland. Seitdem der Sachse Otto sich verleiten ließ, das verderbliche Erbtheil Karls des Großen zu ergreifen und den unheimlichen Bund mit der Kirche zu erneuen, verzehrte sich Deutschland in einem krankhaften Scheinleben. Sein Herz war nicht in ihm, es schwelgte in dem goldnen Italien, seine Edlen bluteten auf fruchtlosen Schlachtfeldern, seine Dichter ergingen sich in unheimischen, mystisch verzerrten Vorstellungen, seine Bildung fiel dem unsittlichen Gewebe der römischen Pfaffenherrschaft in die Hände. Ob die römischen Kaiser sich unter dem Fuß des Papstes krümmten, oder ob sie ihn in seiner Engelsburg belagerten, die Sache blieb dieselbe, sie waren immer die Knechte seiner Politik, die halbunfreiwilligen Werkzeuge italienischer Intriguen. Unter den Hohenstaufen stellte sich dies Verhältniß am deutlichsten heraus. Ihre Politik wurde durch ihre italienischen Anhänger bestimmt, die Ghibellinen, die hochmüthigen adligen Dynasten, die den Kaisernamen anriefen, um mit diesem Rechtstitel die Freiheit der Städte zu unterdrücken. Es'war nicht blos das zu¬ fällige Spiel einer augenblicklichen Laune, als zu Chiavenna Heinrich der Löwe seine weitere Mitwirkung zum lombardischen Städtekriege versagte. Denn Nord¬ deutschland hatte damals, wenn auch nicht der Form nach, seine Emancipation vom römischen Reich begonnen: der Gewinn der Nordsee- und Ostseeküsten schwebte ihm vor. Denn dahin drängt die geographische Lage des Landes, Rhein, Elbe, Oder, Weichsel weisen ihm seinen natürlichen Brief. Die Donau hat ein zu wei¬ tes Ziel, und über die Alpen hinaus weist uur eine krankhafte Sehnsucht. Noch siegte das römische Reich; Deutschland wurde von seinen Kaisern ver¬ lassen, und sah aus wie das Nebenland eines italienischen Fürstenhauses. Aber im Stillen keimte das deutsche Leben, ungepflegt aber auch vorläufig uicht gehin¬ dert. Den Rheinstrom abwärts schloß sich eine Kette freier Städte an einander, ihren Waaren den Weg frei zu halten nach der Nordsee, den Raubrittern, den üppigen Ausschößlingen des römischen Reichs, zu widerstehn. Eine zweite Kette zog sich von den Elbemündungen aus hoch hinauf ans Ostseegestade; sie hatte ihre Märkte und Factoreien in allen europäischen Hauptstädten, und geachtet von allen Nationen wehte die hanseatische Flagge ans der See. Deutscher Gewerbfleiß ent¬ riß den Slaven, Finnen und Letten am Abfall der Weichsel, der Dura und des Riemen einen Fuß breit Landes nach dem andern; nicht die Fürsten, das Volk im eigentlichen Sinn war der Träger der deutschen Cultur. Auch in der Poesie suchte es sich freizumachen von der höfisch-ritterlichen Mystik; seine alten, heidnischen Heldensagen, seine Spruchweisheit und seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/172>, abgerufen am 23.12.2024.