Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.liehen Definitionen nicht anwenden lassen. Wrangel selbst, der überhaupt nichts Auch unsere Geldsäcke sind wieder ausgelebt aus ihrem Sommerschlafe. Die Diese Herren treiben wahre Abgötterei mit Wrangel, fahrt er die Linden entlang, so Der Kleinbürger endlich ist in die vollkommenste Apathie versunken, er mag von liehen Definitionen nicht anwenden lassen. Wrangel selbst, der überhaupt nichts Auch unsere Geldsäcke sind wieder ausgelebt aus ihrem Sommerschlafe. Die Diese Herren treiben wahre Abgötterei mit Wrangel, fahrt er die Linden entlang, so Der Kleinbürger endlich ist in die vollkommenste Apathie versunken, er mag von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278153"/> <p xml:id="ID_516" prev="#ID_515"> liehen Definitionen nicht anwenden lassen. Wrangel selbst, der überhaupt nichts<lb/> weiter ist, als die executive Macht für Manteuffels Befehle, besitzt viel persönliche Gut¬<lb/> müthigkeit, freilich ist er durch und durch Soldat und mit gewissen metaphysischen Be-<lb/> denklichkeiten darf man ihn nicht angehen. Als im November eine Deputation Litera-<lb/> ten Audienz bei ihm hatte^ sprach er mit uns in der ruhigsten und freundlichsten Weise,<lb/> bis ein unglücklicher Demokrat an den Geist der Zeit appellirte. Da machte der ruhm¬<lb/> reiche Holsteincr große Augen und wandte uns den Rücken mit den lakonischer Worten:<lb/> „Wenn Sie mir so kommen, dann empsehr ich mich!" — Eben so ist Hinckeldey, zu<lb/> dessen Ressort die „Ausweisungen binnen 24 Stunden bei Vermeidung sofortiger Ver¬<lb/> haftung" gehören, ein höchst gemüthlicher Mann, der sich überdies seine Stellung<lb/> gerne über das jetzige Provisorium hinaus sichern möchte und sich deshalb namentlich<lb/> mit den Federbetten gut zu stehen sucht. Er nimmt etwaige Reclamationen gerne an,<lb/> thut was er kann und im schlimmsten Falle drückt er dem Delinquenten wenigstens die<lb/> Hand mit der Versicherung, es wäre eine dumme Geschichte und thäte ihm herzlich<lb/> leid. Auch ist er für Komik nicht unempfänglich — bei einem preussischen Beamten<lb/> gewiß ein seltener Zug. So gestattete er mir z. B. trotz meines langen passiven Wi¬<lb/> derstandes gegen das Vertraucnsdccrct den Aufenthalt bis auf Weiteres, da ich ihm<lb/> versicherte, ich sei 3 Jahre Schulmeister gewesen, also sicher ein „nicht bedenkliches"<lb/> Subject. — , , - . ,</p><lb/> <p xml:id="ID_517"> Auch unsere Geldsäcke sind wieder ausgelebt aus ihrem Sommerschlafe. Die<lb/> Mehrzahl von ihnen hat noch bis heute nicht begriffen,, wozu der ganze Scandal im<lb/> März eigentlich gewesen. Für sie gibt es nnr zwei.Arten Verfassungen: solche, wo die<lb/> Papierchen steigen und solche, wo sie fallen. Die ersteren sind „auSgeßcuchnet" — die<lb/> andern keinen Pfifferling werth.</p><lb/> <p xml:id="ID_518"> Diese Herren treiben wahre Abgötterei mit Wrangel, fahrt er die Linden entlang, so<lb/> sieht man sie Front machen auf dem Trottoir, den Hut um Knie und überglücklich,<lb/> wenn der General den Gruß mit leichtem Gruß an die Mütze erwiedert — dagegen<lb/> ignoriren sie die königlichen Equipagen vollkommen. Es ist ihnen weniger um den an¬<lb/> gestammten Herrscher zu thun, als um pünktliche Bezahlung der Wechsel. Einige<lb/> Schlauköpfe gibt's freilich in ihrer Mitte, die den Sinn der Rovembertage besser zu<lb/> würdigen wissen, sie waren schon dem 18. März nicht abgeneigt, zogen sich dann aber<lb/> mit Schrecken von einer Revolution zurück, die so entsetzlich plebej geworden und von<lb/> der hohen Bourgeoisie durchaus keine Notiz nehmen wollte. Jetzt hoffen sie am Ziel<lb/> ihrer Wünsche zu stehen, sie sprechen von nichts, als der guten, schönen Verfassung,<lb/> die nur das Wahlrecht eines tüchtigen Census bedürfe — haben das lebendigste In¬<lb/> teresse für Politik und reiben sich vergnügt die Hände bei dem Gedanken, daß die Ka¬<lb/> naille im Frühjahr für sie Kastanien aus dem Feuer geholt. Anders ist's wieder mit<lb/> den Aristokraten, die bei Kranzler, Mielentz, im Preußenvercin ihr Wesen trieben.<lb/> Sie äußern unverholen ihre Wuth darüber, daß „selbst ein Manteuffel seinen Herrn<lb/> und König verrathen" — sie glauben es nicht mehr der Mühe werth, mit des Her¬<lb/> zens innersten Gedanken zurückzuhalten. „Nicht K Wochen dürfen die nächsten Kammern<lb/> beisammen sein, man wird — und sei's durch ein Bündniß der Ultras beider Parteien<lb/> — man wird Mittel finden, abermals mit Militär einzuschreiten, dann erst kann eine<lb/> ordentliche Constitution zu Staude kommen — die jetzige ist unverbesserlich." Es ist<lb/> das alte juinctum sitlivus der Revolution, jede Partei will invclliren — aber nur<lb/> bis zu sich! —</p><lb/> <p xml:id="ID_519" next="#ID_520"> Der Kleinbürger endlich ist in die vollkommenste Apathie versunken, er mag von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
