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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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die mir entfallen sind, auch die neue historische Wahrheit aufstellt, Deutschland
sei früher ein Wahlreich gewesen, unter der östreichischen Dynastie aber ein Erb-
kaiserthum; wo man die von Jesuiten und den Apostaten der Romantik ausge¬
dachte Fabel, Luther und Friedrich der Große hätten die deutsche Einheit gestört,
mit aller suffisance wieder auftischt, die eine vollkommene Unwissenheit zu beglei¬
ten pflegt -- in dieser Zeit des allgemeinen Dilettantismus kann ein gelegentlicher
Rückblick der Art nichts schaden.

Also. Einen Staat Deutschland hat es nie gegeben, wenn man die fünfzig
Jahre von 911-- 961, wo man es zu gründen versuchte, abrechnet. Wohl aber
hat es ein römisches Reich deutscher Nation gegeben, bis zum Jahre 1806. Zwi¬
schen beiden besteht ein wesentlicher Unterschied -- derselbe Unterschied, der die
aufrichtigen Politiker, welche auf die Gründung eines neuen Staats Deutschland
hinarbeiten, von den ghibellinischen Phantasten trennt, welche das römische Reich
aus seinen Gräbern wieder heraufbeschwören möchten, gleichgiltig, ob sie es im
Kysshäuserberge suchen, wo der alte Rothbart noch immer spukt, oder uuter den
Zelten eines neuen Wallenstein, oder auch in der Bande des Karl Moor, der
mit seinen Republikanern neben der Wiederherstellung der allgemeinen Gerechtigkeit
in den Eigenthumsverhältnissen sich auch die Aufgabe gestellt hat, das alte römi¬
sche Reich wieder in seine Fugen zu r.eilten.

Wenn also die Partei, zu der ich mich auch rechne, die Partei, welche die
einzelnen deutschen Staaten, weil sie ihrer Lage nach nicht selbstständig bleiben
können, und weil ihre natürlichen Bedürfnisse sie mit historischer Nothwendigkeit
zusammenführen, in einer staatlichen Einheit zu consolidiren strebt, sür die wesent¬
liche Form dieser Einheit die constitutionelle Monarchie erkennt und ihr aus alt¬
historischer Vorliebe in der Kaiserwürde einen Ausdruck sucht -- so bedaure ich
die Verkehrtheit dieses Ausdrucks, der in die neue staatliche Gestaltung einen
ganz fremdartigen, unpassenden Begriff bringt, und wünschte wohl, daß sie den
Muth hätte, sich eben so principiell, als sie es practisch thut, vou ihren Fein¬
den zu scheiden, die gleich Herrn von Arnims Kronenwächtern die eiserne Krone
der Hohenstaufen seil bieten.

Das römische Reich hat das Mark der deutschen Nation verzehrt, seine Ent¬
wicklung gehemmt, sein Streben in falsche Bahnen gelenkt und was sie Großes
leistete und erstrebte, um schnöden Sold verkauft und verrathen. Was die
deutsche Geschichte Großes hat, beruht in dem Bestreben, dieses
fluchwürdige Reich zu zertrümmern. Deutschland hat eine Geschichte,
mit Erlaubniß des Herrn v. Schmerling sei es gesagt, aber sie ruht nicht in den
Chroniken unserer Kaiser. Deutschland hat auch in Oestreich eine Geschichte; die
Hussiten und die Protestanten hat man unterdrückt, aber auf den Alpen und an
den niederländischen Küsten kann das römische Reich noch die Trophäen finden,
die Deutschland ihm Abgerungen hat.


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die mir entfallen sind, auch die neue historische Wahrheit aufstellt, Deutschland
sei früher ein Wahlreich gewesen, unter der östreichischen Dynastie aber ein Erb-
kaiserthum; wo man die von Jesuiten und den Apostaten der Romantik ausge¬
dachte Fabel, Luther und Friedrich der Große hätten die deutsche Einheit gestört,
mit aller suffisance wieder auftischt, die eine vollkommene Unwissenheit zu beglei¬
ten pflegt — in dieser Zeit des allgemeinen Dilettantismus kann ein gelegentlicher
Rückblick der Art nichts schaden.

Also. Einen Staat Deutschland hat es nie gegeben, wenn man die fünfzig
Jahre von 911— 961, wo man es zu gründen versuchte, abrechnet. Wohl aber
hat es ein römisches Reich deutscher Nation gegeben, bis zum Jahre 1806. Zwi¬
schen beiden besteht ein wesentlicher Unterschied — derselbe Unterschied, der die
aufrichtigen Politiker, welche auf die Gründung eines neuen Staats Deutschland
hinarbeiten, von den ghibellinischen Phantasten trennt, welche das römische Reich
aus seinen Gräbern wieder heraufbeschwören möchten, gleichgiltig, ob sie es im
Kysshäuserberge suchen, wo der alte Rothbart noch immer spukt, oder uuter den
Zelten eines neuen Wallenstein, oder auch in der Bande des Karl Moor, der
mit seinen Republikanern neben der Wiederherstellung der allgemeinen Gerechtigkeit
in den Eigenthumsverhältnissen sich auch die Aufgabe gestellt hat, das alte römi¬
sche Reich wieder in seine Fugen zu r.eilten.

Wenn also die Partei, zu der ich mich auch rechne, die Partei, welche die
einzelnen deutschen Staaten, weil sie ihrer Lage nach nicht selbstständig bleiben
können, und weil ihre natürlichen Bedürfnisse sie mit historischer Nothwendigkeit
zusammenführen, in einer staatlichen Einheit zu consolidiren strebt, sür die wesent¬
liche Form dieser Einheit die constitutionelle Monarchie erkennt und ihr aus alt¬
historischer Vorliebe in der Kaiserwürde einen Ausdruck sucht — so bedaure ich
die Verkehrtheit dieses Ausdrucks, der in die neue staatliche Gestaltung einen
ganz fremdartigen, unpassenden Begriff bringt, und wünschte wohl, daß sie den
Muth hätte, sich eben so principiell, als sie es practisch thut, vou ihren Fein¬
den zu scheiden, die gleich Herrn von Arnims Kronenwächtern die eiserne Krone
der Hohenstaufen seil bieten.

Das römische Reich hat das Mark der deutschen Nation verzehrt, seine Ent¬
wicklung gehemmt, sein Streben in falsche Bahnen gelenkt und was sie Großes
leistete und erstrebte, um schnöden Sold verkauft und verrathen. Was die
deutsche Geschichte Großes hat, beruht in dem Bestreben, dieses
fluchwürdige Reich zu zertrümmern. Deutschland hat eine Geschichte,
mit Erlaubniß des Herrn v. Schmerling sei es gesagt, aber sie ruht nicht in den
Chroniken unserer Kaiser. Deutschland hat auch in Oestreich eine Geschichte; die
Hussiten und die Protestanten hat man unterdrückt, aber auf den Alpen und an
den niederländischen Küsten kann das römische Reich noch die Trophäen finden,
die Deutschland ihm Abgerungen hat.


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[0171] die mir entfallen sind, auch die neue historische Wahrheit aufstellt, Deutschland sei früher ein Wahlreich gewesen, unter der östreichischen Dynastie aber ein Erb- kaiserthum; wo man die von Jesuiten und den Apostaten der Romantik ausge¬ dachte Fabel, Luther und Friedrich der Große hätten die deutsche Einheit gestört, mit aller suffisance wieder auftischt, die eine vollkommene Unwissenheit zu beglei¬ ten pflegt — in dieser Zeit des allgemeinen Dilettantismus kann ein gelegentlicher Rückblick der Art nichts schaden. Also. Einen Staat Deutschland hat es nie gegeben, wenn man die fünfzig Jahre von 911— 961, wo man es zu gründen versuchte, abrechnet. Wohl aber hat es ein römisches Reich deutscher Nation gegeben, bis zum Jahre 1806. Zwi¬ schen beiden besteht ein wesentlicher Unterschied — derselbe Unterschied, der die aufrichtigen Politiker, welche auf die Gründung eines neuen Staats Deutschland hinarbeiten, von den ghibellinischen Phantasten trennt, welche das römische Reich aus seinen Gräbern wieder heraufbeschwören möchten, gleichgiltig, ob sie es im Kysshäuserberge suchen, wo der alte Rothbart noch immer spukt, oder uuter den Zelten eines neuen Wallenstein, oder auch in der Bande des Karl Moor, der mit seinen Republikanern neben der Wiederherstellung der allgemeinen Gerechtigkeit in den Eigenthumsverhältnissen sich auch die Aufgabe gestellt hat, das alte römi¬ sche Reich wieder in seine Fugen zu r.eilten. Wenn also die Partei, zu der ich mich auch rechne, die Partei, welche die einzelnen deutschen Staaten, weil sie ihrer Lage nach nicht selbstständig bleiben können, und weil ihre natürlichen Bedürfnisse sie mit historischer Nothwendigkeit zusammenführen, in einer staatlichen Einheit zu consolidiren strebt, sür die wesent¬ liche Form dieser Einheit die constitutionelle Monarchie erkennt und ihr aus alt¬ historischer Vorliebe in der Kaiserwürde einen Ausdruck sucht — so bedaure ich die Verkehrtheit dieses Ausdrucks, der in die neue staatliche Gestaltung einen ganz fremdartigen, unpassenden Begriff bringt, und wünschte wohl, daß sie den Muth hätte, sich eben so principiell, als sie es practisch thut, vou ihren Fein¬ den zu scheiden, die gleich Herrn von Arnims Kronenwächtern die eiserne Krone der Hohenstaufen seil bieten. Das römische Reich hat das Mark der deutschen Nation verzehrt, seine Ent¬ wicklung gehemmt, sein Streben in falsche Bahnen gelenkt und was sie Großes leistete und erstrebte, um schnöden Sold verkauft und verrathen. Was die deutsche Geschichte Großes hat, beruht in dem Bestreben, dieses fluchwürdige Reich zu zertrümmern. Deutschland hat eine Geschichte, mit Erlaubniß des Herrn v. Schmerling sei es gesagt, aber sie ruht nicht in den Chroniken unserer Kaiser. Deutschland hat auch in Oestreich eine Geschichte; die Hussiten und die Protestanten hat man unterdrückt, aber auf den Alpen und an den niederländischen Küsten kann das römische Reich noch die Trophäen finden, die Deutschland ihm Abgerungen hat. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/171>, abgerufen am 23.07.2024.