liehen Definitionen nicht anwenden lassen. Wrangel selbst, der überhaupt nichts
weiter ist, als die executive Macht für Manteuffels Befehle, besitzt viel persönliche Gut¬
müthigkeit, freilich ist er durch und durch Soldat und mit gewissen metaphysischen Be-
denklichkeiten darf man ihn nicht angehen. Als im November eine Deputation Litera-
ten Audienz bei ihm hatte^ sprach er mit uns in der ruhigsten und freundlichsten Weise,
bis ein unglücklicher Demokrat an den Geist der Zeit appellirte. Da machte der ruhm¬
reiche Holsteincr große Augen und wandte uns den Rücken mit den lakonischer Worten:
„Wenn Sie mir so kommen, dann empsehr ich mich!" — Eben so ist Hinckeldey, zu
dessen Ressort die „Ausweisungen binnen 24 Stunden bei Vermeidung sofortiger Ver¬
haftung" gehören, ein höchst gemüthlicher Mann, der sich überdies seine Stellung
gerne über das jetzige Provisorium hinaus sichern möchte und sich deshalb namentlich
mit den Federbetten gut zu stehen sucht. Er nimmt etwaige Reclamationen gerne an,
thut was er kann und im schlimmsten Falle drückt er dem Delinquenten wenigstens die
Hand mit der Versicherung, es wäre eine dumme Geschichte und thäte ihm herzlich
leid. Auch ist er für Komik nicht unempfänglich — bei einem preussischen Beamten
gewiß ein seltener Zug. So gestattete er mir z. B. trotz meines langen passiven Wi¬
derstandes gegen das Vertraucnsdccrct den Aufenthalt bis auf Weiteres, da ich ihm
versicherte, ich sei 3 Jahre Schulmeister gewesen, also sicher ein „nicht bedenkliches"
Subject. — , , - . ,
Auch unsere Geldsäcke sind wieder ausgelebt aus ihrem Sommerschlafe. Die
Mehrzahl von ihnen hat noch bis heute nicht begriffen,, wozu der ganze Scandal im
März eigentlich gewesen. Für sie gibt es nnr zwei.Arten Verfassungen: solche, wo die
Papierchen steigen und solche, wo sie fallen. Die ersteren sind „auSgeßcuchnet" — die
andern keinen Pfifferling werth.
Diese Herren treiben wahre Abgötterei mit Wrangel, fahrt er die Linden entlang, so
sieht man sie Front machen auf dem Trottoir, den Hut um Knie und überglücklich,
wenn der General den Gruß mit leichtem Gruß an die Mütze erwiedert — dagegen
ignoriren sie die königlichen Equipagen vollkommen. Es ist ihnen weniger um den an¬
gestammten Herrscher zu thun, als um pünktliche Bezahlung der Wechsel. Einige
Schlauköpfe gibt's freilich in ihrer Mitte, die den Sinn der Rovembertage besser zu
würdigen wissen, sie waren schon dem 18. März nicht abgeneigt, zogen sich dann aber
mit Schrecken von einer Revolution zurück, die so entsetzlich plebej geworden und von
der hohen Bourgeoisie durchaus keine Notiz nehmen wollte. Jetzt hoffen sie am Ziel
ihrer Wünsche zu stehen, sie sprechen von nichts, als der guten, schönen Verfassung,
die nur das Wahlrecht eines tüchtigen Census bedürfe — haben das lebendigste In¬
teresse für Politik und reiben sich vergnügt die Hände bei dem Gedanken, daß die Ka¬
naille im Frühjahr für sie Kastanien aus dem Feuer geholt. Anders ist's wieder mit
den Aristokraten, die bei Kranzler, Mielentz, im Preußenvercin ihr Wesen trieben.
Sie äußern unverholen ihre Wuth darüber, daß „selbst ein Manteuffel seinen Herrn
und König verrathen" — sie glauben es nicht mehr der Mühe werth, mit des Her¬
zens innersten Gedanken zurückzuhalten. „Nicht K Wochen dürfen die nächsten Kammern
beisammen sein, man wird — und sei's durch ein Bündniß der Ultras beider Parteien
— man wird Mittel finden, abermals mit Militär einzuschreiten, dann erst kann eine
ordentliche Constitution zu Staude kommen — die jetzige ist unverbesserlich." Es ist
das alte juinctum sitlivus der Revolution, jede Partei will invclliren — aber nur
bis zu sich! —
Der Kleinbürger endlich ist in die vollkommenste Apathie versunken, er mag von
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |